Regierende Bürgermeisterin will Koalition mit der CDU statt mit Grünen und Linken. Doch in der SPD gibt es Bedenken wegen rassistischer Kampagnen. Auch Umweltbewegte sind entsetzt.

Berlin droht Traumhochzeit für Immobilien- und Autolobby: Giffey will „Schwarz-Rot“

Wer die Geschichte der SPD kennt, wird sich keine Illusionen machen, dass sie Giffey die Gefolgschaft aufkündigen werde. Es gibt aber ein Problem, das sie umtreibt und mit Schrecken an das letzte Bündnis mit der CDU denken lässt. In dieser Zeit wuchs die außerparlamentarische Bewegung in Berlin, vor allem die Mieterbewegung, die sprichwörtlichen Berliner Mietrebellen, wurden zum politischen Faktor. Der Kampf um linke Hausprojekte, die der damalige Innensenator Frank Henkel (CDU) rechtswidrig räumen lassen wollte, mobilisierte eine große Zahl von Menschen gegen die Senatspolitik. Vor der Rückkehr einer rebellischen Stadtgesellschaft bei einer offen rechten Senatsregierung haben manche in der SPD Angst.

Grüne und Linke in Berlin gaben sich am Mittwoch in Berlin überrascht, dass die noch Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ein Bündnis mit der CDU für den Rest der Legislaturperiode vorschlagen wird. Giffey fügte hinzu, wenn ihre Partei das ablehne, stehe sie nicht mehr für das Amt zur Verfügung. Doch für politische Beobachter war dieser Schwenk zu den Konservativen keineswegs überraschend. Giffey wollte schon bei den vorletzten Wahlen …

… mit der damals noch geschwächten CDU koalieren, allerdings wäre sie damals Bürgermeisterin geworden. Das politische Klima und eine SPD, in der sich einige noch mit Schrecken an die letzte „rot-schwarze“ Koalition erinnerten, zwangen Giffey zur ungeliebten Kooperation mit Grünen und Linken. Dabei wurde immer deutlicher, dass die ultrarechte Sozialdemokratin selbst die kleinsten Reformansätze ablehnt.

Das wurde auch deutlich, als sie sich vor der Neuwahl einen Dauerzwist mit der gewiss nicht linken Umweltsenatorin Bettina Jarasch von den Grünen lieferte, weil diese in Berlin die Dominanz des fossilen Autoverkehrs begrenzte. Es wurden an einigen Stellen Verkehrsstreifen für Radfahrer eingerichtet, an die Fußgänger hingegen wurde kaum gedacht.

Was in anderen Metropolen wie Paris oder London schon seit Jahren gängige Politik ist, sorgte in Berlin für ein Lamento von Gewerbetreibenden und ein rechtsoffenes Bündnis, das noch immer „Freie Fahrt für freie Bürger“ auch auf Berlins Straßen propagiert – und damit nur den Autoverkehr meint. Giffey hat mehr als einmal deutlich gemacht, dass auch sie den Automobilverkehr keine Hindernisse in den Weg legen will.

Fridays for Future Berlin sieht dadurch die Interessen der jungen Generation verraten und wird das wohl auch beim „Klimastreik“ am 3. März in der Hauptstadt zum Thema machen. „Eine Schwarz-Rote Koalition wäre ein Schlag ins Gesicht für alle jungen Menschen in dieser Stadt„, twitterte die Initiative am Mittwoch.

Gewissensprobleme, einen Volksentscheid umzusetzen

Ein weiteres Konfliktthema zwischen Giffey und vor allem den Linken war die Umsetzung des Volksbegehrens Deutsche Wohnen und Co. enteignen, das 2021 von einer großen Mehrheit der wahlberechtigten Berliner Bevölkerung unterstützt wurde. Die Zahl der Unterstützer war größer als aller bisherigen Regierungskonstellationen, auch einer SPD-CDU-Regierung, die nur aus Gewohnheit noch immer mit der Floskel „Große Koalition“ versehen wird.

Die Linke hat in den letzten Monaten die Umsetzung dieses Volksentscheids zur Bedingung für eine weitere Regierungsbeteiligung gemacht. Giffey dagegen hatte erklärt, sie könne als ehemalige DDR-Bürgerin genau das nicht mit ihren Gewissen vereinbaren. Diese Erklärung hätte eigentlich zu ihrem sofortigen Rücktritt führen müssen – wenn es noch eine selbstbewusste zivilgesellschaftliche Bewegung gäbe.

Denn damit hat Giffey erklärt, ihr Gewissen erlaube ihr nicht, einen von einer großen Mehrheit der Bevölkerung gewollten Rückkauf von Wohnungen umzusetzen. Das ist nicht nur ein Affront gegen demokratische Entscheidungen, das zeigt auch, dass Giffey eine Politikerin ist, die am Rockzipfel des Kapitals hängt. Giffey hat – wie die meisten Gegner der Vergesellschaftung – keine Gewissensprobleme, wenn Eigentum für den Bau von Autobahnen enteignet wird, was konkret 2016 in Berlin-Treptow in der Beermannstraße geschehen ist.

In einer Koalition mit der CDU würde Giffey auch ohne Gewissensbisse weitere Mieter und Kleingewerbetreibende enteignen. Die Gegner eines Weiterbaus der A100 setzen auf den außerparlamentarischen Widerstand, wie auf einem Treffen im „Club about Blank“ am Sonntag deutlich wurde. Auch dieser würde durch eine weitere Autobahntrasse enteignet.

Keine Probleme mit rechten Populismus

Giffey gehört zum Kreis der rechten Berliner Sozialdemokraten, die vom Sarrazin-Freund Heinz Buschkowsky aufgebaut wurde. Deshalb hat sie auch keine Probleme, mit einer CDU zu kooperieren, die mit rechten und rassistischen Ressentiments Wählerstimmen gewann und dabei große Unterstützung von dem Rechtsaußen-Youtuber und Ex-Bildchef Julian Reichelt bekam.

Er hat selbst hat den Erfolg der CDU für sich reklamiert, weil er nach den Ausschreitungen der letzten Silvesternacht ständig mit dem Finger auf migrantische Communities gezeigt hatte – was von der Berliner CDU dankbar aufgenommen wurde, indem sie sogleich die Vornamen der Menschen wissen wollte, die in der Silvesternacht von der Polizei kontrolliert wurden.

Manchen Sozialdemokratinnen, die selbst aus migrantischen Communities stammen, ist deshalb eine Zusammenarbeit mit dieser CDU nicht geheuer. So fragt sich etwa Sawsan Chebli, „wie es in der Migrationsfrage einen gemeinsamen Nenner zwischen SPD und CDU geben kann“. Die Berliner CDU habe mit der Frage nach den Vornamen der Tatverdächtigen gezeigt, „dass es für sie echte und nicht echte Deutsche gibt“, gab die frühere Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement am Mittwoch zu bedenken.

Allerdings hatten sich auch die Grünen, die jetzt über Giffeys Präferenzen nicht glücklich sind, in entspannter Atmosphäre mit dieser CDU zu Sondierungen für eine Koalition getroffen. Doch große Teile der Basis waren für die Fortsetzung des bisherigen linksreformerischen Bündnisses. Dabei hätten sie Giffey sogar das Amt der Regierenden Bürgermeisterin überlassen, obwohl sie von den Mandaten her genau so stark wie die SPD waren.

Dass die SPD nach tagelanger Suche und dem plötzlichen Auffinden verschollener Wahlzettel knapp 50 Stimmen mehr als die Grünen haben soll, ändert nichts daran.

Da hätte eigentlich ein Rotationsmodell nach der Hälfte der Amtszeit selbstverständlich sein müssen. Dass ein solches Modell, das in Israel sogar bei den Premierministern angewendet wird, in Berlin nicht mal diskutiert wird, zeigt, wie konservativ die hiesige Politikmaschine ist. Dass Giffey aber sogar auf ihr Amt verzichtet und bereit ist, unter einem CDU-Politiker Senatorin zu werden, zeigt einmal mehr, dass Giffey Teil des rechten Blocks war und ist.

Kühnert als Alternative?

Nun wird sich zeigen, ob die SPD, die ja rhetorisch immer ihren Kampf gegen Rechts proklamiert, was ihre Vertreter im thüringischen Hildburghausen nicht hinderte, gemeinsam mit der AfD die Abwahl eines Bürgermeisters der Linken zu betreiben, Giffeys Rechtskurs folgt. Schon länger hat der taz-Reporter Gereon Asmuth eine Alternative genannt: den SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zum Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeister zu machen.

Der könnte eine linksreformerische Politik besser vertreten als Giffey, so Asmuth. Bisher stand Giffey einer solchen Konstellation im Weg, wenn sich die Berliner SPD jetzt gegen das Bündnis mit der CDU entschiedet, wäre der Posten frei. Nun sollte sich niemand Illusionen in Kühnert machen, der in den letzten Jahren gezeigt hat, dass heute der Weg vom rebellischen Juso zum staatstragenden Sozialdemokraten, der in den 1970er-Jahren noch Jahrzehnte dauerte, im Sauseschritt verlauft.

Auch Kühnert hat sich gegen die Unterstützung des Volksbegehrens Deutsche Wohnen & Co. enteignen ausgesprochen, daraus aber bisher keine Gewissensfrage gemacht. Wer die Geschichte der SPD kennt, wird sich keine Illusionen machen, dass sie Giffey die Gefolgschaft aufkündigen werde. Es gibt aber ein Problem, das sie umtreibt und mit Schrecken an das letzte Bündnis mit der CDU denken lässt.

In dieser Zeit wuchs die außerparlamentarische Bewegung in Berlin, vor allem die Mieterbewegung, die sprichwörtlichen Berliner Mietrebellen, wurden zum politischen Faktor. Der Kampf um linke Hausprojekte, die der damalige Innensenator Frank Henkel (CDU) rechtswidrig räumen lassen wollte, mobilisierte eine große Zahl von Menschen gegen die Senatspolitik. Vor der Rückkehr einer rebellischen Stadtgesellschaft bei einer offen rechten Senatsregierung haben manche in der SPD Angst. (Peter Nowak)