Wer sich bei den US-Wahlen auch durchsetzen wird, Biden oder Trump stehen in der Tradition der repressiven Geschichte der US-Demokratie. Ein Kommentar.

Viel Mythos um die US-Wahl

Ein weiterer Mythos, der die Wahlberichterstattung in Deutschland prägte, ist die Erzählung, dass die Amtszeit von Trump ein Bruch mit der US-Geschichte gewesen sei, die angeblich von Freiheit und Demokratie geprägt gewesen sei. Man muss gar nicht in ein US-Bashing verfallen und den USA eine imperialistische Außenpolitik vorwerfen. Denn damit unterscheidet sie sich nicht von anderen kapitalistischen Staaten.

Am Ende setzte sich doch bei dem US-Wahlen das Worst-Case-Szenario durch. Das Endergebnis hängt von den Briefwahlstimmen von einzelnen Swing-States ab. Sofort entbrennt ein Streit über deren Gültigkeit. Nun ist ja auch in Deutschland bekannt, dass es bei Briefwahlen viele Möglichkeiten gibt, auch unbeabsichtigt ungültig zu stimmen. Da braucht jemand nur ….

…. die Unterschrift auf dem falschen Formular anbringen, das Kreuz nicht direkt im vorgesehenen Ort platzieren und vieles mehr. Es muss dann jeweils individuell entschieden werden, ob die Unterschrift gültig ist oder nicht. Und das vor einer Kulisse, wo klar ist, dass es die entscheidenden Stimmen sein können, die über die Präsidentschaft von Biden oder Trump entscheiden. Da wird eine Menge Druck auf die aufgebaut, die über die Gültigkeit der Stimmen entscheiden sollen. Betrugsvorwürfe sind dann nur folgerichtig. Dabei wäre zumindest in diesem Fall ohne große Probleme Abhilfe zu schaffen. Der Abgabetermin für die Briefwahlstimmen müsste deutlich vor dem Wahltermin liegen, damit sie vorher ausgezählt und das Ergebnis sicher gespeichert wird. Es müsste dann zu den Ergebnissen der Urnenwahl hinzugerechnet werden. Das würde verhindern, dass der Druck entsteht, in Swing-Staaten, in denen es um hauchdünne Vorsprünge geht, über die Gültigkeit von Briefwahlstimmen für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Das ist nur eines von vielen Beispielen für eine notwendige Reform. Doch diese Diskussion wird überlagert durch die Konfrontation Trump versus Biden, der auch in vielen linken und liberalen Kreisen als Kampf zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Gut und Böse gelabelt wird.

Nicht nur alte Weiße wählen Trump

Genau diese Zuspitzung führt auch zu einer Mythenbildung im Vorfeld der US-Wahlen. Da wurde oft ein Bild gezeichnet, dass Trump eigentlich nur bei den abgehängten Weißen Stimmen holen kann. Dann gab es das große Erstaunen, dass offenbar in Florida und anderen Swing-Staaten auch viele Latinos und Schwarze den gegenwärtigen Präsidenten gewählt haben.

Es war fast eine Stunde der Ehrlichkeit, als in der Wahlnacht im Deutschlandfunk nach 2 Uhr morgens die verschiedenen Korrespondenten selbstkritisch erklärten, dass man selber wohl auch dem Mythos aufgesessen wäre, dass Trump für Schwarze und Latinos unwählbar sei. Es war die Zeit, als sich abzeichnete, dass der von einigen Seiten prognostizierte Erdrutschsieg für Biden auch deshalb nicht eingetreten ist, weil beispielsweise in Staaten wie Florida auch viele Schwarze und Latinos Trump wählten.

Dahinter stecken oft essentialistische Vorstellungen der Linken, die auch lange Zeit nicht wahrhaben wollten, dass Arbeiter Nazis und andere rechte Bewegungen nicht nur wählen, sondern aktiv unterstützen können. Man konnte sich ein solches Verhalten nur als Folge von Betrug oder Manipulation erklären. Dahinter steht das falsche Verständnis, dass Arbeiter schon aus ihrer Klassenlage heraus linke Parteien wählen müssten oder in linken Parteien aktiv sein müssten. Als irgendwann klar war, dass die Realität anders aussieht, wurde dann mit dem Konzept der objektiven Klassenlage gearbeitet, die durch bestimmte politische Organisationen wie den Kommunistischen Parteien den Betroffenen klargemacht werden müsste.

Modernere linke Gesellschaftstheorie kritisierte mit Recht solche essentialistische Vorstellungen, die bestimmen Personengruppen auf ihrer Klassenlage oder gesellschaftlichen Stellung ein bestimmten politisches Bewusstsein und Verhalten zusprechen wollen. Dabei wird übersehen, dass nicht die Klassenlage oder die gesellschaftliche Stellung über die politischen Einstellung entscheiden, sondern die Vorstellung, die sich Menschen von der Gesellschaft und ihrer Stellung darin machen. Das gilt für die Arbeiter ebenso wie für gesellschaftliche Minderheiten wie den Latinos und den Schwarzen in den USA. Da wurde immer unterstellt, dass alle hinter der Bewegung Black Lives Matter stehen und vergessen, dass dies nur für bestimmte Gruppen in bestimmten Bundesstaaten galt. Daraus aber eine politische Präferenz von bestimmten Bevölkerungsgruppen abzuleiten nach dem Motto, Schwarze und Latinos wählen Biden, ist eben der Ausdruck eines politischen Essentialismus.

In der Wahlnacht erklärten Korrespondenten, dass manche Latinos Trump als Antikommunist wählen und durchaus nichts gegen eine Mauer an der mexikanische Grenze haben. Sie sind ja bereits auf der sicheren Seite und sehen die Menschen, die jetzt dorthin gelangen wollen, als Konkurrenz.

Corona und die US-Wahlen

Mit Erstaunen registrierten die Korrespondenten in der Wahlnacht auch, dass Corona bei Nachwahlbefragungen nicht an den ersten Stellen genannt wurde. Dabei wurde vor allem in Deutschland suggeriert, dass Trump wegen seiner Corona-Politik eine Wahlniederlage sicher erleben würde. Oft wurde auch suggeriert, dass Trump für alle an oder mit dem Corona-Virus in den USA Verstorbenen verantwortlich ist. Dabei wird übersehen, dass in der heterogenen US-Gesellschaft der Umgang mit Corona sehr divers ist, um hier mal bewusst diese Vokabel des modernen Kapitalismus zu gebrauchen.

Es gibt die Menschen, die vor allem Angst vor Corona haben und sich schützen. Sie sind in linksliberalen Kreisen beispielsweise der US-Metropolen zu finden. Sie fordern daher mehr gesellschaftliche Isolation gegen Corona. Ganz anders sieht es bei vielen Bewohnern in ländlichen Gebieten vor allem der Südstaaten aus. Die haben mehr Angst vor den Maßnahmen gegen Corona, gegen die sie sich lautstark gewandt haben. Bei ihnen findet Trump Rückhalt, als er noch kurz vor den Wahlen ankündigte, es werde in den USA keinen zweiten Lockdown geben. Dabei hat er natürlich wieder mal unterschlagen, dass er das gar nicht entscheiden kann, weil dafür die Bundesländer zuständig sind. Doch auch hier zeigt sich, dass man einem Mythos aufgesessen ist, wenn man fast zwangsläufig unterstellt, dass Trump wegen seiner Corona-Politik die Wahlen verliert. Auch hier geht es darum, wie sich die Menschen Corona und die Folgen erklären.

Mythos von der Präsidentschaft Trumps als Bruch mit der US-Demokratie

Ein weiterer Mythos, der die Wahlberichterstattung in Deutschland prägte, ist die Erzählung, dass die Amtszeit von Trump ein Bruch mit der US-Geschichte gewesen sei, die angeblich von Freiheit und Demokratie geprägt gewesen sei. Man muss gar nicht in ein US-Bashing verfallen und den USA eine imperialistische Außenpolitik vorwerfen. Denn damit unterscheidet sie sich nicht von anderen kapitalistischen Staaten.

Dass die USA in den letzten Jahrhunderten öfter in anderen Staaten intervenierten, lag an ihrer Stellung im imperialistischen System. So hat sie den Krieg gegen Vietnam von Frankreich geerbt. Natürlich hat die Außenpolitik in der Ära Trump eine besondere Färbung durch die erratische Persönlichkeit von Trump. Im Grunde aber wird sie wie bei seinen Vorgängern von der Stellung der sich verändernden Position der USA im kapitalistischen Weltgefüge bestimmt. Daher würde sich auch die Außenpolitik der USA nicht grundsätzlich ändern, wenn Biden Präsident wird, wie die Wochenzeitung „Die Zeit“ kürzlich kommentierte. (Peter Nowak)