Damit sollte der Kolonialgedanke in der Bevölkerung verankert werden. Im Rahmen dieser Ausstellung wurden auch 106 afrikanische Menschen in einem dafür nachgebauten Dorf den Schaulustigen präsentiert. Die in Rehberge geplante Kolonialausstellung sollte daran anknüpfen. Doch dazu ist es nicht mehr gekommen. Die Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg verhinderte diese Pläne, denn Deutschland musste seine Kolonien aufgeben. So erinnern nur noch die Straßennamen an die kolonialistische Geschichte Deutschlands. Lange Zeit hatte die auch niemand hinterfragt. Doch das änderte sich seit den 1980er Jahren. Es ist vor allem in Deutschland lebenden schwarzen Menschen und antirassistischen Gruppen und Initiativen zu verdanken, dass …
… diese Straßennamen in die Kritik gerieten. Sie organisierten Spaziergänge durch das „Afrikanisches Viertel“ sowie Diskussionsveranstaltungen auch mit Politiker/innen. Zu diesen Aktivist/innen gehört Mnyaka Sururu Mboro, der nicht nur die einzelnen Straßennamen, sondern auch die Bezeichnung des gesamtes Kiezes für irreführend hält.
„Wenn man sagt, „Afrikanisches Viertel“, klingt das so, als wenn hier viele Afrikaner wohnen würden. Aber hier ist es total anders. Wenn man alle Straßennamen checkt, wird klar, dass alle diese Namen mit dem deutschem Kolonialismus in Afrika zu tun haben. Ich bezeichne das Viertel deshalb als Kolonialviertel“, erklärte Mboro gegenüber dem MieterEcho.
CDU wollte alte Namen behalten
Die Proteste zeigten Wirkung. Mit Beschluss vom 17. März 2016 ersuchte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin-Mitte das Bezirksamt „unter Beteiligung von Bürger/innen und zivilgesellschaftlichen Akteur/innen einen Prozess durchzuführen, an dessen Ende Umbenennungsvorschläge für die Petersallee, Nachtigalplatz und Lüderitzstraße vorlegen“ Ab November 2016 beriet eine Jury, bestehend aus Bezirksamt, Mitgliedern der BVV, Aktiven der afrikanischen Community und weiteren Initiativen über die Umbenennungen. Das hatte der Kulturausschuss mit den Stimmen der SPD, Grünen, Linken und Piraten beschlossen. Nur die CDU hat 2016 dagegen gestimmt. Sie blieb bei ihrer ablehnenden Haltung und konnte damit den Umbenennungsprozess lange verzögern.
Dabei hatte es sich die Jury bei der Namensfindung nicht leicht gemacht. Aus 196 Vorschlägen wurden in acht Sitzungen Personen ausgewählt, nach denen die Straßen benannt werden sollten. Bei allen Vorschlägen handelte es sich um herausragende historische Persönlichkeiten, die Widerstand gegen Kolonialismus und Rassismus geleistet haben. „Wir haben gewissenhaft alle Aspekte in Betracht gezogen“, erklärte das Vorstandsmitglied des Afrika-Rats Berlin-Brandenburg, Bertrand Njoume, bei der Präsentation der Namensliste im Jahr 2018. Die Lüderitzstraße sollte künftig Cornelius-Fredericks-Straße heißen und damit den Namen eines Anführers des Widerstands des Nama-Volkes in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) erhalten. Aus dem Nachtigalplatz sollte der Bell-Platz werden, in Erinnerung an Rudolf Duala Manga Bell, König der Duala im heutigen Kamerun, der sich mit seiner Frau Emily gegen die Deutschen auflehnte. Die Petersallee soll geteilt werden. Für eine Hälfte wurde der Name der Herero-Nationalheldin Anna Mungunda ausgewählt, die andere Hälfte sollte Maji-Maji-Allee heißen, nach dem brutal niedergeschlagenen Maji-Maji-Aufstand von 1905 bis 1907 im damaligen Deutsch-Ostafrika (heute Tansania).
Natürlich gab und gibt es weiterhin politischen Gegenwind gegen die Straßenumbenennung, der dafür verantwortlich ist, dass die Auseinandersetzung bis heute nicht beendet ist. Auch im „Afrikanischen Viertel“ selbst stemmten sich die lokale CDU-Politiker/innen gemeinsam mit der Anwohnerinitiative „Pro Afrikanisches Viertel“ (IPAV) mit teilweise absurden Argumenten gegen die Straßenumbenennungen. Kolonialverbrechen werden zum Beispiel mit der Behauptung relativiert, Gustav Nachtigal sei ein Bewunderer afrikanischer Kultur gewesen und habe den Sklavenhandel abgelehnt. Als vermeintliche Alternative zu Umbenennungen brachte die Initiative auch eine groteske Aktion aus dem Jahr 1986 in die Debatte. Damals war die Petersallee auf Drängen von Anwohner/innen einfach umgewidmet worden. Es wurde ein Straßenschild angebracht, auf dem zu lesen war, dass die Straße ab sofort den CDU-Politiker Hans Peters ehre, der sich den Nazis widersetzt habe. Ursprünglicher Namensgeber war Carl Peters, der als Reichskommissar im Kilimandscharogebiet in der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ agierte. Durch die Umwidmung sei eine Umbenennung überflüssig geworden, argumentierte die IPAV. Der Berliner Senat hat allerdings klargestellt, dass die Umwidmung von 1986 nicht rechtskräftig geworden sei, weil die damals „beabsichtigte Änderung des Straßennamens nicht den zulässigen Merkmalen von Straßenumbenennungen“ entsprochen habe.
Absurder „Kompromissvorschlag“
Auch die CDU hielt an ihrer Linie „Umwidmung statt Umbenennung“ weiterhin fest. So schlug sie vor, den Nachtigalplatz dem Theologen und Schriftsteller Johann Karl Christoph Nachtigal zu widmen. Eine Infotafel unter dem Schild soll erklären, welcher Nachtigal geehrt wird. Die Lüderitzstraße sollte nach diesen Vorstellungen nicht mehr Adolf Lüderitz gewidmet sein, sondern der nach ihm benannten Hafenstadt Lüderitz. Diese Umwidmungsvorschläge stießen wiederum auf massive Kritik bei den postkolonialen Gruppen, aber auch bei den Grünen und der Linken. „Im Kontext des Viertels ändert das natürlich gar nichts“, kritisierte Tahir Della von der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ die geforderte Beibehaltung der alten Namen mit angeblich neuen Bedeutungen.
Das Kalkül der CDU ist klar: Im Weddinger Straßenbild sollen die Namen der antikolonialistischen afrikanischen Persönlichkeiten nicht auftauchen. Lüderitz, Nachtigal usw. sollen bleiben und die Tafeln, die die angebliche Umwidmung erklären sollen, hätten dann höchstens symbolische Bedeutung. Das war für die Gegner/innen der Straßennamen mit kolonialer Geschichte natürlich nicht akzeptabel. Genauso wenig konnten sie den „Kompromissvorschlag“ der CDU akzeptieren. Dieser sah vor, Wege im Kleingartenverein „Togo“ nach bedeutenden Städten, Flüssen oder Höhenzügen Togos wie zum Beispiel Lomé-Weg, Kara-Weg oder Sokodé-Weg zu bezeichnen. Auch hier war deutlich zu erkennen, dass die Reaktionäre auf keinen Fall mit Namen von afrikanischen Persönlichkeiten im Weddinger Stadtbild konfrontiert sein wollten.
Dieser Widerstand gegen antikolonialistische Straßenumbenennungen ist nicht neu. Schon 2004 kritisierte der damalige Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) migrantische Aktivist/innen, die solche Umbenennungen forderten. Damit werde eine „Kampagne nach Gutmenschenart gefahren, die ein linkes Stadtbild auch in Straßennamen etablieren“ solle. Dazu passt, dass während der frühen 1990er Jahren in Ostberlin teilweise in wenigen Wochen Namen von Kommunist/innen und Antifaschist/innen aus dem Straßenbild entfernt wurden.
Doch diese Kampagnen konnten sich nicht durchsetzen. Nachdem Gerichte in den meisten Fällen die zahlreichen Klagen von Anwohner/innen abgewiesen haben, wurden Anfang Dezember 2022 nach dem jahrelangen Streit die ersten Umbenennungen anhand der ursprünglichen Vorschläge im „Afrikanischen Viertel“ in Anwesenheit von Repräsentanten der postkolonialen Staaten feierlich vollzogen. Der Nachtigalplatz heißt seitdem Manga-Bell-Platz, die Lüderitzstraße ist jetzt die Cornelius-Fredericks-Straße. Bei der Petersallee wird das noch ein wenig dauern, da noch keine juristische Entscheidung über die Klage von Anwohner/innen gefallen ist. Für die vielen Menschen, die sich beharrlich für die Umbenennungen eingesetzt haben, ist das zweifellos ein Erfolg. Peter Nowak
https://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2023/me-single/article/ein-anfang-ist-gemacht/