Uhl Michael, Betty Rosenfeld, Zwi­ schen Davidstern und roter Fahne, Bio­ graphie, Schmetterling­Verlag, 672 Sei­ ten, 39,80 Euro, ISBN: 3­89657­036­6

Betty Rosenfeld – Zwischen Davidstern und roter Fahne

Am Anfang stand ein vergilbtes Aktenbündel, das der junge linke Student Michael Uhl 1994 in einem spanischen Bürgerkriegsarchiv auf der Suche nach Dokumenten über die In- ternationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg fand. Das Dokument mit der Bezeichnung „Betty Rosenfeld, 23-3-1907, Stuttgart“ fand sofort das Interesse des jungen Stuttgarters.

22 Jahre später, aus dem linken Stu­ denten war inzwischen ein Historiker ge­ worden, stieß Uhl in Stuttgart auf einen Stolperstein mit dem Namen von Bet­ty Rosenfeld. „Ich erinnerte mich sofort an Bettys Namen und war schockiert. Am Ende hatte man sie also ermordet“, schreibt Uhl über die Gedanken, die ihm dabei durch den Kopf gingen. Er hatte die vergilbte Akte auch deshalb nicht ver­gessen, weil ihm das Passfoto der jungen dunkelhaarigen Frau nicht aus dem Kopf gegangen war. Er begann über mehrere Jahre …

… in verschiedenen Ländern über ihr Leben zu recherchieren. Auf 670 Seiten breitet er nicht nur das Leben der ihm vorher völlig unbekannten Frau aus. Uhl gelingt dabei auch eine sehr subjektive Geschichte der Linken von der Endphase der Weimarer Republik bis in die frühen 1940er Jahre. Er beschreibt die Hoffnungen und Utopi­en, die eine Frau, welche in einer bürger­ lich­jüdischen gemäßigt liberalen Um­gebung aufgewachsen ist, zur politisch Linken und schließlich in die Nähe der Kommunistischen Partei führt. Wir ler­nen die Stimmung in den letzten Jahren der Weimarer Republik kennen, in denen Linke von Polizei und Justiz besonders hart bestraft wurden, wenn sie beispiels­weise an von den Staatsorganen verbote­nen Demonstrationen teilnahmen und wir lesen wie den aufstrebenden Nazis schon damals Rosen auf den Weg gestreut wur­den. Wir erleben mit wie Betty und ihre Freund*innen und Genoss*innen gegen die aufstrebende NS­Bewegung nur eine Lösung sahen, die sozialistische Revo­ lution. Deswegen beteiligten sie sich an Aktionen der KPD, obwohl es immer auch Zweifel am Kurs der Partei gab, auch das wird in dem Buch deutlich. Der beson­ders eindringliche Bericht rührt daher, dass Uhl die Zeitläufe nicht beschreibt wie ein Historiker. Er versetzt sich in Bet­ty Rosenfeld hinein und beschreibt wie sie die Zeitläufe erlebt.

Eine solche Methode erfordert beson­ders viel Recherche bei einer Protagonis­tin, die wenig Schriftliches hinterlassen hatte. Zudem waren alle Bekannten und Freund*innen schon gestorben, als Uhl seine Recherchearbeit aufnahm. Ihm ge­lang es allerdings noch Menschen der zweiten Generation zum Sprechen zu bringen, die Betty Rosenfeld aus Berich­ten und Erzählungen kannten. Es ist da­her umso höher zu bewerten, wie gründ­lich sich Uhl in die Materie eingearbeitet hat und ein so detailreiches Buch schrei­ben konnte. Nur ein Beispiel für seine akribische Arbeit: „In der Geißstraße 4 hatte die Geschäftsstelle des 26. Bezirks der deutschen Sektion der Kommunisti­ schen Internationale, besser bekannt als KPD in Stuttgart ihren Sitz. Die Gasse da­hinter lag hinter dem Marktplatz und vor dem kleinen Platz mit einem künstlichen Brunnen, über den Märchenfigur Hans im Glück schwebte. Über den Torbögen des Gebäudes hingen Wandtafeln mit politischen Losungen.“ So ausführlich beschreibt Uhl das Gebäude in Stuttgart, in dem neben anderen Einrichtungen der linken Arbeiter*innenbewegung auch die Marxistische Abendschule (MASCH) ihr Domizil hatte. Dort besuche Betty Rosen­feld mehrere Kurse, sie wurden ihr ein Einstieg in die Theorie und Praxis des Marxismus.

Braune Gewalt und Rote Hilfe

Sehr anschaulich beschreibt Uhl die Ge­fahr, die der aufkommende Nationalsozi­ alismus für Linke und Jüd:innen bedeute­te. Bereits vor 1933 stellen die Nazis für alle ihre Gegner*innen eine Gefahr dar, wie Uhl schrieb: „Denn auf die Polizei war kein Verlass. Auch nicht in Stutt­gart. Der hiesige Polizeipräsident Rudolf Klaiber war ein Deutschnationaler. Im Stuttgarter Polizeibericht 1930 wurde ausschließlich tatsächlich oder vermeint­lich von Kommunisten ausgeübte Gewalt dokumentiert“ (S. 145). Dagegen wehrte sich auch die nun ganz und gar nicht KPD-­freundliche SPD, wie Uhl recher­chiert hat. Am 25. Februar 1931 habe der Vorsitzende der sozialdemokratischen Landtagsfraktion von Württemberg im Landtag kritisiert, dass die Polizeimann­schaften nicht gegen die zunehmend ge­walttätigeren Naziumtriebe vorgehe. „Im Juni 1931 forderte die SPD nach weiteren Vorfällen einen Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag zur Aufklärung von geduldeten Verbindungen zwischen Polizeimannschaften und der NSDAP“ (S.145). Wenn heute von braunen Netz­werken in der Polizei gesprochen wird, so hat das also eine Geschichte, wie wir bei Uhl erfahren. Wir erfahren auch, dass die Rote Hilfe eine immer bedeutendere Rolle in der alltäglichen Arbeit vor allen der Kommunist*innen aber auch anderer Linker bekommen hat. Uhl beschreibt, wie Betty Rosenfeld den wachsenden Staatsterror gegen ihre Genoss*innen seit Anfang der 1930er Jahre wahrnahm. Er beschreibt aber auch die Solidarität un­tereinander. „Um Antifaschisten, die von der Polizei festgenommen oder zu Scha­ den gekommen waren, kümmerte sich die Rote Hilfe Deutschland“ (S. 150) schreibt Uhl. In einem eigenen Kapitel geht er auf die alltägliche Arbeit der RHD ein, widmet sich auch den Anwält*innen, die für die Rote Hilfe Fälle vertraten. Dabei betont Uhl, dass gegen die Lin­ken häufig mit jenem Republikschutz­gesetz vorgegangen wurde, das nach der Ermordung der liberalen Politiker Walter Rathenau und Matthias Erzberger durch protofaschistische Terrorgruppen 1922 beschlossen wurde, unter anderem mit den Stimmen der linkssozialdemokrati­schen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD). Doch das Gesetz wurde bald hauptsächlich gegen Linke eingesetzt, wie Uhl an sehr konkreten Fällen darlegt. „Im Herbst 1932 standen zwei Stuttgarter Arbeiter vor dem Schöf­ fengericht in Cannstatt, weil sie am 9. Juli 1932 bei einer Demonstration ein Transparent getragen hatten mit der Auf­schrift `Vertreibt die braune Mordpest aus den Arbeitervierteln! ́ Der Richter sah in der Parole eine direkte Aufforderung zur Gewalt. Gegen beide Angeklagten wurden Mindestgefängnisstrafen verhängt“ (S. 151). Auch Betty Rosenfeld enga­gierte sich aktiv in der RHD. Nachdem die Nazis an der Macht waren, hatten sie natürlich einen noch direkteren Zugriff auf die Institutionen der Staatsgewalt. Wir erleben mit, wie auch in Stuttgart die Hakenkreuzfahnen auf allen öffentlichen Gebäuden wehten, die ersten antijüdi­schen Gesetze werden erlassen und die Kommunist*innen in den Untergrund ge­drängt oder verhaftet.

Spanien war die Hoffnung

Für Rosenfeld war klar, dass sie nach der Machtübernahme der Nazis in Deutsch­land als Jüdin und Linke besonders ge­fährdet war. Sie reiste im Herbst 1935 nach Palästina, doch blieb sie nicht lange dort. Mit einer Gruppe weiterer Jungkommunist*innen reiste sie im Früh­jahr 1935 nach Spanien. Das Land war damals für viele Linke aus aller Welt zur Hoffnung im Kampf gegen den Faschis­ mus geworden, nachdem dort eine von NS­-Deutschland und Mussolini­-Italien unterstützte Militärclique gegen eine demokratisch gewählte linke Volksfron­tregierung geputscht hat. Auch hier hat Uhl akribisch Betty Rosenfelds Agieren recherchiert. Auch in Spanien war sie für die Internationale Rote Hilfe (IHR) aktiv, erledigte allerdings auch viele andere Aufgaben als Krankenschwester, aber auch im Bildungs-­ und Kulturbereich.

Dabei zeigt Uhl, wie die große Hoffnung enttäuscht wurde, dass in Spanien dem NS­-Faschismus Grenzen gesetzt werden könnten. Wir erleben mit, wie Betty wie Tausende andere Antifaschist*innen in der Falle saßen. Bis zum Schluss äußerte sie in den spärlicher werdenden Briefen, die Uhl im Buch zitiert, die Hoffnung, doch noch mit ihrem Freund und Genos­sen Sally Wittelson ausreisen zu können. Dabei wurden ihre Lebensumstände nach der deutschen Besetzung Frankreichs im­mer schlimmer, bevor sie über das Sam­mellager Drancy nach Auschwitz­Birke­ nau deportiert und dort ermordet wurde. Auch ein Großteil ihrer Familie überlebte den NS nicht. Sie blieben vergessen. Mi­chael Uhl hat sie mit seinem Buch dem Vergessen entrissen.

Betty Rosenfeld – kein Opfer sondern antifaschistische Kämpferin

Nach Angeben des Schmetterlings-­Ver­lages wurde die Biographie von Betty Rosenfeld innerhalb kurzer Zeit zu ei­ nem Bestseller und musste mehrmals nachgedruckt werden. Das ist natürlich erfreulich und ist sicher auch ein ver­ -dienter Tribut an Michael Uhl, der es verstanden hat, die Lebensgeschichte von Betty Rosenfeld und ihren Freund*innen und Genoss*innen so darzustellen, dass sie heutige Leser*innen beeindrucken kann. Erfreulich ist auch, dass sich mitt­lerweile in Stuttgart die Initiative „Ein Platz für Betty Rosenfeld“ gegründet hat, die sich zur Aufgabe gesetzt hat, den ehemaligen Bismarck­-Platz in Stuttgart nach der jüdischen Kommunistin zu be­nennen. Über den Fortgang dieser Bemü­hungen informiert die Homepage https:// betty-rosenfeld.de regelmäßig. Es wäre natürlich ein besonderer Erfolg, wenn es gelänge, den Namen eines deutschna­ tionalen Staatsmanns, der noch immer von Rechtsaußen bis in die bürgerliche Mitte unterstützt wird, im Straßenbild durch Betty Rosenfeld zu ersetzen, ei­ ne jüdische Kommunistin, die bis zum Erscheinen des Buches kaum jemand kannte, weil ihre Geschichte gezielt ver­gessen gemacht wurde. Doch bei dem großen Interesse, das durch das Buch für Betty Rosenfeld geweckt wurde, soll­te sie nicht nachträglich nur als Opfer dargestellt werden. Wie die Biographie von Betty Rosenfeld zeigte, war sie vor allem in erster Linie Kämpferin gegen Faschismus und Nationalsozialismus. Sie hat sich bewusst entschieden, Jerusalem und Haifa, wo sie zumindest vor den fa­schistischen und nationalsozialistischen Mördern sicher war, zu verlassen, um der bedrohten spanischen Republik beizuste­hen. Sie hat wie viele antifaschistische Jüd:innen erkannt, dass sich in Spanien entscheidet, ob sich der Faschismus wei­ter in der Welt ausbreiten kann. „Man verband die Sache der bedrohten spani­schen Republik instinktiv mit Freiheit und Gerechtigkeit. Vor allem Juden, die wie Betty von den Nazis vertrieben wur­den, reagierten sehr sensibel“ (S.259), begründet Uhl die Entscheidung zu Ver­teidigung der spanischen Revolution. Zu­ dem sollte bei der verdienten Ehrung von Betty Rosenfeld nicht vergessen werden, dass sie politisch in ein Netzwerk von politisch Gleichgesinnten eingebunden war, die sicher nicht in allen Fragen einig waren. Doch ihr Ziel war klar, sie wollten eine Welt ohne Faschismus, Ausbeutung und Krieg aufbauen. Uhl hat es geschafft, in dem Buch auch ihre Genoss*innen zu würdigen. Da ist in erster Linie Sally Wit­telson zu nennen, der Betty Rosenfelds Kampf­ und Lebensgefährte für die letz­ten Jahre wurde. Beide lernten sich bei ihrem Kampf für die spanische Republik kennen, flohen nach dem Sieg des Fa­schismus nach Frankreich, wo sie 1939 interniert und gewaltsam voneinander ge­trennt wurden. Erst 1942 sahen sie sich im Sammellager Drancy wieder, wo sie so wie Tausende andere Jüd:innen in das Vernichtungslager Auschwitz­-Birkenau deportiert wurden, wo sie am 9. Sep­tember 1942 ankamen. „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Sally diesen Tag überlebte“, heißt es auf der Homepage der Initiative „Erich Zeigner Haus e.V.“, die jahrelange dafür kämpfte, dass ein Stolperstein an Sally Wittelson erinnert. Am 11. Juni 2020 wurde er an einem seiner letzten Wohnorte in der Ender­ straße 9 im Leipziger Stadtteil Lindenau angebracht. Peter Nowak