Wie Linke und Linksliberale die deutsche Geschichte entsorgen.

Die Mörder sind auch am 8. Mai die Russen

Wer in diesem Datum mehr als eine Pflichtübung aus Staatsräson sieht, hätte den Schwur der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald zur Richtschnur nehmen können. Wir danken den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt den Frieden und das Leben erkämpfen

Fünf Stunden übten sich am 6. Mai Politiker und ein Großteil der Medien in einem Akt der kollektiven Hyperventilation. Doch was war eigentlich passiert? Friedrich Merz war nicht im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt worden. So ganz überraschend ist es nicht bei der Zahl der Mandate für SPD und Union. Doch manche haben bei dem gedankenlosen Nachplappern der Phrase von der großen Koalition wohl einfach vergessen, mal nachzuzählen. Dann wäre ihnen aufgefallen, dass die Mehrheit knapp wird. Eigentlich hätte man jetzt vor allen von der LINKEN erwartet, dass sie sich…

… erfreut zeigt, dass der Rechtskonservative Merz erstmal gescheitert ist, und vor allem hätte man alles tun können, um einen Anlauf zur Bundestagswahl so lange wie möglich zu verzögern. Denn dann wären die außenpolitischen Termine durcheinander geraten, die Merz in voreiliger Siegesgewissheit schon geplant hatte. Die aber gehören zu seiner außenpolitischen Agenda, die da heißt, den deutschfreundlichen prowestlichen Flügel der Ukraine mit noch mehr Waffen zu unterstützen, die Russland auch wirklich treffen. Das hat Merz öfter gesagt und in seiner Fraktion gibt es Abgeordnete, die offen sagen, dass zu den legitimen Zielen sowohl Regierungsgebäude in Moskau als auch die Brücke gehört, die Russland mit der Krim verbindet.

Die Linke jetzt auch Teil der demokratischen Mitte?

Eine geschichtsbewusste Linke hätte, ob parlamentarisch oder außerparlamentarisch, deutlich machen können, dass wir wahrscheinlich eine Kanzlerschaft von Merz nicht verhindern, aber sie zumindest einige Tage hinauszögern können. Dass sich die Grünen gleich nach der ersten Merz-Niederlage in großer Sorge über Deutschland und „unsere Demokratie“ äußern, war erwartbar. Dass aber auch die Vorsitzende der LINKEN Ines Schwerdtner sofort einsprang, als sie gebraucht wurde, um durch die Änderung der parlamentarischen Geschäftsordnung einen zweiten Wahlgang noch am gleichen Tag möglich zu machen, wird manche aufmerken lassen.

„Aber jetzt waren sie auf uns angewiesen, weil die Hütte brennt“, wird Schwerdtner von der Taz zitiert. Damit sagt Schwerdtner implizit, die LINKE hätte es auch in der Hand gehabt, am 6. Mai Stopp zu sagen. Sie hätten einfach erklären können, dass sie eine von Merz geführte Regierung ablehnen und keinen Grund sehen, ihm den Weg an die Regierung leichter zu machen, wenn das eigene Lager es nicht hinbekommt.

Schließlich gab es noch Wochen vor der Wahl bundesweit große Demonstrationen gegen Merz, als der auch die Stimmen der AfD für Gesetze zur Migrationsabwehr einkalkulierte. War das nur Wahlgetöse? Dafür bekam die LINKE im Deutschlandfunk von dem Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer bescheinigt, Teil der demokratischen Mitte zu sein. Dass müsste jede linke Partei eigentlich als Diffamierung zurückweisen. Nutzen davon hat die AfD, die sich einmal mehr als Alternative, die noch nicht zur demokratischen Mitte gerechnet wird,  profilieren kann.

Orientierung am Schwur von Buchenwald

Jedenfalls sorgte die LINKE so dafür, dass Merz noch am 6. Mai Kanzler wurde und so auch alle schon geplanten außenpolitischen Termine einhalten konnte. Dabei hätte sie mit etwas historischem Bewusstsein argumentieren können, dass die Verzögerung einer Wahl von Merz zumindest symbolischen Wert hat. Denn dann kann zumindest vor dem 8. und 9. Mai noch nicht die   außenpolitische Agenda der Bundesregierung anlaufen können, die auch mögliche Angriffe auf Russland einschließt. Denn diese beiden Tage haben auf allen Seiten einen hohen Symbolwert. Am 8. und 9. Mai jährt sich zum 80sten Mal die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Wer in diesem Datum mehr als eine Pflichtübung aus Staatsräson sieht, hätte den Schwur der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald zur Richtschnur nehmen können. Dort heißt es:
„Wir danken den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt den Frieden und das Leben erkämpfen. Wir gedenken an dieser Stelle des grossen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue, demokratische, friedliche Welt, F. D. Roosevelt. Ehre seinem Andenken!“ (aus dem Schwur von Buchenwald vom 20.4.1945)

Vor allem in Westdeutschland wurde der Schwur von Buchenwald immer ignoriert, einige der ehemaligen Autoren wurden, soweit sie im Umfeld der KPD aktiv waren, in den 1950er und 1960er Jahren erneut verfolgt.  Erst als die Ex-Nazis in Rente gingen, begann sich das Verhältnis zum 8. und 9. Mai in der offiziellen Politik zu wandeln. Den Anfang machte die Rede des damaligen Bundespräsidenten Weizsäcker vor 40 Jahren, in der er den 8. Mai als Tag der Befreiung bezeichnete, was  damals auch in großen Teilen der Union noch auf Ablehnung stieß. Über seine eigene Rolle in der Wehrmacht schwieg er sich bis zu seinen Tod aus. Dass sich seine Version des 8. Mai durchsetzte, lag vor allem daran, dass Deutschland für seinen neuen politischen Wiederaufstieg nach der Wiedervereinigung 1989 das Bild als geläuterter Weltmeister in Vergangenheitsaufarbeitung vor aller Welt abgeben wollte.

Wie Linksliberale die deutsche Geschichte entsorgen

Das hat vor allem bei ehemaligen Linken, die auch mal deutschlandkritisch waren, sehr gut funktioniert. Dafür sei exemplarisch ein Kommentar von Leander F. Bandura in der Wochenzeitung Freitag genannt, der im Titel schon die Feindbildmarkierung deutlich macht. „Man feiert nicht mit Mördern. Auch nicht am 8. Mai“, heißt es da. Könnte man da nicht denken, dass deutsche Politiker an diesem Tag zumindest kein Rederecht haben, sondern schweigend zuhören sollten, was die Opfer Deutschlands und ihre Nachkommen zu sagen haben?  Das zumindest impliziert die Parole „Deutschland halts Maul“, die einige Jahre lang auf vielen linken Veranstaltungen zu hören war.

Doch Leander F. Bandura macht schnell deutlich, wer auch am 8. Mai schweigen soll: „Der Ausschluss von Russland und Belarus von den Feiern zum 8. Mai im Bundestag ist kein Affront, sondern die logische Konsequenz der russischen Politik.“ Bandura wiederholt die Phrase von der Erinnerung an die „Friedensordnung in West-, Zentral- und Osteuropa, die von diesem Datum ausging und jahrzehntelang hielt“ und verfälscht damit die Geschichte. Auf der Konferenz von Jalta vom 4. bis zum 11. Februar 1945 wurde das System von Jalta errichtet, das aus verständlichen Gründen Deutschland und seine Verbündeten draußen hielt und von den Siegern über Nazideutschland bestimmt wurde. Dagegen wehrten sich Deutschnationale aller Couleur von Anfang an und diese „europäische Friedensordnung“ war spätestens mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 zerstört. Der Krieg gegen Serbien, der maßgeblich von Deutschland mitgetragen wurde, zeigt, dass die Zerstörung dieser Nachkriegsordnung so unblutig nicht war. Davon aber schweigt Bandura.

Es ist richtig, wenn er betont, dass Russland nicht mit der Sowjetunion identisch ist, dabei vergisst er aber, dass schon bei den Nazis und dann auch bei der Generation mit NS-Hintergrund in der BRD dieser Unterschied selten gemacht wurde. Recht hat Bandura auch, wenn er daran erinnert, dass am Sieg über Nazideutschland nicht nur russische, sondern auch ukrainische Soldaten beteiligt waren. Es war auch eine ukrainische Division in der Roten Armee, die das Vernichtungslager Auschwitz befreit hatte. Heute erinnert ein Denkmal in der Nähe der Technischen Universität Berlin daran, dass auch polnische Soldatinnen und Soldaten 1945 dafür kämpften, dass das NS-Regime in Berlin zerschlagen wurde. Aber es ist wichtig zu betonen, sie kämpften auf Seiten der Roten Armee.

Es gab andere ukrainische Soldaten, die zu dieser Zeit vor der Roten Armee nach Nazideutschland geflohen waren. Es war der Teil der ukrainischen Nationalisten, die zeitweise auch mit Nazi-Deutschland verbündet waren, weil sie gemeinsam gegen Bolschewiken und Juden kämpfen wollten. Führende Protagonisten dieser Strömung des ukrainischen Nationalismus wurden nach dem Maidan-Umschwung von 2014 mit Denkmälern in Kiew und anderen Städten geehrt.

Das ist keine Rechtfertigung für den Krieg des Putin-Regimes. Es ist aber bezeichnend, wenn Bandura, und er steht für viele Linke und Linksliberale, davon schweigt. Wenn für sie selbst zum Jahrestag des 8. und 9. Mai die Mörder nur in Russland sitzen, dann ist die deutsche Geschichte endgültig entsorgt. Dann muss nicht mehr über die 27 Millionen Tote Sowjetbürger geredet werden, die durch die NS-Kriegspolitik gestorben sind, nicht mehr über die tausenden Dörfer in Belorussland und der Sowjetunion, deren Bewohner von Wehrmacht, SS und ihren Hilfsgruppen ermordet wurden, nicht mehr über das Kriegsverbrechen der Belagerung von Leningrad durch die Wehrmacht. Auch über die vielen sowjetischen Kriegsgefangenen, die auf deutschem Boden zu Tode kamen, die erschlagen und erschossen wurden oder verhungerten, kann dann geschwiegen werden.

Keine deutschen Täter mehr

Im letzten Kapitel seines Kommentars zeigt Bandura noch mal, was er aus der Geschichte gelernt hat;

„Das ehrende Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, auch die Rotarmisten, müssen nun andere tragen: Die Ukraine, die baltischen Staaten – und ja, auch Deutschland, in dessen Boden Tausende Soldaten ruhen, die hier durch fanatisierte Landser einen sinnlosen Tod starben, als der Krieg längst verloren war.“ Hier werden plötzlich die Toten aller Seiten gleich gemacht, es gibt keine Täter und keine Opfer mehr. Vergessen ist die antifaschistische Parole „Deutsche Täter sind keine Opfer“, die gegen eine solche Gleichmacherei gerichtet war.

Wenn sogar am Jahrestag der Befreiung ehemalige Linke so vollständig mit der deutschen Staatsraison übereinstimmen, dann kann die neue Regierung Merz-Klingbeil ihre  außenpolitische Agenda voranbringen und wieder Raketen auf Russland schicken, aber dieses Mal für die Einhaltung von Menschenrechten und Frieden.

Sowjetische Symbole in Berlin verboten

 Währenddessen hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden, dass auch zum 80ten Jubiläum der Zerschlagung des NS keine sowjetischen Symbole an den Berliner  Gedenkstätten gezeigt werden dürfen.

„Erklärtes Ziel der Allgemeinverfügung sei es, den öffentlichen Frieden zu wahren und ein würdiges Begehen der Gedenktage zu ermöglichen. Dies rechtfertige es, das Zeigen bestimmter Symbole wie der sowjetischen Flaggen an den Gedenktagen zu untersagen.“

Schließlich hatten viele stolze Deutsche der Roten Armee nie verziehen, dass sie vor 80 Jahren ihr Banner auf den Ruinen des Reichstags hissen konnte.

Peter Nowak