»Protest trotz Ausgangssperre: Polizei Hannover lässt Demonstranten in der Nordstadt gewähren«, titelte die Hannoversche Allgemeine am 2. April. In der Nacht zuvor hatten in dem linksalternativ geprägten Hannoveraner Stadtteil Nordstadt etwa 50 Personen gegen die dort wegen der Covid-19-Pandemie verhängten Ausgangssperre protestiert. Sie skandierten Sprüche wie …
… »Ausgangssperre ist Populismus«, zündeten Feuerwerk und forderten einen »solidarischen Lockdown« sowie die Freigabe von Impfpatenten, wie die Zeitung berichtete. Eine Polizeisprecherin bestätigte, alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätten Mund-Nasen-Bedeckungen getragen. In Hamburg sind die seit dem 2. April geltenden nächtlichen Ausgangssperren voraussichtlich noch bis zum 18. April in Kraft. Hier darf man allerdings weiterhin alleine spazieren gehen, auch nachts. Im Stadtteil Sankt Pauli demonstrierten kurz vor Inkrafttreten der Beschränkungen etwa 250 Linke dafür, die Produktion in den Betrieben herunterzufahren, statt die privaten Kontakte einzuschränken. Auf einem der Transparente wurde positiv auf die Kampagne »Zero Covid« Bezug genommen. Diese fordert eine temporäre Stilllegung aller gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft, um die Zahl der Neuinfektionen auf null zu reduzieren. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen sollen demnach geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden.
Wegen der steigenden Infektionszahlen hatten die Behörden für die Region Hannover ab dem 1. April eine nächtliche Ausgangsbeschränkung von 22 bis 5 Uhr angeordnet, das Verlassen von Wohnungen und Häusern war in dieser Zeit nur mit einem triftigen Grund erlaubt. Zwar hatte die Polizei angekündigt, Verstöße gegen die Ausgangssperre konsequent zu ahnden, das verfassungsmäßig garantierte Recht, sich – auch spontan – zu versammeln, ist aber ein solch triftiger Grund. »Versammlungen dieser Art rechtfertigen eine Ausnahme von der Ausgangssperre, weil sie – ähnlich wie die Teilnahme an nächtlichen Ostergottesdiensten, die ja auch ausdrücklich erlaubt war – auf ein höheres Rechtsgut verweisen«, begründete dies ein Polizeisprecher. Auch in den beiden folgenden Nächten kam es zu Protesten. Die Ausgangsbeschränkung, deren Dauer eigentlich bis zum 12. April geplant war, wurde jedoch nach wenigen Tagen wieder aufgehoben: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg stufte die Ausgangssperre in zweiter Instanz im Eilverfahren als unverhältnismäßig und unnötig ein.
Im Berliner Ortsteil Kreuzberg kam es in der Nacht zum 1. April zu spontanen Ausschreitungen. In der Stadt ist nachts der Aufenthalt im Freien nur allein oder zu zweit gestattet. Als Polizeibeamte die Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln in dem beliebten Park am Gleisdreieck kontrollierten und eine hinzugerufene Einsatzhundertschaft gezielt Grüppchen ansprach, eskalierte die Situation. Etwa 100 Jugendliche griffen die Polizisten und Polizistinnen mit Steinen und Flaschen an und flüchteten im Anschluss unter anderem in die nahegelegene U-Bahnstation Gleisdreieck. Wie das Nachrichtenportal Tag 24 berichtete, sollen auch am folgenden Abend bis zu 70 Jugendliche die Polizei unter anderem mit Steinen und einem Feuerlöscher attackiert haben. Erst eine hinzugerufene Hundertschaft habe die Situation wieder unter Kontrolle gebracht, einige Personen wurden vorläufig festgenommen.
Am 10. April fand hauptsächlich online ein Aktionstag der Zero-Covid-Kampagne statt. Wie auf einer klassischen Kundgebung gab es Redebeiträge unter anderem von einer Pflegerin und Gewerkschafterin und von Zero-Covid-Ortsgruppen aus verschiedenen Städten. Der Livestream am Samstagabend hatte etwas mehr als 2 00 Aufrufe und muss damit als eher kleine bundesweite Demonstration gelten. Unter den Hashtags #BezahltePause und #ZeroCovidDayOfAction wurden die Forderungen, die Wirtschaft stillzulegen und nicht nur beinahe ausschließlich das Privatleben, auch in den sozialen Medien geteilt. An vielen Orten gab es auch kleinere oder größere Kundgebungen. In Berlin demonstrierte eine Kundgebung vor dem Hauptgebäude der Charité Solidarität mit den Pflegekräften, vor dem Verband der Autoindustrie hieß es »Close factories not parks«. Die Petition der Kampagne, die einen »solidarischen europäischen Shutdown« fordert, haben bisher knapp 111 00 Menschen unterschrieben.
Zahlenmäßig bleiben diese Proteste weit hinter den Mobilisierungen der Coronaleugner von rechts zurück. Diese rufen für das kommende Wochenende erneut auf, nach Berlin zu kommen, um gegen die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes zu protestieren, die das Parlament voraussichtlich in dieser Woche beschließen wird. Damit sollen die Coronaregeln in Deutschland vereinheitlicht werden und eine bundesweit geltende »Notbremse« für Regionen beschlossen werden, in denen die Inzidenz bei 100 Infizierten pro 100 00 Einwohner und Einwohnerinnen binnen einer Woche oder höher liegt. Peter Nowak