Wenn Kritik zu Propaganda wird

Feindmedien

Nicht nur in Russland, Ungarn und der Türkei wird mit dem Argument, gegen Desinformation und feindliche Propaganda vorzugehen, die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt. Deshalb sollten wir uns entschieden dagegen wehren, wenn mit Verweis auf tatsächliche russische Propaganda hierzulande kritische Meinungen zur Ukraine oder zur Nato als russische Desinformation abqualifiziert werden.

Ist jemand, der darüber schreibt, dass in der Ukraine Kriegsdienstverweiger enorme Repressionen erleiden, ein Putin-Klon? Darf man noch kritisieren, dass in verschiedenen ukrainischen Städten nach 2014 Denkmäler für den zeitweiligen Nazi-Kollaborateur und überzeugten Antisemiten Stepan Bandera aufgestellt wurden? …

… Eigentlich müssten diese Fragen klar zu beantworten sein. Doch diese Informationen stehen unter Propagandaverdacht.

»Putins Propaganda in Europa« und die »Klone aus dem Kreml« lauteten einige der Überschriften, mit denen in den vergangenen Tagen über das russische Propagandaprogramm »Doppelgänger« berichtet wurde, das bekannte Webseiten kopiert haben soll. Es besteht wohl kein Zweifel, dass das russische Regime solche Propaganda betreibt. Damit unterscheidet es sich nicht von anderen Regierungen und Staaten, einschließlich Deutschlands. Aber wo verläuft hier die Grenze?

1951 nahm Radio Free Europe beziehungsweise Radio Liberty in München sein Programm auf. Es war ein Sender der westlichen Welt, der gezielt an die Menschen in den nominalsozialistischen Ländern gerichtet war. Auch hier handelte es sich um Propagandasendungen, die »westliche Narrative«, wie man heute sagt, verbreiten wollten. Unter den Mitarbeiter*innen von Radio Liberty waren auch Menschen, die bis 1945 mit dem Naziregime in verschiedenen osteuropäischen Ländern kollaboriert hatten. Von den Staatsapparaten der realsozialistischen Staaten wurde Radio Free Europe pauschal als CIA-Sender abqualifiziert. Wenn auch die Rolle verschiedener westlicher Geheimdienste auf die Sender nicht zu verleugnen ist, so ändert das nichts daran, dass Berichte über die Verfolgung von Oppositionellen in den betreffenden Ländern wichtig waren.

Natürlich zieht auch das Moskauer Regime heutzutage alle Propagandaregister. Doch deswegen ist nicht falsch, wenn beispielsweise in Deutschland über reale Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine berichtet wird. Es sind keine Klone Putins, sondern ukrainische Pazifisten wie Ruslan Kotsaba und Jurij Scheljaschenko, die derzeit über die Repression gegen Kriegs- und Militärgegner*innen in der Ukraine berichten.

Pazifist*innen werden in der Ukraine schon lange als Agenten Moskaus beschimpft. Sie sind durch eine aktuelle Diskussion in Deutschland noch einmal besonders gefährdet, wenn jede Kritik an der Ukraine beispielsweise als russische Desinformation verbucht wird. Solche Begrifflichkeiten sind allen repressiven und autoritären Staatsorganen vertraut.

Nicht nur in Russland, Ungarn und der Türkei wird mit dem Argument, gegen Desinformation und feindliche Propaganda vorzugehen, die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt. Deshalb sollten wir uns entschieden dagegen wehren, wenn mit Verweis auf tatsächliche russische Propaganda hierzulande kritische Meinungen zur Ukraine oder zur Nato als russische Desinformation abqualifiziert werden. Wie in allen anderen Staaten soll damit auch in Deutschland das Land kriegsfähig gemacht werden. Alle, die da widersprechen, werden zu Mitarbeitern von Feindmedien erklärt.

Peter Nowak

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