Zwei Nachwuchspolitiker der Linken sind medienwirksam ausgetreten. Grund sei die Ukraine-Politik der Partei. Warum ihre Argumente falsch sind.

Ein Antifaschismus, der die deutsche Geschichte entsorgt

Was man in den Texten, die sich so stark auf den Antifaschismus beziehen, vermisst, sind Spuren von antifaschistischen Diskussionen. Schließlich haben antifaschistische Gruppen in den letzten Jahrzehnten die Erzählungen vom "souveränen Volk" mit Recht als nationalistisch und ausschließend kritisiert und zurückgewiesen.

„Aus Anstand Antifaschist. Deshalb: Fuck Putin“, ist das Motto von Justin König. Der Nachwuchspolitiker der Linkspartei in Brandenburg hat nach zehn Jahren Mitgliedschaft die Partei verlassen. In seiner Austrittserklärung geht er mit der Ukraine-Politik der Linken scharf ins Gericht. Einige Tage später erklärt der Sprecher der Linksjugend Brandenburg, Jonathan Wiegers, seinen Parteiaustritt. Auch er veröffentlichte seine Austrittserklärung auf Twitter. Die Gründe für die beiden Entscheidungen sind weitgehend identisch. Beide argumentieren, …

… sie könnten als Antifaschisten nicht mehr länger Mitglied der Linken sein. Dabei fällt auf, dass sich ihre Lesart auf den Ukraine-Konflikt nicht von den Positionen unterscheidet, die seit einem Jahr von der CDU bis zu den GRÜNEN zu hören sind. Besonders frappierend ist, dass man bei den beiden Personen, der sich explizit auf ihr antifaschistisches Gewissen berufen, solche Sätze liest: „Dieser Krieg gegen ein souveränes Volk in Europa stellt den größten Zivilisationsbruch in der Welt dar. Es markiert endgültig das Ende der Nachkriegsordnung in Europa.“

Das schreibt König. Diese Formulierung findet sich auch bei Wiegers, der Russland sogar vorwirft „einen Angriff auf die Ukraine und die Völker Europas“ gestartet zu haben, „die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs solidarisch, demokratisch und selbstbestimmt an einem solidarischen und friedlichen Europa beteiligt“ seien.

Solidarisches und friedliches Europa?

Moment mal, ein solidarisches Europa und friedliches Europa? Waren das nicht die Forderungen, mit denen die Linkspartei in den Europawahlkampf gezogen war? Und hat nicht auch die Linksjugend immer ein solidarisches und friedliches Europa eingefordert? Das soll nun auf einmal schon existieren und nur von Russland bedroht sein?

Und gab es nicht 2015 heftige Diskussionen über die EU-Troika, die einer gewählten griechischen Linksregierung gegen den erklärten Willen großer Teile der Bevölkerung das Austeritätsdiktat aufgezwungen hat?

Könnten solche historischen Tatsachen, die vor noch nicht einmal einem Jahrzehnt viele junge Leute auf die Straßen getrieben hat, nicht auch jüngeren Linken bekannt sein, zumal sie sich antiquierter Begriffe aus der Rumpelkammer des Kalten Krieges bedienen und vom „Eisernen Vorhang“ schreiben?

An den Erklärungen von König und Wiegers fällt auch auf, dass sie fast nahtlos zu den Positionierungen von der CDU bis zu den Grünen passen, was Wiegers auch explizit bestätigt, in dem er die Linke eben dafür kritisiert, dass sie noch nicht völlig auf die Linie „Waffen für die Ukraine“ eingeschwenkt ist.

Wiegers wirft folglich Führungsfiguren der Partei von Sahra Wagenknecht bis Amira Mohamed Ali vor, sie würden die Ukraine brüskieren. Auch die Diffamierung von Pazifisten darf nicht fehlen, wenn sich Wiegers von „in den 1980er-Jahren stehengebliebenem Vulgärpazifismus“ distanziert.

Was man in den Texten, die sich so stark auf den Antifaschismus beziehen, vermisst, sind Spuren von antifaschistischen Diskussionen. Schließlich haben antifaschistische Gruppen in den letzten Jahrzehnten die Erzählungen vom „souveränen Volk“ mit Recht als nationalistisch und ausschließend kritisiert und zurückgewiesen.

Die Berechtigung dieser Position zeigt sich jetzt auch in der Ukraine, denn natürlich ist das Beschwören eines einig kämpfenden Volkes ein nationalistischer Mythos. Sonst gäbe es nicht bereits seit 2014 den Konflikt mit den östlichen Gebieten, der sicherlich von Russland befördert, aber nicht geschaffen wurde.

Wie alle bedingungslosen Verteidiger der aktuellen ukrainischen Regierung schweigt auch König über den Konflikt, der 2014 begonnen hat. Die Opfer dieses vergessenen Krieges interessieren ihn nicht. Auch über die Rechte der Deserteure auf beiden Seiten schweigen sie.

Daran zeigt sich: Wer sich mit einer Seite in einem nationalistischen Konflikt gemein macht, übernimmt oft auch deren Feindbilder. Das sind im Zweifel alle, die nicht für Volk und Nation kämpfen wollen. Die betreiben dann wohl auch in den Augen von Wiegers und König Putin- bzw. Russland-Propaganda.

Es ist ein Tiefpunkt in einer Erklärung von selbsterklärten Antifaschisten, wenn andere Positionen umgehend als Feindpropaganda abgestempelt werden. Auch hier unterscheiden sich die Erklärungen nicht von Positionen aus dem Parteienspektrum von CDU bis zu den Grünen.

Verbrechen der deutschen Geschichte ausgeblendet

Genauso ignoriert werden in den Erklärungen die Kriege, die seit 1990 in Europa geführt wurden. Der Zivilisationsbruch besteht für König und Wiegers nicht darin, dass schon 1999 die Bundeswehr gegen Belgrad im Einsatz war, wo noch keine 60 Jahre zuvor die deutsche Wehrmacht und NS-Einsatzgruppen ungeheure Verbrechen verübten hatten.

Es waren aber 1999 die Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager sowie junge Antifaschisten, die verhinderten, dass schon damit eine Umdeutung der Geschichte stattfinden konnte. Sie wiesen empört die Erzählungen von Grünen und SPD zurück, die in den nationalistischen serbischen Politikern wie Slobodan Milosevic die Wiedergänger Hitlers sehen wollten und ihren Eintritt in den Krieg sogar als antifaschistischen Auftrag umzudeuten versuchten.

Hätte es 1999 schon Twitter gegeben, hätten sie sich Königs Motto „Aus Anstand Antifaschist“ zu eigen machen und ein „Fuck Milosevic“ dahinter setzen können. Daran knüpfen die Position eines Königs und Wiegers‘ heute an. Vor 24 Jahren sahen Antifaschisten darin mit Recht eine Entsorgung deutscher Geschichte.

Niemals mit Faschisten – außer Asow

Es ist frappierend, dass in den Erklärungen von zwei jungen Antifaschistischen kein Gedanke daran verschwendet wird, dass in der heutigen Nach-Maidan-Ukraine, die von beiden gelobt wird, Denkmäler für den Antisemiten und zeitweiligen NS-Kollaborateur Stepan Bandera errichtet und Ultranationalisten mit Nazi-Vergangenheit, wie Mitglieder des das Asow-Bataillons, als Vaterlandsverteidiger gefeiert werden.

„Mit Faschisten demonstriert man nicht, nicht als Linker, nicht als Mensch“, schreibt Wiegers und da kann man ihm nur zustimmen. Doch warum schweigt er dann zu Bandera und Asow? Warum wird nicht mal in einem Halbsatz darauf hingewiesen, dass 2014 auf dem Maidan eine bürgerlich-demokratisch gewählte Regierung gestürzt wurde, die zwischen der EU und der russischen Welt neutral bleiben wollte?

Und warum wird dann nicht auf die Rolle verschiedener Nazigruppen bei dem Maidan-Umsturz hingewiesen? Sie waren sicher nicht in der Mehrheit, aber sie waren unübersehbar. Das hat damals verschiedene libertäre und antiautoritäre Linke davon abgehalten, weiter bei den Protesten mitzumachen, weil sie eben nicht mit Faschisten demonstrieren wollten.

Ein solcher entleerter Antifaschismus, der strategisch eingesetzt wird, betreibt genau das, was antinationalistische Linke vor 30 Jahren bekämpft haben: Die Entsorgung der deutschen Geschichte und auch die Relativierung der Shoah, indem Begriffe wie Zivilisationsbruch und Vernichtungskrieg heute inflationär gebraucht werden. Peter Nowak