Ein linkes Bündnis macht einen Diskussionsvorschlag, der über die Klimabewegung hinaus von Interesse sein könnte

Über das Ende des automobilen Kapitalismus

Der letzte Teil der Broschüre beschäftigt sich mit Wegen zum Ausstieg aus dem automobilen Kapitalismus. Erfreulich ist es, dass hier kein detailliertes Programm formuliert wird. Das wäre auch anmaßend. Vielmehr werden einige Vorschläge gemacht und auch Fragen und Unklarheiten nicht verschwiegen. Klar ist aber, dass für die Autoren der Broschüre ein "Zurück zur Natur" ebenso wenig die Lösung sein kann, wie eine generelle Absage an die Technik.

Am Montag haben in Berlin unter dem Motto „August Riseup“ in Berlin Aktionen der außerparlamentarischen Klimabewegung begonnen. Auch ein Camp im Berliner Regierungsviertel wurde aufgebaut. Mit Aktionen des zivilen Ungehorsams soll der Druck „für ein …

… konsequentes Handeln in der Klimapolitik“ verstärkt und die „Aufmerksamkeit auf die Klimakrise und das Versagen der Regierung gelenkt werden“, wie es etwas vage auf der Homepage der Klima-Aktivistenheißt.

„Nieder mit Kohle und Kapitalismus“

Antikapitalistischere Töne waren schon am vergangenen Freitag zu hören, als die Klimabewegung Fridays for Future in verschiedenen Städten zu Protesten aufgerufen hatte. Auf der Demonstration in Frankfurt Main wurde schon am Leittransparent deutlich, dass es gegen Kohle und Kapitalismus geht, wie auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte. Beteiligt war an diesen Protesten auch das bundesweite linke Bündnis „Ums Ganze“, das kürzlich eine Broschüre mit dem Titel „Nichts ist Unmöglich – über den automobilen Kapitalismus und sein Ende“ veröffentlicht hat, die auf seiner Homepage heruntergeladen werden kann.

Darin werden historische Parallelen zu Henry Ford gezogen, der einem ganzen kapitalistischen Akkumulationsregime seinen Namen gegeben hat: dem Fordismus. Kennzeichnend für diese kapitalistische Periode war die Massenfertigung in großen Fabriken mit oft in einer Gewerkschaft organisierten Lohnabhängigen. In Deutschland kam es zu einem in der Broschüre kritisierten Klassenkompromiss zwischen Kapital und Arbeit. Etwas schematisch ist die Kritik, dass diese „Sozialpartnerschaft“ vor allem „zu Lasten von Mensch und Natur im globalen Süden“ gegangen sei. Schließlich fand die Mehrwertproduktion in Deutschland statt.

Der Gesundheitswissenschaftler Wolfgang Hien hat in seinen vor wenigen Jahren erschienen Büchern „Die Arbeit des Körpers“ und „Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn“ die Zumutungen benannt, die im fordistischen Kapitalismus den Beschäftigten auferlegt wurden und von ihnen oft noch als notwendige Opfer rationalisiert wurden. Zudem darf nicht ausgeblendet werden, dass der globale Süden in Form der migrantischen Arbeitskraft in den fordistischen Fabriken besonders ausgebeutet wurde. Beim berühmten Ford-Streik der vornehmlich türkischen Beschäftigten 1973 in Köln begannen sich Teile dieser Lohnabhängigen zu wehren.

Zudem ist der Globale Süden auch von dem Massentourismus betroffen, der mit Easyjet und RyanAir vor der Corona-Pandemie immer neue Höhen erreichte. Das Ums-Ganze-Bündnis hat hierzu in aller Kürze eine sehr differenzierte Position. Es sieht im Recht auf Mobilität für alle Menschen durchaus eine zivilisatorische Leistung, die auch in der Arbeiterbewegung erkämpft wurde. Das bedeute aber eben nicht, „die armseligen Konsum- und Freizeitangebote des sogenannten Westens wie Easyjet-Tourismus und Massentierhaltungswurst aggressiv zu verteidigen“, wie es in dem Text heißt. Es bleibt allerdings die Frage, was konkret damit gemeint ist, wenn es in der Broschüre heißt: „Ein Klassenstandpunkt im Klimakomplex müsste die Bedürfnisbefriedigung in den Blick nehmen, und zwar nicht im Sinne eines moralischen Appells, sondern als politisches Ziel und in globaler Perspektive.“

Kampf gegen automobilen Kapitalismus und seine grünen Wiedergänger

Mit dem vorgeschlagenen Kampf gegen die automobile Gesellschaft geht es natürlich auch um einflussreiche Konzerne, denen von den Staatsapparaten im Interesse des Standortes Deutschland der rote Teppich ausgerollt wurde. Dabei erteilen die Verfasser der Broschüre auch dem „grünen Kapitalismus“ eine Absage. Das zeigt sich schon in der Erläuterung, dass sich das Pamphlet „gegen den automobilen Kapitalismus und seinen grünen Wiedergänger“ richte. Betont wird, dass auch der grüne Kapitalismus nicht ohne Unmengen von Ressourcen auskommt.

„Den generellen Widerspruch von Kapitalismus und Natur kann auch ein grüner Kapitalismus nicht lösen, er muss ihn in sich aufnehmen. Gleichwohl bestimmt von FDP bis zum Green New Deal der Mythos einer systemimmanenten Krisenlösung die Diskussion um die Bewältigung der Klimakrise. Aber der Mythos wird langsam als solcher sichtbar: Diese Krise ist keine Krise eines fehlenden politischen Willens oder fehlender ökonomischer Anreize, sondern eine Systemkrise.“ 

(Aus „Nichts ist Unmöglich – über den automobilen Kapitalismus und sein Ende“)

Folgerichtig wird den in grünen Kreisen beliebten E-Autos eine Absage erteilt. Gut wird auch eine grüne Lifestyle-Ideologie kritisiert, wo ein Biobecher oder ein E-Auto als Distinktionsgewinn dient, mit dem sich das grüne Milieu vor allem von den Dieselfahrern abgrenzen will.

In der Broschüre wird die Auseinandersetzung zwischen Anhängern fossil betriebener und elektrischer Autos etwas flapsig als „Kampf zwischen Diesel-Nazis und Elektrojüngern“ interpretiert. Dabei wird in anderen Textpassagen gut erklärt, dass viele Menschen auf ein Auto angewiesen sind, weil der öffentliche Nahverkehr so miserabel ist.

Kommunistische Mobilitätswende: kein „Zurück zur Natur“

Der letzte Teil der Broschüre beschäftigt sich mit Wegen zum Ausstieg aus dem automobilen Kapitalismus. Erfreulich ist es, dass hier kein detailliertes Programm formuliert wird. Das wäre auch anmaßend. Vielmehr werden einige Vorschläge gemacht und auch Fragen und Unklarheiten nicht verschwiegen. Klar ist aber, dass für die Autoren der Broschüre ein „Zurück zur Natur“ ebenso wenig die Lösung sein kann, wie eine generelle Absage an die Technik. Betont wird stattdessen:

Elektrifizierung, Automatisierung, Digitalisierung usw. sind Errungenschaften, die in einer befreiten Gesellschaft zentrale Werkzeuge sein werden, um materiellen Wohlstand für alle zu garantieren, während die Zeit, die Menschen zur Herstellung dieser Waren aufwenden, auf ein notwendiges Minimum gedrückt werden.

Die konkreten Vorschläge für eine „kommunistische Mobilitätswende“ haben Reformcharakter. Dazu gehört auch der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und die Sozialisierung der Autoindustrie. Auch das heikle Thema, „wie hält es eine Klimabewegung mit den Beschäftigten der Autoindustrie und ihren Gewerkschaften?“ wird in der Broschüre thematisiert, aber letztlich offengelassen.

„Was passiert mit den Stätten der Autoindustrie?“ lautet eine weitere Frage. Dort wird konstatiert, dass die eben nicht einfach zur Produktion anderer Gegenstände genutzt werden können. Anderseits wird die Möglichkeit einer Transformation der Produktionsstätten diskutiert. Darüber müssten natürlich in erster Linie die Beschäftigten entscheiden. Da es sich aber um ein immanent gesellschaftliches Problem geht, müssten Diskussion und Entscheidung auch auf gesellschaftlicher Ebene laufen.

Es kann nicht auf der Ebene einer Fabrik oder einer Branche über die Fortführung oder den Stopp der Automobilindustrie entschieden werden. In diesem Kapitel werden auch Initiativen von Automobilbeschäftigten positiv erwähnt, die schon heute nach Alternativen für die Automobilgesellschaft suchen. Erst kürzlich hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung unter dem Titel „E-Mobilität – ist das die Lösung?“ untersucht, wie die Beschäftigten der Autoindustrie darauf reagieren, dass die Produkte, die sie herstellen, mittlerweile gesellschaftlich umstritten sind.

Dabei stellte sich heraus, dass sie durchaus nicht alle den Diesel verteidigen – und natürlich auch Interesse an einer intakten Umwelt haben. Wichtig ist dabei, dass sie nicht als Schuldige der Klimakrise hingestellt werden. „Ohne eine breite gesellschaftliche Bewegung, die Druck in diese Richtung entfaltet, wird nichts passieren. Die IG Metall hätte das Potenzial, Protagonistin einer solchen Bewegung zu sein. Sie muss nur über ihren eigenen Schatten springen“, schreibt Jörn Boewe, einer der Autoren der Studie in der Wochenzeitung Freitag.

Die Broschüre des Ums-Ganze-Bündnisses könnte ein Beitrag zu einer solchen Bewegung sein. Vom 7. bis zum 12. September sind in München bundesweite Proteste gegen die Internationale Automobilausstellung geplant. Das Ums-Ganze-Bündnis ist Teil davon. Auch dafür könnte ihr Text eine gute Diskussionsgrundlage sein. (Peter Nowak)