Wem gehört Kreuzberg?

Im Chamissokiez wehren sich Mieter/innen gegen Verdrängung

„Leerstand verhindern“ und „Spekulanten raus“, solche Parolen prangten mehrere Wochen an der Fassade eines Wohnhauses in der Kopischstraße im Chamissokiez in Kreuzberg. Das hätte man in einer Gegend nicht erwartet, die mit charakteristischem Kopfsteinpflaster und altmodischen Laternen den Eindruck erweckt, als befinde man sich in einem Freilichtmuseum für das gründerzeitliche Berlin. Doch genau durch diese historische Kulisse sind die Probleme im Kiez gewachsen, denn immer mehr Immobilienfirmen zeigen Interesse an den Stuckaltbauten.
 
 
Die von Mieterhöhungen und Verdrängung betroffenen Mieter/innen beginnen sich zu organisieren. Anwohnertreffen sind überfüllt, und alle haben ähnliche Geschichten zu erzählen. „In der Arndtstraße 38 stehen von 9 Wohnungen 4 leer“, berichtet eine Mieterin aus diesem Gebäude. Die ALW-Immobilien GmbH aus Baden-Baden, die das Haus gekauft hatte, kündigte ihr wegen der verspäteten Zahlung der Kaution. Die gerichtliche Entscheidung steht noch aus. Auch die 27 Mieterparteien in der Katzbachstraße 17 sind nach einem Eigentümerwechsel zur Goldenzeil Immobilien GmbH verunsichert. Weil sich Alt- und Neueigentümer um die Ölrechnungen stritten und deswegen offenbar Rechnungen nicht beglichen wurden, fiel im letzten Winter mehrmals die Heizung aus, berichtet ein Mieter. Trotz der Größe des Hauses und der Unterschiedlichkeit der Mieter/innen habe es mittlerweile erste gemeinsame Treffen gegeben, berichtet er.
 

Wohnungen dem Spekulationsmarkt entziehen
 
Die Mieter/innen der Willibald-Alexis-Straße 34 (Wax34) sind da schon weiter. Nachdem ihr Haus im Herbst 2010 an die Willibald Alexis GmbH & Co. KG verkauft worden war, setzten sie sich zusammen und formulierten ihre Ziele. In einem offenen Brief an Politiker aller Parteien und den Senat heißt es: „Wir wollen das Haus mithilfe passender Projekt- und Finanzierungsstrukturen dem Spekulationsmarkt entziehen und gemeinschaftliches, kieznahes Wohnen organisieren. Wir sind im Gespräch mit Stiftungen, Genossenschaften und Mietshäuser Syndikat, die das Haus erwerben würden.“
 
Den Mieter/innen geht es dabei nicht nur um den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum in ihrem Haus, sondern sie haben auch ein erstes Mietertreffen im Chamissokiez mitorganisiert, bei dem die Initiative „Wem gehört Kreuzberg?“ gegründet wurde. „Dort treffen sich Menschen, die sich gegen den Verkauf von Wohnungen und die Verdrängung aus ihren Wohnquartieren in Berlin wehren“, beschreibt Wax34-Bewohner Stephan Thiele das Ziel der von ihm mitbegründeten Initiative.
 

Problem Ferienwohnung
 
In fünf Arbeitsgruppen recherchieren die Mieter/innen die Eigentumsverhältnisse von Häusern im Kiez und bereiten Veranstaltungen, juristische Beratungen und Stadtspaziergänge vor. Eine Arbeitsgruppe befasst sich mit Ferienwohnungen. Nicht nur Mieter/innen sehen in der wachsenden Zahl von Ferienwohnungen eine Ursache für die Probleme im Stadtteil. „Da Touristen bereit sind, im beliebten Kiez in der Nähe der Bergmannstraße 50 Euro pro Nacht und mehr zu zahlen, werden schnell Gelddruckmaschinen aus Räumen, in denen sich aufgrund der hohen Miete keine Kneipe mehr wirtschaftlich betreiben lässt“, klagt ein Autor im Lokalblatt „Kiez und Kneipe“, in dem auch gleich zum „Kampf gegen die Touri-Monster“ aufgerufen wird. Doch Mitglieder der Kiezinitiative warnen davor, in den Ruf „Hilfe, die Touristen kommen“ einzustimmen. „Nicht die Touristen sind das Problem, sondern die Verwertung von Wohnraum, egal ob für teure Eigentums- oder Ferienwohnungen“, betont eine Stadtteilaktivistin. Im Frühsommer soll mit einem Kiezspaziergang die Forderung nach dem Erhalt bezahlbarer Wohnungen in Kreuzberg bekräftigt werden. An eine im Stadtteil altbewährte Protestform wurde im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung erinnert. Der Vorschlag „Wir können ja auch wieder Häuser besetzten“ erhielt spontan Beifall, und die Adressen von leer stehenden Gebäuden im Kiez wurden umgehend genannt.
 http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2011/detailansicht/article/wem-gehoert-kreuzberg.html

Peter Nowak

Initiative „Wem gehört Kreuzberg?“
www.wemgehoertkreuzberg.de
 
Mietergemeinschaft Willibald-Alexis-Str. 34
www.willibald-alexis-strasse34.blogspot.com
 
Mietshäuser-Syndikat
www.syndikat.org

Modernisierung ist nicht das Problem

Initiativen wollen sich gegen Mietsteigerungen wehren / Konferenz am Wochenende

Die Passionskirche am Marheinekeplatz in Kreuzberg war gut gefüllt. Aber nicht die Seelsorge, sondern die Angst vor Mieterhöhung und Vertreibung hatte die Menschen zu dem Diskussionsabend mobilisiert. Eingeladen hatten verschiedene Mieterbündnisse, die sich seit Monaten regelmäßig treffen und verschiedene Arbeitsgruppen gegründet haben. Eine Recherchegruppe erforscht die Besitzverhältnisse bestimmter Häuser. Eine Politik-AG bereitet einen Spaziergang im Chamissokiez vor.

»Nicht die Modernisierung ist das Problem, sondern die folgenden Mietsteigerungen«, betonte Mieteranwalt Heinz Paul. Die Chancen für eine erfolgreiche Gegenwehr seien ungleich höher, wenn sich die Bewohner eines betroffenen Hauses möglichst frühzeitig und zahlreich zusammenfinden und organisieren, betonte der Jurist. Schließlich wollen die meisten Eigentümer zeit- und kostenaufwendige Gerichtsprozesse vermeiden und bevorzugen außergerichtliche Einigungen.

In der Diskussion wurde der Politik Benachteiligung der Mieter vorgeworfen. So berichtete eine Mieterin, dass ihr Wohnhaus von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gekauft worden sei. Diese Rechtsform ermögliche jedem Gesellschafter Kündigungen wegen Eigenbedarfs und trage so zur Aushebelung des Mieterschutzes bei. Die Wohnungspolitik des Senats wurde heftig kritisiert. So sei die Zweckentfremdungsverordnung aufgehoben, aber keine Rechtsverordnung für den Milieuschutz erlassen worden. Auch eine Verlängerung der Sperrfrist von Kündigungen nach der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen war eine Forderung aus dem Publikum.

Der Berliner Mieterverein, der Landesverband des Arbeitslosenverbandes e.V. und die »Kampagne gegen Zwangsumzüge nach Hartz IV« haben den Senat aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die Jobcenter die Aufforderungen an Erwerbslose aussetzen, wegen zu hoher Mietkosten die Wohnung zu wechseln. Außerdem müsse der Senat unverzüglich regeln, welche Kosten der Unterkunft (KdU) angemessen sind.

Im vergangenen Jahr forderten die Berliner Jobcenter in 8770 Fällen Erwerbslose zur Senkung ihrer Mietkosten auf. In 3917 Fällen wurde eine Senkung der Kosten erreicht, in 428 Fällen durch einen Wohnungswechsel. In den übrigen Fällen mussten die Erwerbslosen durch Einsparungen an anderer Stelle oder durch Untervermietung die zusätzlichen Mietkosten aufbringen.

Die Mieterinitiativen wollen den Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus nutzen, um für eine mieterfreundliche Politik zu werben. Dass dabei alle Parteien in der Kritik stehen, zeigte sich an Plakaten mit den gar nicht so freundlichen Konterfeis der Spitzenkandidaten. Der nächste Termin für die Protestkoordinierung steht schon fest. Am 16. April lädt die Berliner Mietergemeinschaft von 10.30 Uhr bis 18 Uhr unter dem Titel »Vorsicht Wohnungsnot« zu einer Konferenz ins DGB-Haus, Keithstraße 1/3.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/195416.modernisierung-ist-nicht-das-problem.html

Peter Nowak

Die alten Parolen sind wieder angesagt

GENTRIFIZIERUNG Einst war der Kreuzberger Chamisso-Kiez ein Zentrum der Hausbesetzerszene. Heute fürchten dort viele Mieter die Verdrängung: Investoren haben die Gegend entdeckt und kaufen Immobilien auf

Der Kreuzberger Chamissokiez mit seinen Kopfsteinpflaster und den altmodischen Laternen macht auf viele BesucherInnen den Eindruck eines Freilichtmuseums zum Thema „Berlin vor 100 Jahren“. Dass die in der Endphase des Kaiserreichs gebauten Mietskasernen erhalten blieben, ist vor allem HausbesetzerInnen zu verdanken. Sie bewahrten Ende der 70er Jahre zahlreiche leerstehende Gebäude in der Gegend vor den Abriss. Später erhielten sie oftmals Mietverträge. Doch gut 30 Jahre nach der Besetzerhochphase müssen viele Bewohner wieder um ihre Wohnungen kämpfen. Und sogar die alten Lieder von damals erklingen wieder.

„Das ist unser Haus, ihr kriegt uns hier nicht raus“ – der ganze Saal singt den Refrain des Rauchhaussongs von Ton Steine Scherben mit. Die meisten Besucher des Stadtteilzentrums im Chamissokiez sind in der zweiten Lebenshälfte. Das passt, denn die Gruppe, die zu diesem Treffen vor einigen Tagen eingeladen hat, heißt „Jung bleiben – alt werden im Kiez“. Der Andrang ist groß, schon zehn Minuten vor Beginn sind alle Plätze belegt. Viele BewohnerInnen rund um den Chamissoplatz fürchten in der Tat, dass sie dort nicht mehr alt werden können.

In den vergangenen Jahren zeigten immer mehr Immobilienfirmen Interesse an den Gründerzeithäusern – und hoffen auf hohe Mieteinnahmen. Nach dem Kauf sollen die MieterInnen meist rasch zum Auszug bewegt werden, berichten Bewohner auf der Versammlung, die vor wenigen Tagen stattfand. „In der Arndtstraße 38 zum Beispiel stehen von neun Wohnungen vier leer“, sagt Jutta, die sich ironisch eine der letzten „Standhaften“ nennt. Eine Immobilienfirma aus Baden-Württemberg, die das Haus gekauft hat, habe ihr wegen verspäteter Zahlung der Kaution gekündigt. Im März werde darüber vor Gericht entschieden.

Auch die 27 Mieterparteien in der Katzbachstraße 17 sind nach einem Eigentümerwechsel verunsichert. Wegen eines Streits zwischen Alt- und Neueigentümern um die Ölrechnung fiel in diesem Winter schon zweimal die Heizung aus, erzählt ein Hausbewohner. Trotz der Größe des Hauses und der Unterschiedlichkeit der MieterInnen habe es mittlerweile erste gemeinsame Treffen gegeben, berichtet er. Man wolle sich organisieren.

Die BewohnerInnen der Willibald-Alexis-Straße 34 – das Hausprojekt WAX 34 – sind schon weiter. Nachdem ihr Haus im Herbst 2010 verkauft worden war, haben sie ihre Ziele formuliert. „Wir wollen das Haus dem Spekulationsmarkt entziehen und mit offenen Briefen an PolitikerInnen aller Parteien eine Debatte um bezahlbaren Wohnraum in Gang setzen“, erzählt Bewohner Michael. Im Kiez stößt er damit auf offene Ohren. „Wer hier länger lebt, spürt, dass der Kiez kippt“, berichtet eine ältere Frau. Ein Anzeichen dafür sieht sie auch in der wachsenden Zahl der Ferienwohnungen. Die würden nicht nur die Mieten in die Höhe treiben. Auch der Zusammenhalt in der Nachbarschaft gehe verloren, wenn die BewohnerInnen wöchentlich oder gar täglich wechseln, moniert sie.

Politiker aufrütteln

Beim Beklagen der Situation wollen es viele BewohnerInnen des Chamissokiezes nicht belassen. Eine Podiumsdiskussion mit PolitikerInnen aller Parteien wollen sie vorbereiten. Und beim Sammeln der Forderungen haben sie fachkundige Beratung: Der ehemalige Kreuzberger Baustadtrat der Alternativen Liste (AL), Werner Orlowsky, unterstützt die BewohnerInnen. Er betont, es gebe gesetzliche Möglichkeiten auf Bezirks- und mehr noch auf Senatsebene, um dem Häusermonopoly entgegenzuwirken. Die Wiedereinführung einer Fehlbelegungsablage gehöre ebenso dazu wie ein besserer MieterInnenschutz und die Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus in Berlin.

Außerdem wollen MieterInnen im Kiez eine Demo unter dem bewährten Motto „Wir bleiben alle!“ vorbereiten. „Wenn alles nicht hilft, müssen wir wieder Häuser besetzen“, meinte ein etwa 50-jähriger Mann. Er erhält nicht nur umfassende Zustimmung auf der Versammlung, sondern auch die Adresse eines Hauses, das im guten Zustand ist – und schon lange leer steht.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F02%2F18%2Fa0145&cHash=d39db4b2af

Peter Nowak

Immobilienmonopoly im Chamisso-Kiez

Gegen Vertreibung aus dem Kiez regt sich Protest
 
In der Kreuzberger Willibald-Alexis-Straße fühlen sich die Mieter vom Eigentümer bedrängt.
»Kreuzberg – nur noch für Reiche?« Diese provokante Frage lockte viele Anwohner aus dem Chamissokiez im Stadtteil Kreuzberg am Dienstagabend zum Stadtteilgespräch in das Kulturzentrum Wasserturm. Die Sitzgelegenheiten reichten bei weitem nicht für alle Interessierten aus. Eine der Moderatorinnen des Abends fasste in ihrem Eingangsstatement in Worte, was viele der Anwesenden bewegt. »Werde ich mir in zehn Jahren in dem Kiez die Miete noch leisten können?« »Was wird aus den Plänen, auch im Alter in den beschaulichen Chamissokiez wohnen zu können, wenn dort immer mehr Mietwohnungen in Eigentums- und Ferienquartiere umgewandelt werden?«

Die Immobilienfirmen, die Interesse an den oft über 100 Jahre alten Gründerzeithäusern im Kiez zeigen, haben unterschiedliche Namen, doch ihre Methoden ähneln sich stark: In der Arndstraße 38 beispielsweise hat die AWL-Immobilien GmbH aus dem baden-württembergischen Baden-Baden das Haus vor einigen Jahren gekauft. Schon bald danach wurden ersten Kündigungen gegen Mieter ausgesprochen. Die waren zwar ungültig, trotzdem sind mittlerweile nur noch fünf Wohnungen vermietet. Das berichtete Hausbewohnerin Jutta, über deren Kündigung im März entschieden wird. Sie ist jedoch entschlossen, sich nicht vertreiben zu lassen.

Darin ist sich die Bewohnerin mit den Mietern der Willibald-Alexis-Straße 34 (WAX 34) einig. Diese haben extra einen eigenen Verein gegründet. In Briefen an Bezirkspolitiker von Friedrichshain-Kreuzberg und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), formulierten die Bewohner ihr Ziel: »Wir wollen das Haus dem Spekulationsmarkt entziehen, gemeinsames Wohnen organisieren und darüber hinaus ökologisch und sozial sanieren und somit auch im Sinne der oben zitierten Milieuschutzsatzung ›kieznah‹ erhalten«.

Seit September 2010 gehört das Haus der Willibald Alexis Str. 34 GmbH und Co.KG. »Wir machen kein Geheimnis daraus, dass wir Geschäftsleute sind«, erklärt eine Sprecherin gegenüber ND und betont aber: »Wir haben nie einen Mieter vertrieben oder ohne Grund gekündigt.« Den Mietern der WAX 34 wirft sie vor, dass es ihnen nur darum gehe, »für wenig Miete in einem gefragten Kiez zu leben«.

Günstig zu wohnen wird jedoch nicht nur im Chamissokiez immer schwieriger, sondern auch im nahegelegenen Kreuzberger Gräfekiez, wie Martin Breger erzählt. Mit der dortigen Mietenentwicklung beschäftigt sich der Stadtteilaktivist seit Jahren. Selbst viele Einzimmerwohnungen in den Seitenflügeln und Hinterhäusern seien dort für Hartz-IV-Empfänger nicht mehr zu bezahlen, erläutert Breger. Mit konkreten Zahlen untermauert er seine These, dass das Immobilienmonopoly zunimmt. Während im Zeitraum zwischen 1996 und 2004 im Gräfekiez 90 Etagenwohnungen in Eigentum umgewandelt worden sind, waren es zwischen 2005 und 2010 schon über 150 Wohnungen.

Bei einer bloßen Bestandsaufnahme wollen es die Kiezbewohner indes nicht belassen. An einem Folgetreffen in der übernächsten Woche sollen Aktionen beschlossen werden. Eine Demonstration durch mehrere Kieze ist ebenso im Gespräch wie eine Diskussionsveranstaltung mit Politikern von verschiedenen Parteien. Einige Forderungen an die Politiker wurden am Dienstagabend schon zusammengetragen, darunter ein besserer Mieterschutz, die Wiedereinführung einer Fehlbelegungsabgabe und eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/190710.immobilienmonopoly-im-chamisso-kiez.html

Peter Nowak