Auf seinem Youtube-Channel verbreitet Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt vor großem Publikum Themen der AfD. Sein Ziel: Rechte Politik in die gesellschaftliche Mitte zu bringen

Der schwarze Kanal

Da knüpft Reichelt an Gerhard Löwenthal an. Der Anhänger von Franz Josef Strauß moderierte bis 1987 das ZDF-Magazin, wo er gegen Linke aller Couleur hetzte. Wie Reichelt kannte auch Löwenthal keine Abgrenzung nach rechtsaußen. Anders als Löwenthals haben Reichelts Sendungen heute eine wesentlich größere Reichweite, die er nutzt, um rechte Diskurse in der Gesellschaft zu verankern.

„Gescheiterte Migrationspolitik – Zuwanderung endet oft tödlich“. Schon der Titel klingt nach AfD. Der Eindruck verstärkt sich, als der Sprecher mit eindringlicher Stimme in die Kamera sagt: „Irgendwo in diesem Land werden Eltern wieder um ihre Kinder trauern, weil Innenministerin Faeser und die grünen Ideologen ihre Fehler nicht eingestehen und ihre Politik nicht ändern und unsere Grenzen nicht sichern wollen.“ In dieser Diktion geht es 20 Minuten lang weiter. Von der Migrationspolitik geht es zum Muez­zin-Ruf in deutschen Städten: „Niemand hat erklärt, warum fortschreitende Islamisierung zu mehr Fortschritt führen soll.“ Wir sind bei …

Achtung, Reichelt!, Julian Reichelts Show bei Youtube – und nicht etwa bei einem Propagandavideo der AfD. Die Sendung ist kaum von deren Formaten zu unterscheiden. Reichelt, der im Herbst 2021 nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs von seinem Posten als Chefredakteur bei Bild entlassen wurde, ist seit Juli 2022 bei Youtube. Sein Kanal hat heute über 300.000 Abonnent:innen. Woher Reichelt die Finanzierung für die aufwendigen Studioproduktionen hat, ist unklar.

Wir sind bei Achtung, Reichelt!, Julian Reichelts Show bei Youtube – und nicht etwa bei einem Propagandavideo der AfD. Die Sendung ist kaum von deren Formaten zu unterscheiden. Reichelt, der im Herbst 2021 nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs von seinem Posten als Chefredakteur bei Bild entlassen wurde, ist seit Juli 2022 bei Youtube. Sein Kanal hat heute über 300.000 Abonnent:innen. Woher Reichelt die Finanzierung für die aufwendigen Studioproduktionen hat, ist unklar.

Schon als Bild-Redakteur war Reichelt für rechte Propaganda bekannt. Er arbeite mit „der Methode eines Revolver-Journalismus“, der „Emotionen hochpeitscht und in erster Linie nach Feinden sucht“, attestierte ihm 2017 die FAZ. Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer bescheinigte ihm 2018 „kenntnisfreie Panikmache und rechtspolitische Scharfmacherei auf sehr niedrigem Niveau“. Im Juli 2022 begann Reichelt mit seinen Sendungen auf Youtube. Zu seinen Mit­ar­bei­te­r:in­nen gehört auch die in rechten Kreisen bekannte Autorin Judith Sevinç Basad, die nach Reichelts Rauswurf bei Bild kündigte und über ein „wokes“ Klima bei Springer klagte.

Der Politikwissenschaftler Markus Linden bezeichnete Achtung, Reichelt in der Frankfurter Rundschau als „rechtspopulistischen Kanal“: „Aus Klima-Aktivisten werden Klima-Terroristen und eine Öko-Diktatur. Cancel Culture macht er an kleinsten Fällen aus und jazzt sie zum Massen-Phänomen hoch“, so Linden.

Obwohl er in seinen Sendungen nicht nur die Themen, sondern auch die Diktion der AfD verwendet, bleibt Reichelt auf Distanz zu der Rechtsaußenpartei. Sein Ziel sei es, die Themen, die heute die AfD vertritt, wieder in der politische Mitte zu verankern, sagte Reichelt, als er auf Fragen von Hö­re­r:in­nen in seiner Sendung antwortete.

Die CDU solle sich, statt über Gendern oder Frauenquote zu streiten, für die Festung Europa und einer Renaissance der Atomkraft einsetzen, fordert Reichelt. Lob gibt es für den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Seine Äußerung über „kleine Paschas aus dem arabischen Raum“, die angeblich für die Silvesterkrawalle verantwortlich gewesen sein sollen, wiederholt Reichelt gleich mehrmals hintereinander in seiner Sendung, in der er kurz vor der Berliner Wiederholungswahl die Stadt als von Linken und Grünen heruntergewirtschaftet denunziert.

Reichelt grenzt sich kaum nach rechts ab. So lobte er die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den post-faschistischen Fratelli d’Italia für ihre migrationsfeindliche Politik. Ganz im rechten Stil diffamiert Reichelt die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Tessa Ganserer, „als Mann mit einem rosa Kleid, der über die Frauenquote ins Parlament gekommen ist“ (Reichelt verwendet das männliche Pronomen). Alle Ausgaben von Achtung, Reichelt! werden auf der rechtspopulistischen Plattform PI News – Politically Incorrect beworben. Dort kommen in der Regel Po­li­ti­ker:­innen vom rechten Rand der AfD wie Björn Höcke zu Wort.

Reichelts Sendung gegen eine Regenbogenkita in Berlin-Schöneberg wurde auf der Kampagnenseite der Jungen Alternativen, der Jugendorganisation der AfD, verlinkt, die Ende Oktober eine Demo vor der Einrichtung organisierte. Reichelts Hetze gegen angebliche „Kinderschänder-Versteher, die zwei LGBT-Kitas eröffnen wollen“, konnten auch sie nicht übertreffen. Jede seiner Sendungen beendet Reichelt mit dem Selbstlob, er sei „der härteste Gegner von Scheinheiligkeit, Propaganda und Heuchelei in der Politik“. Da knüpft Reichelt an Gerhard Löwenthal an. Der Anhänger von Franz Josef Strauß moderierte bis 1987 das ZDF-Magazin, wo er gegen Linke aller Couleur hetzte. Wie Reichelt kannte auch Löwenthal keine Abgrenzung nach rechtsaußen. Anders als Löwenthals haben Reichelts Sendungen heute eine wesentlich größere Reichweite, die er nutzt, um rechte Diskurse in der Gesellschaft zu verankern. Und die Abgrenzung zur AfD und anderen Rechts­po­pu­lis­t:in­nen aufzuweichen. Peter Nowak

Erstveröffentlichungsort:
https://taz.de/!5914322/