Kommentar: Die Politik nimmt die rechtsoffene Hygienedemonstration am 1. August in Berlin zum Anlass, um die Menschen auf weitere Maßnahmen des autoritären Staates einzuschwören

Mit Abstand und Maske allein wird die Bewegung nicht verschwinden

Die recht hohe Teilnehmerzahl am 1. August, nach eigener Beobachtung höher als die 20.000, die die Polizei angibt, sind eine Warnung. Mit Maske und Abstand allein wird diese Bewegung nicht verschwinden. Da braucht es schon konkrete Vorschläge für eine soziale Umgestaltung der Gesellschaft. Der Kampf um "Gesundheit für Alle" könnte ein guter Anfang sein.

„36 Argumente für Gott“, „Liebe und Heimat“ und Deutschlandfahnen in verschiedenen Formen. Die Demonstration der Coronamaßnahmen-Gegner am Samstag in Berlin kann man schwerlich mit einem Adjektiv beschreiben. Dazu demonstrierten dort zu unterschiedliche Menschen nebeneinander, darunter auch viele aus der extremen Rechten. Sie stellen bei weitem nicht die Mehrheit der Demoteilnehmer und prägten auch nicht das Klima. Dazu ….

…. war die Demonstration mit ca. 20.000 Menschen einfach zu groß. Aber die Rechten waren präsent und wurden zumindest toleriert. Es gab schon einzelne Teilnehmer, die im persönlichen Gespräch versicherten, dass sie neben bestimmten Fahnen nicht laufen würde. Aber sie hatten auch kein Problem, wenn die Fahne an anderer Stelle in der Demonstration getragen wurde. Links und rechts sind keine brauchbaren Kategorien mehr, betonten verschiedene Demoteilnehmer und sind damit sehr nahe am herrschenden Mainstream, wo ja das Ende der Ideologien und feindlichen Lager beschworen wird.

Ganz politischer Mainstream waren die Demonstranten am Samstag auch in ihren affirmativen Bezug zu den deutschen Kapitalfraktionen. In verschiedenen Aufrufen wurde die Stärkung des deutschen Mittelstands zu einen wichtigen Ziel erklärt. Auf Schildern outen sich Demonstrationsteilnehmer als Handwerker, die durch den Corona-Lockdown in Schwierigkeiten geraten sind. Auch Angehörige, die ihre Senioren in Pflege- oder Altenheimen in den letzten Monaten nicht besuchen konnten, haben auf Schildern ihren Frust aufgeschrieben.

Brandmauer gegen die Ultrarechte bröckelt

Die Demonstration macht deutlich, dass die Brandmauer gegen die Ultrarechte zur Mitte der Gesellschaft bröckelt. Lange Zeit war es ihr nicht gelungen, Anschluss unter Menschen zu finden, die durchaus viele der rechten Narrative teilten, aber der Meinung waren, die großen Parteien von Union bis SPD können die gleichen Ziele auch vertreten. Sich mit Ultrarechten auf der Straße zu zeigen, galt als tabu. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr geändert.

Bei den Protesten gegen die Hartz IV-Reform im Sommer und Herbst 2004 war die Teilnahme der Ultrarechten noch ein wichtiges Thema. Es gelang Gewerkschaften und sozialen Initiativen in verschiedenen Städten, die Rechten aus den Demonstrationen rauszuhalten. Bei den migrationsfeindlichen Themen gelang es den Rechten schon vor Pegida beispielsweise bei den sogenannten „Lichtelläufen“ im Erzgebirge, die deutsche Mitte zu erreichen.

Die Corona-Demonstration vom Samstag machte deutlich, dass die Rechten auch bei anderen Themen auf solchen Aufmärschen zumindest akzeptiert werden.

Rechtes Woodstock

Als dann am Rande der Demonstration am 1. August vor dem Reichstag Reichsbürger auf ihrer Kundgebung behaupteten, Deutschland sei kein souveräner Staat, ging nur ein kleinerer Teil der Demonstranten dort hin. Aber es gab auch keinen hörbaren Protest dagegen.

Man könnte den 1. August 2020 rund um das Brandenburger Tor als „rechtes Woodstock ohne Musik“ bezeichnen. Von Späthippies und Esoteriker über schwäbische Handwerker und Senioren mit einem Faible für die bayerische Monarchie bis eben zu verschiedenen rechten Gruppen waren alle vertreten. Die antifaschistischen Gegenproteste thematisierten berechtigterweise diese Rechtsoffenheit der Demos, gingen allerdings nicht darauf ein, dass es sich hier auch um eine Demonstration für die Interessen des deutschen Kapitals handelte.

Sollte es im Zug der Corona-Dauerwelle weitere Beschränkungen geben, könnte die Unterstützung verschiedener Kapitalfraktionen für diese Bewegung stärker werden. Daher wäre es umso notwendiger für antifaschistische Gegenproteste, die Interessen der Lohnabhängigen und Erwerblosen in der Corona-Krise in den Mittelpunkt zu stellen.

Ermutigende Beispiele gibt es auf Stadtteilebene wie der Forderungskatalog der Initiative „Für eine soziale und demokratische Stadt“ der Initiative „Hände weg vom Wedding“, das Bündnis „Jetzt erst recht“ auf Berlinebene und auf transnationaler Ebene das Onlineportal Coview19. Es gibt noch viele weitere ähnliche Ansätze, die Interessen der Mehrheit der Menschen gerade in der Corona-Krise in den Mittelpunkt zu stellen.

Die bekommen allerdings medial weniger Aufmerksamkeit als die Hygienedemonstration am 1. August, die die Verweigerung des Maskentragens zum politischen Symbol machte. Die repressiven Staatsapparate taten ihnen den größten Gefallen, als die Polizei die Hauptbühne stürmte und die Demonstration für aufgelöst erklärte, weil die Hygieneregeln verletzt würden.

In der Diskussion geht es jetzt wieder vor allem um Maskenpflicht und Abstandsregeln. Die rechten Gruppen als Teil der Veranstaltung werden kaum erwähnt. Zudem nehmen Politiker und Funktionäre der Polizeigewerkschaft die Demonstration zum Anlass, um auch insgesamt wieder die autoritäre Staatlichkeit zu betonen.

„Sie kriegen ein Demonstrationsrecht mit Hygieneregeln“

Wenn dann noch der Regierende Bürgermeister Michael Müller in einem Kurzinterview mit dem RBB darüber lamentiert, dass am 1. August Menschen aus verschiedenen Städten nach Berlin kamen, um Randale zu machen, obwohl es die nicht gab, ist das ein Angriff auf das Demonstrationsrecht.

Einige Menschen blieben auf dem Platz und wurden weggetragen. Dabei handelt es sich dann nicht um Randale, wenn diese Aktionen von Teilnehmern einer rechtsoffenen Demo ausgeübt werden. Müllers Ansage, sie kriegen „ein Demonstrationsrecht mit Hygieneregeln“, kann durchaus als generelle Drohung verstanden werden. Wie ab Mitte März könnte es auch bei Protesten, die nicht rechtsoffen sind, bald wieder ein vom Gesundheitsschutz dominiertes Demonstrationsrecht geben.

Auch Müllers Warnung, dass Menschen, die ohne Maske demonstrieren, das Leben anderer gefährden, ist weit über die Demonstration am 1. August hinaus eine Kampfansage. Bisher gab es eben kein Straftatdelikt, wenn Menschen andere Menschen mit Viruskrankheiten angesteckt haben. Dass passierte natürlich immer wieder, besonders in der Grippesituation. Strafbewehrt waren Ansteckungen, wenn durch den Geschlechtsverkehr Krankheiten wie Syphilis oder Aids übertragen haben.

Wenn jetzt jeder potentielle Überträger von Viruskrankheiten zunächst moralisch und dann auch bald juristisch belangt werden kann, wäre das ein massiver Eingriff ins Grundrecht. Menschen könnten so sogar strafbewehrt nicht nur von Demonstranten ferngehalten, sondern überhaupt aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt werden, nur weil sie Viren übertragen könnten. Stanley Taylor beschreibt in seinem informativen Buch „Die Pandemie als sozialpsychologisches Problem“, wie vor Jahrhunderten Menschen, die beschuldigt wurden, Krankheiten zu übertragen, in ihren Hütten eingemauert wurden.

Aus der Beschuldigung, dass Menschen Virusüberträger sind und andere gefährden, kann eine neue Form des Einmauerns werden. Es wäre besonders bedenklich, wenn solche Tendenzen in Teilen der Bevölkerung aufgenommen würden und dann die Jagd der vielen kleinen Blockwarte auf angebliche Virenüberträger beginnt. Wir hatten solche Tendenzen in Ansätzen ab Mitte März dieses Jahres, als in manchen Dörfern in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Autos mit fremden Kennzeichen beschädigt wurden und gefordert wurde, potentielle Virenüberträger sollen die Orte verlassen.

Sogar manche Bürgermeister haben diese Maßnahmen verteidigt mit der Begründung, das Gesundheitssystem könnte zusammenbrechen. Dass müsste für eine politische Linke einmal mehr Anlass sein, eine Vergesellschaftung des Gesundheitssystems zu fordern. Gesundheit muss ein Recht für alle Menschen werden und sie darf nicht mehr Profitzwecken dienen.

Dazu würde der gezielte Ausbau von Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten für Menschen im Carebereich gehören, der mehr als nur „gesund sein“ umfasst. Das Ziel ist ein Gesundheitssystem, dass in der Lage ist, allen Menschen eine Versorgung auf der Höhe des heutigen Stands der Wissenschaft zu geben. Das wäre ein Kontrapunkt zu den sogenannten Hygienedemonstration, wo auch die Impfgegner eine zentrale Rolle spielten.

Eine Kampagne für ein Gesundheitssystem für alle, wäre aber auch eine Alternative zur offiziellen Politik, wo das Corona-Ansteckungsrisiko individualisiert wird und jeder Einzelne als Gefährder angeprangert werden könnte.

Mehr als 2 Meter Abstand auch zu autoritärer Staatlichkeit

Der 1. August zeigte auch, dass es fatal wäre, der autoritären Staatlichkeit dann zu applaudieren, wenn sie angeblich „die Richtigen“ trifft. Die Auflösung der Demonstration wegen Verletzung der Hygienemaßnahmen war ein Akt der autoritären Staatlichkeit, die dieses Mal eine rechtsoffene Demo getroffen hat. Das nächste Mal können es Gewerkschaftskundgebungen oder andere Proteste sein. Daher gilt weiterhin, was die Initiatoren von Coview19 schon Ende März schrieben:

Gleichzeitig sind die temporären, enormen Einschränkungen von Grundrechten etwas, das es zu beobachten und kritisch zu begleiten gilt. Denn diese Entwicklung passiert in einer Situation, in der in mehreren Regionen der Welt ohnehin massive Konflikte vorherrschen, die sich teilweise in einer Verschärfung von Kontrollpolitik niederschlagen. 

All jene, die Interesse an Kontroll- und Überwachungspolitik haben, haben jetzt weitgehend freie Hand. Maßnahmen, wie Grenzschließungen und Einschränkung von Versammlungsrechten bedeuten nicht nur eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit, vielmehr es stellen sich Fragen wie: Wann werden Grenzen, die nun geschlossen werden, wieder geöffnet? Wann können Demonstrationen wieder uneingeschränkt stattfinden? 

Diese staatlichen Maßnahmen führen dazu, dass wir als Individuen in bestimmtem Maß bevormundet werden. Dabei ist es wichtig, selbstverantwortliche und den Mitmenschen gegenüber achtsame Entscheidungen und Vorsichtmaßnahmen selbst zu erkennen und umzusetzen.

Coview19

Gerade in den letzten Tagen überboten sich Politiker aller Parteien mit Ratschlägen für autoritärere Maßnahmen, Verbotskataloge und höhere Strafen. Zudem werden auf ordnungspolitischer Grundlage schon mal weitere autoritäre Maßnahmen ausprobiert, dazu gehört ein Verbot vom Verkauf von Alkohol, wie es jetzt in Hamburg ausprobiert oder das Betretungsverbot für bestimmte städtische Plätze wie in Frankfurt/Main.

Die Gästelisten in Restaurants und der autoritäre Staat

Zu diesen angekündigten Verschärfungen gehört auch die Diskussion um die Namenslisten in Restaurants. Als im Mai nach dem Lockdown die Restaurants wieder öffnen konnten, wurde über den Datenschutz der Gästelisten diskutiert, die damals obligatorisch wurden. Sie sollen nur den Gesundheitsämtern zur Nachverfolgung von Ansteckungen zur Verfügung stehen.

Zwei Monate später wissen wir, dass die Polizei in mehreren Fällen schon auf diese Namenslisten zugegriffen hat, um Delikte aufzuklären, bei denen es nicht um Gesundheitsschutz geht. Wurde zunächst noch der Eindruck erweckt, da hätten Missverständnisse oder Verordnungslücken vorgelegen, verteidigen nun Polizeigewerkschafter und Politiker offensiv, dass diese Listen auch der Polizei zur Verfolgung von Straftaten zur Verfügung stehen müssen.

„Wenn der Verdacht einer Straftat vorliegt und andere Ermittlungsansätze nicht erkennbar sind, muss es die Möglichkeit geben, solche Gästelisten einzusehen und die Daten auszuwerten, das sehen die jeweiligen Gesetze auch vor“, erklärte der Chef der rechtslastigen Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt.

Wenn es um die Aufklärung von Straftaten der Polizei geht, ist Wendt nicht so offensiv. So lehnt er vehement die Einführung von Namensschildern auf den Uniformen von Polizisten ab und hält auch nichts von einer Studie zu rassistischen Tendenzen bei der Polizei. Das CDU-Mitglied Wendt hat auch viele Anhänger bei AfD-Wählern.

Das macht einmal mehr deutlich, dass sie, wie auch ein Großteil der Demonstranten am 1. August in Berlin keine Kritiker des autoritären Staates sind. Sie wollen nur nicht, dass die deutsche Wirtschaft zu stark von bestimmen Restriktionen belastet wird und halten es für das höchste Ziel der Freiheit, keine Maske tragen zu müssen, ohne zu erkennen, dass der Kapitalismus es ist, der die Menschen auch zu Charaktermasken macht.

Es läge an einer emanzipativen Linken, die Lohnabhängigen bei ihren Kämpfen auch in der Coronakrise zu unterstützen und gleichzeitig mehr als 2 Meter Abstand zu Rechten und zum autoritären Staat zu halten. Sonst bestünde die Gefahr, dass im kommenden Herbst und Winter sowohl die Pandemie als auch die staatlichen Maßnahmen dagegen dafür sorgen, dass die Organisatoren der Hygienedemonstrationen weiter Auftrieb bekommen.

Die recht hohe Teilnehmerzahl am 1. August, nach eigener Beobachtung höher als die 20.000, die die Polizei angibt, sind eine Warnung. Mit Maske und Abstand allein wird diese Bewegung nicht verschwinden. Da braucht es schon konkrete Vorschläge für eine soziale Umgestaltung der Gesellschaft. Der Kampf um „Gesundheit für Alle“ könnte ein guter Anfang sein. Peter Nowak