Während die Gegner der Corona-Maßnahmen in Leipzig wieder Stärke zeigen, tut sich die linke Bewegung noch immer schwer, kritisch darüber zu diskutieren

Mehr Mut zum Streit über Corona

In der Wochenzeitung Freitag sorgte der Journalist Michael Jäger mit seinen Kommentar "Mehr Mut zum Streit" für viel Resonanz. Zu einer solchen von Jäger anregten Diskussion gehören natürlich auch Beiträge wie die von der Bloggerin Detlef Georgia Schulze auf Telepolis "Evidenz als Phrase", die mit Zahlen und Statistiken davor warnt, dass die von Jäger zitierten Wissenschaftler ihre Vorstellungen in die Praxis umsetzen können.

In Leipzig hat sich am Samstag gezeigt, dass die Gegner der Coronamaßnahmen weiterhin mobilisierungsfähig ist. Die von Oberverwaltungsgericht Leipzig erlassene Obergrenze von 16.000 Demonstranten war überschritten worden. Deshalb wurde die die Demonstration am späten Nachmittag von der Polizei aufgelöst. Die in den Medien erwähnten Demonstrationen im Leipziger Stadtteil Connewitz haben allerdings einen anderen Grund. Vor wenigen Tagen gab es Razzien der Polizei im linken Milieu. Dabei wurde gegen eine Frau Haftbefehl erlassen. In der aktuellen Berichterstattung über das Demonstrationsgeschehen in Leipzig wurde da oft nicht genug differenziert. Die große Resonanz der Querdenken-Bewegung zeigt, dass die Kritiker ….

… der Corona-Maßnahmen durch den zweiten Lockdown wieder Zulauf bekommen.

Warum brachen die Teilnehmerzahlen in Konstanz ein?

Bei den bundesweiten Querdenker-Aktionen am 3. Oktober in Konstanz hingegen war die Teilnehmerzahl wesentlich geringer. Es gibt wahrscheinlich mehrere Ursachen für diesen Rückgang. Konstanz liegt nicht besonders verkehrsgünstig in Deutschland.

Ein Grund für den Rückgang der Teilnehmer in Konstanz dürfte aber auch daran gelegen haben, dass große Teile der organisierten Rechten nicht nach Konstanz mobilisiert haben. Sie waren dagegen, dass die Querdenker-Bewegung die ursprünglich in Berlin angekündigte Demonstration kurzfristig verlegt hat. Nach Leipzig allerding mobilisierten verschiedene Rechte wieder. Schließlich ist der 7. November in Leipzig ein für die Rechte symbolisches Datum. Vor 30 Jahren wurde die Opposition gegen die autoritäre SED-Herrschaft in Leipzig zur deutschnationalen Bewegung. Der 7. November in Leipzig war der Beginn der „Wir sind ein Volk“-Bewegung mit den dazu gehörigen Schwarz-rot-goldenen Fahnen. Rechte versuchen heute an diese Aktionen anzuknüpfen. Daher hat die Demonstration am 7. November in Leipzig für die Rechten eine besondere Bedeutung.

Dass die Querdenker-Bewegung den Ort und Termin für ihre Großdemonstration auswählten, ist ein klares Statement, sich eben nicht nach rechts abgrenzen zu wollen und zu können. Konstanz hat auch gezeigt, dass die Querdenker ohne Unterstützung bundesweiter rechter Strukturen schnell an ihre organisatorischen Grenzen stößt.

Widerspruch der Corona-Maßnahmen

Ein zusätzlicher Grund für den Zulauf in Leipzig könnte auch an den Unmut liegen, der durch die aktuellen Lockdown-Maßnahmen ausgelöst wurde. Die Schließung von Restaurants, obwohl sie Hygienemaßnahmen durchgeführt haben, sorgt bei den Betroffenen für Unverständnis.

Dass auch die Kultur wieder für einen Monat pausieren muss, wird auch von Menschen kritisiert, die die Corona-Maßnahmen eigentlich unterstützen. So schreibt Markus Drescher in der Tageszeitung Neues Deutschland, die die Corona-Maßnahmen aus medizinischen Gründen verteidigt:

Wenig hilfreich für die Akzeptanz der nun entschiedenen Maßnahmen erscheint es zudem, dass diese voller augenfälliger Widersprüche stecken, die vor allem für die Betroffenen schwer auszuhalten sein dürften. So merkt etwa der Jurist Rolf Gössner an: „Einzelne der beschlossenen gravierenden Maßnahmen dürften im Übrigen unverhältnismäßig sein – genauer: gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.“ Dies gelte etwa „für die bundesweite Schließung von Gastronomiebetrieben, von Kulturbetrieben wie Theatern, Konzerthäusern und Kinos sowie für das einmonatige Verbot sämtlicher Unterhaltungsveranstaltungen“, so Gössner. 

Diese Maßnahmen basierten „auf einer dünnen, vollkommen ungesicherten Datenbasis, zumal die meisten Infektionsquellen bislang ohnehin nicht nachvollzogen und identifiziert werden können“. Bislang gebe es schlichtweg „keinerlei Hinweise oder gar Beweise dafür, dass sich etwa Restaurants, Theater oder Kinos als Infektionsherde herausgestellt hätten – im Gegenteil: Sie spielen auch laut RKI in dieser Hinsicht kaum eine Rolle.“ Der Bürgerrechtsaktivist kommt zu dem Schluss: „Eine Schließung dieser Lokalitäten und Spielstätten ist deshalb nicht zu rechtfertigen – zumal dort strenge Hygienekonzepte um- und durchgesetzt werden.“

Markus Drescher

Vorher schrieben schon andere Autorinnen im Neuen Deutschland:

Unsicherheit, Ratlosigkeit und auch Wut: Viele Künstler*innen und Kreativschaffende in Berlin sehen sich am Rande ihrer Kräfte und ihre Existenz wackeln.

„Mehr Mut zum Streit“

In der Wochenzeitung Freitag sorgte der Journalist Michael Jäger mit seinen Kommentar „Mehr Mut zum Streit“ für viel Resonanz. Jäger wendet sich gegen die These, dass es in der Corona-Frage nur ein wissenschaftliches Lager um Drosten und sonst nur Scharlatane gibt:

Gerade für uns Medienmenschen, die wir keine Pandemie-Experten sind, führt nichts an der Einsicht vorbei, dass es in der Corona-Frage zwei konträre wissenschaftliche Parteien gibt, die beide Anspruch auf Gehör haben. In der Frage der Klimakatastrophe urteilen Wissenschaftler:innen nahezu einhellig. Deshalb können Leute, die sich ihren Diagnosen verschließen, mit Recht „Leugner“ genannt werden. Die Autor:innen der jüngst veröffentlichten „Great-Barrington-Erklärung“, Martin Kulldorf, Sunetra Gupta und Jay Bhattacharya, sind aber ein anderer Fall. Kulldorf zum Beispiel war 1997 in die Beratergruppe für Krankheitskartierung der Weltgesundheitsorganisation WHO berufen worden. Er hat auch für das EU-Forschungsprojekt ADVANCE zur zeitgerechten und evidenzbasierten Analyse von Impfeffekten gearbeitet. Muss man betonen, dass das nicht heißt, dass er und seine Kolleg:innen „recht haben“? Es heißt nur, dass etwas nicht stimmt, wenn sie wie „Covidioten“ behandelt werden. Ebendas geschieht aber.

Michael Jäger

Jäger regt Diskussionen über die Frage an,

ob das pure Starren auf die Infektionszahlen die gegenwärtige Politik rechtfertigt. Wer infiziert ist, ist deshalb noch nicht krank. Am Anfang des Jahres wurde mit Hinweis auf diese Zahlen die Gefahr einer Überlastung der Krankenhäuser beschworen. Das war damals als Vorsichtsverhalten richtig. Nachdem aber der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, jetzt wieder von einem Personalmangel in den Kliniken sprach, hat die Deutsche Stiftung Patientenschutz vor „Panikmache“ gewarnt: „Die Intensivstationen in Deutschland sind weit weg von einer Überlastung“, so Vorstand Eugen Brysch. Und nun, wie argumentiert man stattdessen? Fehlanzeige.

Michael Jäger

Zu einer solchen von Jäger anregten Diskussion gehören natürlich auch Beiträge wie die von der Bloggerin Detlef Georgia Schulze auf Telepolis „Evidenz als Phrase“, die mit Zahlen und Statistiken davor warnt, dass die von Jäger zitierten Wissenschaftler ihre Vorstellungen in die Praxis umsetzen können.

Bei dem Papier von Streeck, KBV u.a. handelt es sich also nicht um eine Verschwörungstheorie (sie behaupten ja nicht, das Virus existiere nicht oder rufe keine Erkrankung hervor und das Virus bzw. die Erkrankung seien nur eine Erfindung, um endlich mal Lockdown-Maßnahmen verfügen zu können – oder ähnliche Absurditäten). Vielmehr handelt es sich bei dem Kreis um Streeck allenfalls selbst um eine Verschwörung ;-) – die allerdings gar nicht im Geheimen stattfindet, sondern auf offener Bühne propagiert wird – zur billigenden Inkaufnahme (bedingter Vorsatz) des massenhaften Todes von Rentenempfängern.

Detlef Georgia Schulze

Tatsächlich kann man Michel Jägers Appell „Mehr Mut zum Streit“ nur zustimmen. Aber dann müssten tatsächlich die Kontroversen angesprochen werden. Detlef Georgia Schulze, der mit Fakten und Zahlen argumentiert und jemand, der dagegen setzt, dass damit allein die Maßnahmen nicht begründet werden können, wäre eine solche Konstellation. 

Es stellt sich tatsächlich die Frage, warum diese Diskussionen so selten sind. Der Lockdown kann die Ursache nicht sein. Schließlich gibt es digitale Diskussionen zu sehr vielen Themen. Nur über die Corona-Politik gibt es wenig Debatten, aber viele Selbstgespräche, bei denen die nicht anwesenden Vertreter der Gegenseite viele Vorwürfe einstecken müssen. Aber es wird in der Regel über sie und nicht ihnen diskutiert.

Die Kritik(unfähigkeit) der Linken

Nun könnte man denken, die außerparlamentarische Linke wäre am ehesten in der Lage, solche Kontroversen auszutragen. Da sie sich nicht an den Logiken von Wahlen orientiert, muss sie auch nicht permanent dem Publikum nach dem Mund reden und kann auch strittige Fragen diskutieren. Doch die Realität sieht anders aus.

In den vergangenen Monaten war auch in der außerparlamentarischen Linken selten eine Diskussion zwischen unterschiedlichen Positionen in der Corona-Frage möglich. Das gilt auch für Personen, die einen kritischen Blick auf die Corona-Maßnahmen aus staats- und machtpolitischer Perspektive nehmen. So wurden in den vergangenen Tagen zwei geplante Diskussionen zum Thema „Corona und die Kritik(unfähigkeit) der Linken“ in Zentren der unabhängigen Linken abgesagt, weil einige die Gefahr sahen, dass „Coronaleugner“ im Publikum sein könnten. Eine Linke, die sich solchen Logiken beugt, gibt sich selber auf. Peter Nowak