Die Bewegung der rechtsoffenen Gegner der Corona-Maßnahmen ist von verschiedenen Seiten unter Druck. Entstehen neue Initiativen, vielleicht auch von links?

Querdenken in der Krise – Chance für Linke?

In Berlin gibt es eine kleine Alternative in den nächsten Tagen. Während die Querdenker abgesagt haben, mobilisiert das Bündnis Berlin gegen Rechts am 30. Dezember zu einer linken Demonstration unter dem Motto "Nachdenken statt querdenken". Vorher ruft noch ein weiteres linkes Bündnis unter dem Motto "FCK 2020 - Für ein besseres Morgen" zu einer sozialpolitischen Aktion auf.

Die wochenlang angekündigte Demonstration der Querdenken-Bewegung in Berlin fällt aus. Querdenken-Gründer Ballweg hat sogar eine Demopause für die nächsten Wochen angekündigt. Das ist schon eine Zäsur. Schließlich gehört ja zur Erzählung der Corona-Maßnahmenkritiker, dass sie sich in einem ….

…. Notstand – manche reden gar von einer beginnenden Diktatur – befinden und sie sich als Widerstand inszenieren. Dazu gehörte auch, sich gegen Demonstrationsverbote zu wehren und sie nicht einfach hinzunehmen. In Berlin war zunächst am 31. Dezember eine Großdemonstration geplant. Im Rahmen der Corona-Schutzmaßnahmen war aber ein generelles Demonstrationsverbot für den 31. Dezember und den 1. Januar erlassen worden. Ob es juristisch Bestand gehabt hätte, ist fraglich. Schließlich ist ja medizinisch schwer zu begründen, warum eine Demonstration gerade an den beiden Tagen nicht möglich sein soll.

Niemand behauptet, dass die medizinische Lage an diesen beiden Tagen prekärer ist als einen Tag davor oder danach. Als dann die Querdenken-Organisatoren ihre Demonstration auf den 30. Dezember vorverlegen wollten und erneut ein Verbot erfolgte, war klar, dass nicht virologische, sondern politische Gründe dahinterstanden. Damit wäre es durchaus möglich gewesen, dass die Justiz wie schon im August das Demonstrationsverbot aufgehoben hätte.

Allerdings gab es mittlerweile auch mehrere justizfeste Verbote von Querdenken-Demonstrationen. Dass dieses Mal der Rechtsweg gar nicht erst bestritten wurde, liegt allerdings vor allem an der Krise der Querdenken-Bewegung.

Streit in der Querdenken-Bewegung

Ein Treffen zwischen führenden Querdenken-Aktivisten und bekannten Reichsbürgern in Thüringen im November hat zu internen Verwerfungen geführt. Es gab natürlich in der kurzen Entstehungszeit der Querdenken-Bewegung immer wieder Streit. Doch dieses Mal steht Michael Ballweg selbst im Fokus der Kritik. Er war eindeutig das Gesicht der Bewegung und hatte auch immer den Eindruck vermittelt, ein Mann aus der Mitte der Gesellschaft zu sein, der mit ideologischen Auseinandersetzungen wenig zu tun hat.

Ihm glaubten manche, wenn er erklärte, mit „Extremisten von links und rechts“ nichts zu tun zu haben. Nun werfen auch manche aus der Querdenken-Bewegung Ballweg vor, das Treffen mit den Reichsbürgern (Meine Erfahrungen mit Querdenken) vorangetrieben zu haben.

Querdenken und die Fankultur

Es gibt auch noch neue Rechercheergebnisse, die den Verdacht nahelegen, dass Ballweg von seinen Querdenken-Aktivitäten finanziell profitiert. Die Meldungen sind nicht neu, bereits im November berichtete die FAZ darüber. Auch eine Pressemeldung der Querdenken-Bewegung warf weitere Fragen auf.

Wird doch dort auch klargestellt, dass Ballweg als Privatperson anders als Parteien nicht an die Transparenzpflicht gebunden ist. Nun hat Netzpolitik.org gemeinsam mit dem liberalen ZDF-Projekt Royale weitere Rechercheergebnisse präsentiert, die nahelegen, dass auch die Steuerfahndung mittlerweile eingeschaltet ist. Allerdings sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass das ZDF-Projekt Royale bisher eher wie eine liberale NGO agiert, wenn es dem guten Zweck Böhmermanns dient.

„Liebe, Frieden, Volksverräter“ – eine Antifa-Recherche

Dagegen wäre auch nichts einzuwenden. Es muss nur vorher klargestellt werden. Kürzlich ist auch eine längere Recherche unter dem Motto „Liebe, Frieden, Volksverräter“ veröffentlicht worden, die den Anspruch hat, rechte und verschwörungstheoretische Strategien während der Corona-Pandemie zu analysieren. Tatsächlich ist es ein umfangreiches Dossier geworden, für die die North East Antifa, eine langjährige Berliner Antifa-Gruppe, verantwortlich zeichnet.

Man hätte gerne gewusst, ob daran weitere Gruppen mitgearbeitet haben und wie die Arbeit finanziert wurde. Schließlich handelt es sich tatsächlich um eine akribische Recherche, in die viel Zeit und Arbeit geflossen sein muss. Hier zeigt sich auch, dass der Verfassungsschutz überflüssig ist. Die Daten, die von der NEA zusammengetragen wurden, sind eine Art alternativer Verfassungsschutz. So verstehen sich auch viele Antifa-Gruppen.

Nur sollte es dann auch eine Alternative bei der Transparenz geben. Der Verfassungsschutz will möglichst keine Angaben über seine Arbeitsweise geben. Selbst jahrelange Prozesse von Personen, die ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind, haben nur Erfolg, wenn ein bekannter Publizist wie Rolf Gössner klagt.

Alternativer Verfassungsschutz und die Frage der Transparenz

Auch der „Alternative Verfassungsschutz“ will natürlich seine Quellen und seine Arbeitsweise möglichst nicht bekannt geben, es könnten ja die Gegner profitieren. Doch ein Mindestmaß an Transparenz muss schon eingefordert werden, weil solche Veröffentlichungen durchaus gesellschaftliche Folgen haben und Menschen stigmatisieren können. Es liegt also eine große Verantwortung bei den Gruppen, die solche Daten recherchieren und veröffentlichen.

Es wäre daher sicher auch eine Hilfe für sie, wenn man sich auf Transparenzregeln verständigen könnte. In dem Dossier wird das Agieren rechter Akteure in der Bewegung dokumentiert, die mehrheitlich selbst nicht rechts ist, aber auch nicht bereit ist, sich davon abzugrenzen. So wurde der Begriff der rechtsoffenen Bewegung gewählt.

Dabei wird in dem Dossier auch erwähnt, dass Hendrik Sodenkampf, einer der Initiatoren der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“, die die Hygienedemos organisierte, am 9. Mai einige Neonazis vergeblich des Platzes verweisen wollte. Er wurde dafür von einem großen Teil des Publikums als Spalter beschimpft. Das wäre in der Tat der Zeitpunkt gewesen, wo Sodenkamp und Anselm Lenz alle weiteren Aktionen hätten absagen müssen.

Einige Wochen später gab es erneut eine solche Szene, als gegen den Willen der Veranstalter, ein als Volkslehrer firmierender antisemitischer Blogger, der auch gegenüber der NPD keine Berührungsängste hat, reden durfte. Eine große Mehrheit der Zuhörer stimmte dafür, dass er reden kann. Das Dossier zeigt aber auch die Kurzlebigkeit der Bewegungen der letzten Monate. Die Aktivitäten gegen die Corona-Maßnahmen begannen Ende März und zunächst war die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ federführend.

Doch schon einige Wochen später gab es internen Streit und die Bewegung verlor bereits im Frühsommer an Bedeutung. Dann begann die Hochphase der Querdenken-Bewegung. Beide wurden von den Medien auch immer hochgeschrieben. Manchmal bediente man direkt die Mythen der Bewegung, so beim rechten Fotoshooting auf der Parlamentstreppe am 31. August, das gleich zum versuchten Sturm auf das Parlament hochgeschrieben wurde, der dann angeblich von drei Polizisten verhindert wurde, die sofort vom Bundespräsidenten ausgezeichnet wurden.

Einer der so geehrten Polizisten war kurze Zeit später, an verantwortlicher Stelle bei der Räumung des linken Hausprojekts Liebigstraße 34 zugange. Die freiheitliche Gesellschaft, bedroht von den Extremen von links und rechts, lautet die bekannte offizielle Erzählung, die hier wieder einmal bedient wurde.

Leider wurde auch in der Antifa-Dokumentation das Narrativ vom Sturm auf das Parlament nicht kritisch hinterfragt. Statt von Verschwörungserzählungen, einem Begriff, der sich auf die Theorien von Karl Popper bezieht, könnte man von Irrationalismus reden.

Linke Alternative zu rechtsoffenen Demos und Regierungspropaganda

Positiv anzumerken bleibt, dass die Verfasser des Dossiers mehrmals betonen, dass eine soziale Alternative fehlt.

Die offensichtlichen Widersprüche des modernen Kapitalismus werden von den Verschwörungsgläubigen im Gegensatz zur analytischen Kritik einer modernen Linken, nicht auf das kapitalistische System als solches zurückgeführt, sondern auf vermeintlich böse Mächte, die dieses System beherrschen sollen, die in Folge dessen für alle Schändlichkeiten des Kapitalismus verantwortlich gemacht werden. Demzufolge sollten wir klare soziale Forderungen zur Bewältigung der Auswirkungen sozialer Schieflagen im Rahmen der sich anbahnenden Wirtschaftskrise stellen. Begrifflichkeiten wie die „Herrschenden“ und die „Eliten“, welche auch von Verschwörungsgläubigen verwendet werden, sollten, wenn sie von uns verwendet werden, klar ausdifferenziert werden.

Aus der Dokumentation Liebe, Frieden, Volksverräter

Da stellt sich die Frage, ob die Verfasser, Karl Marx und Friedrich Engels zu den modernen Linken rechnen. Schließlich haben sie das wesentliche theoretische Rüstzeug geliefert, damit die Zumutungen des Kapitalismus nicht auf böse Mächte geschoben, sondern durch die Profitmaximierung erklärt werden können. Gerade manche moderne Linke, die von Marx und Engels nichts mehr wissen (wollen), kommen zu einer moralischen Kapitalismuskritik.

Tatsächlich gab es auch schon Zeiten, wo statt diffus von „Herrschenden“ von „Kapital und Arbeit“ gesprochen wurde. Es gab aber immer wieder Linke, die solche Begrifflichkeiten für unmodern hielten. Im Dossier bleibt eine Leerstelle. Es gib keine Positionierung gegen autoritäre Staatlichkeit, die doch seit dem Frühjahr 2020 auch immer wieder linke und antirassistische Proteste verunmöglichte oder erschwerte.

Keine klare Kritik an autoritärer Staatlichkeit

In dem Absatz werden Fragen gestellt und das ist gut.

Des Weiteren sollte sich eine antifaschistische Linke in der Kritik an den Anti-Corona-Maßnahmen, eine wissenschaftliche Betrachtungsweise aneignen. Gibt es eine seriöse wissenschaftliche Alternative zu den momentanen Kontaktbeschränkungen oder wären wir als linke Akteure, in einer wie auch immer sozialistisch, anarchistisch oder kommunistisch strukturierten Gesellschaft zu analogen Regelungen in der Bekämpfung einer gefährlichen Pandemie gezwungen?

Aus der Dokumentation Liebe, Frieden, Volksverräter

Da Wissenschaft Politik nicht ersetzen kann, bleibt unklar, wo sich die eingeforderte wissenschaftliche Betrachtungsweise von der aktuellen Politik unterscheidet. Die Frage in dem Absatz kann man geschichtlich beantworten. In den Jahren 1917-1919 traf ein Virus, das für die sogenannte Spanische Grippe verantwortlich war, auf eine Welt im Aufruhr. Es gab in vielen Ländern täglich Demonstrationen, Fabrikbesetzungen und Streiks, in verschiedenen Ländern wurden Räterepubliken ausgerufen. Es gab und gibt also durchaus Alternativen zu den Kontaktbeschränkungen.

Daher müsste die Forderung „Kein Lockdown für die Grundrechte“ der Minimalkonsens einer außerparlamentarischen Linken sein. In Berlin gibt es eine kleine Alternative in den nächsten Tagen. Während die Querdenker abgesagt haben, mobilisiert das Bündnis Berlin gegen Rechts am 30. Dezember zu einer linken Demonstration unter dem Motto „Nachdenken statt querdenken“.

Vorher ruft noch ein weiteres linkes Bündnis unter dem Motto „FCK 2020 – Für ein besseres Morgen“ zu einer sozialpolitischen Aktion auf. Peter Nowak