Wie mit Berichten aus der Intensivstation (Bio)Politik gemacht wird - Ein Kommentar

Schwarze Pädagogik mit Bildern aus Krankenhäusern

Tatsächlich sollten die Medien genau diese sozialen und ökonomischen Aspekte eines Gesundheitssystems mehr in den Fokus ihrer Berichterstattung stellen, das deswegen an die Grenzen seiner Kapazitäten gelangt, weil es nach Renditegesichtspunkten umorganisiert wurde.

Die Wochenzeitung Kontext hat kürzlich einen Bericht veröffentlicht, in dem sie sich beklagt, dass rechte Intellektuelle auch im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk verstärkt auftreten und ihre Positionen vertreten können. Als ein Beispiel wurde dort der Medientheoretiker Norbert Bolz genannt, der sich politisch schon länger eher konservativ positioniert. Kontext kritisiert, er habe auf einer konservativen Webseite über eine „hypersensible Weltgesellschaft“ lamentiert, „in der jeder Kranke, jeder alte Mann, der da keine Luft mehr bekommt und nicht beatmet werden kann, zum Weltereignis aufgeblasen wird von den Massenmedien“. Doch ist diese Aussage per se skandalisierbar? Bolz hat ja nicht beklagt, dass jeder alte Mann, der keine Luft mehr bekommt, behandelt wird, sondern dass ….

…. diese Fälle zu einem Weltereignis aufgeblasen werden und in die Massenmedien kommen. Da ist er sich durchaus einig mit dem Mediziner Maxim Schneider, der seit vielen Jahren in der Intensivmedizin arbeitet und sich kritisch dazu äußert, dass die Fotos und Beschreibungen aus der Intensivmedizin plötzlich in die Massenmedien gelangen: „Da kämpfen Ärzte und Pflegerinnen um das Leben von Menschen. Immer.“

Dabei kritisiert Schneider nicht, dass über die Situation in den Intensivstationen sondern wie darüber berichtet wird:

Herr Schneider, Sie stören sich an den Fernsehbildern über Corona. Was ist falsch daran, über die Situation auf den Intensivstationen zu berichten? Maxim Schneider: Nein, es ist richtig, aus der Intensivstation zu berichten. Das passierte vor Corona ja auch – aber mit ganz anderen Bildern! Wenn Patienten gezeigt wurden, dann meist mit verpixelten Gesichtern. Es wurden auch Apparate gezeigt, aber nicht im Einsatz. Und vor allem wurde diese Berichterstattung begleitet von ausführlichen Interviews mit Ärztinnen und dem Pflegepersonal. Sie haben eingeordnet: Was passiert da gerade? Warum ist dieser Mensch so verkabelt? Jetzt sehen wir Bilder von chaotischen Szenen, und der einzige Kommentar ist: Katastrophe.

Aber wenn dort nun mal das Chaos herrscht …?

Der Intensivmediziner Schneider weiß auch, dass die Fotos und Berichte von den Intensivmedizinstationen in Zeiten von Corona einen bestimmten Zweck erfüllen. Den Menschen, die die massiven Beschränkungen ihres täglichen Lebens erfahren, soll gezeigt werden, wo es enden kann, wenn sie sich nicht an die strengen Regelungen halten. Sie sind also praktisch ein Disziplinierungsinstrument. Genau das sieht Schneider auch kritisch. Dabei fragt er auch berechtigterweise nach den Rechten der Menschen, die als Patienten in der Intensivmedizin in italienischen Städten gezeigt werden.

Halten Sie die Ängste vor Corona für überzogen? Ich denke, dass vorsichtiger umgegangen werden muss mit dem Thema. Auch in den Medien. Gefilmt wurden in Italien Patienten, denen es offensichtlich sehr schlecht geht. Wer hat diese Menschen eigentlich um ihr Einverständnis gebeten? Auch die Zuschauer müsste man schützen. Die meisten sehen auf diesen Bildern zum ersten Mal im Leben einen Menschen, der nackt im Bett liegt, aus dem Schläuche kommen. Solche Dinge passieren aber auf der Intensivstation. Der Einsatz von Beatmungsgeräten ist dort Normalität. Wer das nicht weiß, empfindet solch eine Berichterstattung vielleicht sogar als traumatisierend. Das kann man nicht einfach in den Nachrichten zeigen, ohne dass wir als Gesellschaft über Intensivmedizin sprechen.

Mit dem letzten Satz zeigt Schneider, dass es fatal ist, wenn in einer Gesellschaft, in der Intensivmedizin wie alles, was mit dem Tod zusammenhängt, eher tabuisiert wird, man plötzlich diese Fotos sieht und den Eindruck haben muss, diese Krankenstationen wäre ohne das Coronavirus leer. Schneider macht aber klar, dass auf der Intensivmedizinstationen Menschen täglich um ihr Leben und Sterben ringen, auch in Zeiten, in denen es Corona nicht gab. Da gab es eben andere genau tödliche Krankheiten, nur sie haben es nicht in die Massenmedien geschafft, weil sie als persönliches Schicksal und nicht als gesellschaftliches Hygiene-Problem angesehen wurden.

Das plötzliche selektive Interesse für das Leben und Sterben in der Intensivmedizin hat den Zweck, dafür zu sorgen, dass viele Menschen die Hygieneverordnungen einhalten – unter der Drohung, sonst könnten sie ebenfalls auf der Intensivstation landen. Nun ist es eine weitverbreitete und alte Methode, mit grausamen, angstmachenden oder verstörenden Bildern und Szenen ein bestimmten Erziehungsziel zu erreichen. Sie ist bestens aus Märchen bekannt, in denen die Unartigen Unbill erleiden müssen und am Ende sogar in der Mühle landen.

Für solche Erziehungsmethoden wurde auch der Begriff Schwarze Pädagogik geprägt. Die Frage ist, ob im Fall von Corona diese Schwarze Pädagogik mit Bildern aus der Intensivmedizin wirkt und ob sie ihre Berechtigung hat. Das sollte Gegenstand einer kritischen Diskussion sein. Dafür ist es aber notwendig, dass eben die Berichte aus den Krankenhäusern auch eingeordnet und in einen Kontext gestellt werden. Dann kann ihnen auch der Mediziner Schneider positive Aspekte abgewinnen.

Was längst überfällig ist, ist eine Diskussion über die Frage: Was stellen wir uns eigentlich vor am Lebensende?…. Was es heißt, auf der Intensivstation zu sein. Im Krankenhaus fehlen die Zeit und das Personal, darüber zu sprechen. Das hat Auswirkungen auf die Art, wie Menschen behandelt werden – und wie sie sterben.

Maxim Schneider

Leben und leben lassen

Dann wären die Berichte aus der Intensivstation allerdings nicht mehr Schwarze Pädagogik, sondern Teil einer rationalen Diskussion von mündigen Menschen, die zunehmend nicht nur über ihr Leben, sondern auch über ihr Lebensende selbstbestimmt entscheiden wollen. Wenige Wochen, bevor die Corona-Krise auch hierzulande das Leben prägte, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Sterbehilfe diese Selbstbestimmung gestärkt.

Doch zum mündigen Menschen gehört auch ein Gesundheitssystem, das so gut ausgebaut ist, dass es für alle unabhängig von Einkommen und Herkunft zur Verfügung steht. Genau das aber ist nicht der Fall und deswegen besteht auch die Angst, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht, wenn sich mehr Menschen an Corona anstecken. Genau das ist in Italien und Frankreich geschehen.

Es wäre an der Zeit, einen Ausbau des Gesundheitssystems zu fordern, damit niemand Angst haben muss, an Corona oder an einer anderen Krankheit nur deswegen zu sterben, weil die medizinischen Kapazitäten nicht ausreichen. Darauf wies die Vereinigung Demokratischer Ärztinnen und Ärzte aus Hamburg in einer Stellungnahme hin, in der die Corona-Pandemie als soziale und ökonomisch Krise bezeichnet wird.

Wenn private Klinikkonzerne mit Kurzarbeit oder gar mit Entlassungen drohen, da elektive Eingriffe verschoben und somit nur notwendige Behandlungen durchgeführt werden, unterstreicht es die Dringlichkeit, diese Einrichtungen gesellschaftlich zu kontrollieren und zu steuern. Wir unterstützen die Forderung der Pflegenden, berufsübergreifende Krisenstäbe zu bilden. Dieses kann ggf. durch die Bundesländer und die zuständigen Ministerien eingeleitet werden.

Stellungnahme der Vereinigung Demokratische Ärztinnen und Ärzte Hamburg

Tatsächlich sollten die Medien genau diese sozialen und ökonomischen Aspekte eines Gesundheitssystems mehr in den Fokus ihrer Berichterstattung stellen, das deswegen an die Grenzen seiner Kapazitäten gelangt, weil es nach Renditegesichtspunkten umorganisiert wurde. Hier liegt auf jeden Fall der eigentliche Skandal und nicht in einem Zitat von Bolz oder wem auch immer, der sich darüber echauffiert, dass Sterbenskranke zum Objekt Schwarzer Pädagogik gemacht werden. (Peter Nowak)

Erstveröffentlichungsort: