Eine Regierungsbeteiligung der Grünen stoppt diesen Prozess nicht, sondern verstärkt ihn

Die Normalisierung des Militärischen in Deutschland

Bejubelt wurde die Militarisierung der deutschen Innenpolitik im Zug der Corona-Bekämpfung von der Bild-Zeitung und von fast allen politischen Parteien. Es gibt nur wenig Proteste gegen diese Militarisierung der Politik unter dem Motto "Healthcare not Warfare". In der letzten Woche gab es zum 100. Geburtstag des auch in der BRD weiter verfolgten Wehrmachtsdeserteurs Ludwig Baumann eine Plakataktion unter dem Motto "Kriegsverrat ist Friedenstat.. Dies ist eine Parole, die heute wieder sehr aktuell werden kann.

Im Bundestag übte man sich 16. Dezember in Symbolpolitik und stritt über die Sitzordnung. Die neue Bundesregierung setzte mit ihrer Mehrheit durch, dass die FDP in die Mitte zwischen SPD und Grüne rückt und folglich die Unionsparteien neben der AfD sitzen müssen. Es war eine Lektion in Gesäßpolitik mit karnevalesken Anklängen, die natürlich die AfD am besten nutzen konnte. Sie kann sich ihren Anhängern weiterhin als ausgegrenzte Partei präsentieren, neben der niemand sitzen will. Vielleicht liegt das Fremdeln der Union mit der neuen Sitzordnung schlicht daran, dass sie einen Grundsatz ihres ehemaligen Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß …

… nicht einhalten konnte. Der wollte rechts von der Union nur noch die Wand sehen – und jetzt sitzt rechts von ihr die AfD.

Der Euphemismus von der atomaren Teilhabe

Der Drang in die Mitte in der Sitzordnung ist natürlich reine Symbolpolitik. Statt über Inhalte wird über Sitzordnungen und Gesäßpolitik gestritten. Da wird auch kaum darüber geredet, dass diese Mitte heute längst eine Militarisierung der deutschen Politik akzeptiert hat, die noch vor einigen Jahren für große Proteste gesorgt hätte.

Die Publizistin Charlotte Wiedemann, deren gesellschaftskritische Texte stets lesenswert sind, machte sich in der taz Gedenken darüber, dass ausgerechnet die Grünen, die ja mal als Öko- und Friedenspartei gegründet wurden, heute die Militarisierung der Politik mittragen und das als „atomare Teilhabe“ verkaufen. Wiedemann stellt dann klar, was sich hinter diesem euphemistischen Begriff verbirgt

Beim Luftwaffengeschwader in Büchel, Rheinland-Pfalz, liegen zwei Dutzend Bomben mit einer Zerstörungskraft, die als x-faches Hiroshima berechnet wird, und sie werden von deutschen Piloten im Kriegsfall Richtung Osten zum Einsatz gebracht. Bisher standen dafür Tornados bereit, die als veraltet gelten. Anstatt dies zum Anlass zu nehmen, die anachronistische Bewaffnung abzuschaffen, werden nun 45 extrem teure neue Jets gekauft, vermutlich in den USA. 

Charlotte Wiedemann, taz

Es ist natürlich nicht falsch, dass Wiedemann daran erinnert, dass viele Grüne der ersten Stunde Atomraketenstandorte blockiert haben. Aber wie sich beispielsweise eine Petra Kelly zur Politik der Grünen heute positionieren würde, muss offen bleiben. Schließlich richtete sich der Protest auch der frühen Grünen sowie des großen Teils der deutschen Friedensbewegung dagegen, dass die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition im damals geteilten Deutschland Atomwaffen stationieren.

Linke Kritiker der deutschen Friedensbewegung wie Wolfgang Pohrt hatten nicht ganz unrecht damit, dass sie kritisierten, dass viele damals nicht gegen Atomwaffen allgemein auf die Straße gegangen sind, sondern gegen Waffen der Alliierten auf deutschem Boden. Schon der Begriff „atomare Teilhabe“ macht deutlich, dass heute eine souveräne Mittelmacht im geopolitischen Konzert der kapitalistischen Staaten mitspielt.

Entsprechend ist auch der Widerstand gegen die Militärpolitik nicht besonders stark, auch wenn Umfragen ein anderes Bild ergeben, wie Charlotte Wiedemann richtig feststellt. Doch die Normalität des Militärs im bundesdeutschen Alltag kann man nicht nur daran feststellen, dass der Bundestag lieber über eine Sitzordnung als über die atomare Teilhabe streitet.

Wie Soldaten auf ihren Einsatzalltag zurückblicken

Dazu braucht man nur öfter den Deutschlandfunk zu hören, der sicher kein Staatsrundfunk ist, aber schon die offizielle mediale Verkörperung der bundesdeutschen Politik darstellt. Dort lief am 15. Dezember eine Sendung, in der Soldaten auf ihren Einsatzalltag zurückblickten. Und es ist schon bemerkenswert, wenn 90 Minuten lang nur die Ideologie von Bundeswehrangehörigen verbreitet wird, die betonen, dass es für sie nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung ist, Soldat zu sein. So erscheint es dann nur folgerichtig, dass ein in Afghanistan verwunderter Bundeswehrangehöriger selbstverständlich wieder nach Afghanistan zurückgegangen ist.

Für ihn wie die anderen Soldaten war auch klar, dass sie im Krieg waren und nicht in einem Einsatz des bewaffneten Arms von Amnesty International, wie es manche Grüne anfangs verkauft haben. Das war allerdings zu einer Zeit, als beispielsweise der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei noch nicht über sich lesen wollte, dass er beim Großen Zapfenstreich in Münster kurz auf der Bühne gewesen war und den Augenzeugen Bernd Drücke als Verleumder bezeichnete, bis Nachtwei schließlich zugeben musste, dass Drücke recht hatte.

Heute würde Nachtwei wohl nicht mehr so vehement gegen solche Berichte über seinen Mangel an Distanz zur Bundeswehr vorgehen. In der Deutschlandfunk-Sendung zumindest gab er den Soldaten keine Widerworte, sondern betonte, wie wichtig es doch sei, dass sie hier öffentlich ihre Geschichten erzählen.

Die einzigen Widerworte in der Sendung kamen, als die Mails der Hörerinnen und Hörer verlesen wurden. Da stellten viele die Frage, warum nicht von den Opfern der Bundeswehr in Afghanistan die Rede ist und warum nicht Kritik geäußert wird, wenn Bundeswehroffiziere betonen, keine Politik zu machen, sondern Befehle auszuführen.

Wer spricht über die Opfer der Bundeswehr?

Was auffiel, war das völlige Verschweigen der Opfer auch der Bundeswehr in Afghanistan. Da fällt einem natürlich sofort das Massaker in Kunduz ein, dass der deutsche Oberst Klein zu verantworten hatte. Er wurde nicht etwa bestraft, sondern befördert. Der Berliner Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz erinnerte unlängst in einem Interview mit dem Neuen Deutschland daran, dass der Generalbundesanwalt das Verfahren gegen Klein nach wenigen Monaten eingestellt hatte.

„Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof entschied, dass die deutsche Justiz in diesem Fall ausreichend ermittelt hat. So blieb ein Kriegsverbrechen sowohl von der deutschen als auch der Justiz der Europäischen Union ungesühnt.“

Das betraf auch schon Kriegsverbrechen der Nato während des Krieges im damaligen Jugoslawien. Die Opfer des Nato-Luftangriffs auf die Brücke von Vavarin scheiterten mit ihren Versuchen, eine juristische Aufarbeitung anzustrengen. Die Unterstützung für sie aus der vielzitierten Zivilgesellschaft blieb weitgehend aus.

Militarisierung in der Corona-Pandemie

Das gilt auch für die Militarisierungstendenzen im Zuge der Pandemie-Politik So wurde von Olaf Scholz Generalmajor Carsten Breuer zum Leiter eines Corona-Krisenstabs ernannt. Breuer machte im Interview mit dem Deutschlandfunk klar, dass es um eine Normalisierung des Militärischen und der Bundeswehr geht. Mittlerweile wird das Kontingent der Bundeswehr bei der Corona-Bekämpfung auf 12.000 Personen aufgestockt.

Ekkehard Lenz von der Initiative Frieden links machte vor wenigen Tagen im Interview mit der jungen Welt darauf aufmerksam, dass Breuer das Weißbuch der Bundesregierung mit verfasst hat, in dem Kriegseinsätze als notwendig für die Ressourcen- und Transportwegsicherung für deutsche Kapitalinteressen definiert werden.

Bejubelt wurde die Militarisierung der deutschen Innenpolitik im Zug der Corona-Bekämpfung von der Bild-Zeitung und von fast allen politischen Parteien. Es gibt nur wenig Proteste gegen diese Militarisierung der Politik unter dem Motto „Healthcare not Warfare“.

In der letzten Woche gab es zum 100. Geburtstag des auch in der BRD weiter verfolgten Wehrmachtsdeserteurs Ludwig Baumann eine Plakataktion unter dem Motto „Kriegsverrat ist Friedenstat“. Dies ist eine Parole, die heute wieder sehr aktuell werden kann. (Peter Nowak)