Der Corona-Notstand müsste eigentlich eine Hochzeit für Rechte aller Couleur sein. Schließlich werden jetzt in Windeseile Maßnahmen durchgesetzt, die sie seit Jahren gefordert haben. Grenzen auch innerhalb der EU werden geschlossen. Migranten, die dagegen protestieren, dass sie ihre beengten Heime nicht mehr verlassen können, werden, wie in Suhl geschehen, mit einem polizeilichen Großeinsatz zur Räson gerufen. Prepper feiern sich jetzt als die, die schon immer vorgesorgt haben. Insgesamt sind Notstandszeiten, in denen von der Bevölkerung Unterordnung unter Anweisungen von Staatsapparaten gefordert wird, gut für die Rechte. Doch dabei gibt es ein Problem für die AfD. Es sind nicht sie, sondern…
…. alle Parteien von der Mitte bis zur Linken, die aktuell den Corona-Notstand verteidigen und sogar für Verschärfungen eintreten. Der italienische Soziologe Giorgio Agamben bringt es in einen Beitrag für die konservative Neue Züricher Zeitung auf den Punkt:
Die Epidemie bringt eine zweite, nicht minder beunruhigende Tatsache zum Vorschein: Der Ausnahmezustand, auf den uns die Regierungen seit geraumer Zeit einstimmen, ist zu unserem Normalzustand geworden. Es kam in der Vergangenheit zu schlimmeren Epidemien als der heutigen, aber niemand hatte jemals daran gedacht, deshalb einen Notstand wie den jetzigen auszurufen, der uns sogar daran hindert, uns frei zu bewegen.
Giorgio Agamben
So kann beobachtet werden, dass gerade linksliberale Medien, die den Grünen nahestehen die aktuellen Notstandsmaßnahem besonders verteidigen und alle, die sie kritisch sehen, in die Schranken weisen oder gleich wie den sozialdemokratischen Immunologen Wodarg als Verschwörungstheoretiker bezeichnen. Hätte die AfD eine der Forderungen erhoben, die jetzt in Eiltempo durchgesetzt wird, hätten die linksliberalen Medien und Parteien dies als Beweis dafür gesehen, dass die AfD eine verfassungsfeindliche rechte Partei ist.
Nur ein Beispiel: Im Zuge der Corona-Krise kann die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden, was auch Linksliberale mit Recht abgelehnt haben, und sie soll jetzt Flüchtlingsheime wie in Suhl bewachen. Die Taz berichtet darüber in der Online-Ausgabe unter der um Objektivität bemühten Überschrift „Militär ins Flüchtlingsheim“. In der Printausgabe ist der Artikel unter der Überschrift „Bundeswehr hält sich zurück“ zu finden. Der gesamte Artikel ist in einer Diktion formuliert, dass die linksliberalen Leser der Taz, die sich mit den Einsatz der Bundeswehr im Ausland mittlerweile abgefunden haben, Inlandseinsätze des Militärs kritischer gegenüberstehen, beruhigt werden sollen.
Flügel-Forderungen sind in der Mitte der AfD angekommen?
Wie bei diesem Detail im aktuellen Notstand ist es auch bei vielen anderen Fragen. Was bleibt da noch der rechten Opposition, die in Gestalt der AfD jetzt sehen muss, dass viele ihrer Forderungen unter anderen Umständen umgesetzt werden? Sie ist gerade in diesen Tagen von einer massiven innerparteilichen Auseinandersetzung geprägt. Es geht um einen Konflikt, den die AfD seit ihrer Gründung begleitet. Es geht um Koexistenz eines nationalkonservativen, eines nationalneoliberalen und eines völkischen Flügels innerhalb einer Partei.
Der Politikwissenschaftler Sebastian Friedrich hat bereits 2017 in einem noch heute erhellenden, im Verlag Bertz + Fischer herausgegebenen Buch „Die AfD: Analysen – Hintergründe – Kontroversen“ analysiert, dass die AfD nur überleben kann, wenn sich die drei Flügel innerparteilich austarieren und nicht ständig bekämpfen.
Als die erste Ausgabe des Büchleins von Sebastian Friedrich herauskam, war noch Frauke Petry AfD-Vorsitzende und Höcke stand kurz vor dem Rauswurf. Seitdem hat er massiv an Einfluss und gemeinsam mit anderen Flügel-Exponenten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewonnen. In allen drei Bundesländern sind sie die bei stärkste Oppositionspartei. Dagegen gehören zu den nationalneoliberalen und nationalkonservativen Kritikern, Politiker beispielsweise aus Hamburg und Rheinland-Pfalz, die gerade mal über die 5 Prozent-Hürde gekommen sind. Zudem haben Beobachter der AfD immer wieder betont, dass beim letzten AfD-Parteitag der Flügel gestärkt hervorgegangen sei, und er auch im Bundesvorstand die Dominanz gestärkt habe. Daher ist es sehr erstaunlich, jetzt zu erfahren, dass der AfD-Vorstand sich scheinbar gegen den Flügel stellt.
In wenigen Worten wurde auf der AfD-Homepage das Ergebnis einer Bundesvorstandstagung bekannt gegeben, die den rechten Flügel zur Auflösung bis Ende April aufforderte. Obwohl ein angekündigtes Treffen des Flügel gestern angeblich wegen des Corona-Notstands ausfiel, meldete der Spiegel, dass der thüringische Landesvorsitzende Höcke der Aufforderung nachgekommen sei. Das zeigt einmal mehr die autoritären Führungsmethoden der Rechten, bei denen die Basis, die in Compact noch über den Putsch gegen Höcke zeterte, nicht viel mitzureden hat.
Nun muss die schnelle Vollzugsmeldung, wenn sie sich denn bestätigt, nicht so viel bedeuten. Höcke hatte bereits vor einigen Wochen auf Flügel-Treffen seine Anhänger darauf eingestimmt, dass die rechte Formation keine so große Bedeutung mehr habe, weil viele der Forderungen mittlerweile in der Mitte der Partei angekommen sind. Daher hatte der AfD-Co-Vorsitzende Gauland nicht Unrecht, als noch vor einigen Wochen sagte, dass der Flügel in der Mitte der Partei angekommen ist. Sollte es zur Auflösung kommen, kann der rechte Flügel noch mehr argumentieren, für die Einheit der Partei Opfer gebracht zu haben.
Es ging den meisten Kritikern von Höcke und Co. auch weniger um die Inhalte, sondern um die Art, wie sich die Flügelexponenten und vor allem Höcke als Gralshüter der Partei inszenieren. Am größten sind die Differenzen zwischen den einzelnen AfD-Formationen noch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Während die Nationalneoliberalen eine radikalisierte FDP-Politik anpreisen, gibt sich der völkische Flügel nationalsozial. Es werden beispielsweise in der Sozial- und Rentenpolitik soziale Maßnahmen nur für Deutsche gefordert. Darin liegt auch der Grund für ihre Wahlerfolge. Auch nach der Auflösung des Flügels dürfte diese Auseinandersetzung nicht vorbei sein.
Wie der Verfassungsschutz in Autonomie einer Partei eingreift
Die aktuelle Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Flügeln und Fraktionen der AfD ist eine Folge des Agierens des Verfassungsschutzes, der den Flügel als rechtsextrem und damit zum Beobachtungsfall erklärt hat. Nicht nur das, Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang hat die Exponenten des AfD-Flügel Kalbitz und Höcke als Rechtsextremisten bezeichnet. Dafür bekam der Verfassungsschutz Lob auch von linken Soziologen wie Matthias Quent aus Jena. Er schrieb in der Zeit vom 15.März:
Am Donnerstag verkündete das Bundesamt für Verfassungsschutz: Der völkisch-nationalistische „Flügel“ der AfD wird als „rechtsextremistisch“ eingestuft. Der Rechtsradikalismus und die Corona-Pandemie haben mittelbar mehr miteinander zu tun, als man denkt: Beides sind Gefahren, die frühzeitig einzudämmen sind. Dafür kommt die Beobachtung eines Teils der AfD durch den Verfassungsschutz – mal wieder – zu spät.
Matthias Quent
Es ist schon generell problematisch, politische Entwicklungen mit Krankheitssymptomen gleichzusetzen. Die berechtigte Kritik, dass Linke von Rechten als Zecken diffamiert werden, verliert an Glaubwürdigkeit, wenn Rechte mit einer Pandemie in Verbindung gebracht werden. Es handelt sich um politische Meinungsverschiedenheiten, Gegner- und vielleicht auch Feindschaften. Die sollten auch auf dieser politischen Ebene verbleiben und nicht mit Begrifflichkeiten aus der Biopolitik, also mit Krankheiten oder Krankheitssymptomen, in Verbindung gebracht werden. Zudem sollten Kritiker und Gegner der Rechten nicht plötzlich zu Freunden des Verfassungsschutzes werden. Haben nicht viele linke Kritiker viele Jahre mit guten Gründen die Auflösung des Verfassungsschutzes gefordert? Haben sie nicht mit ebenso guten Argumenten darauf hingewiesen, dass es den VS nicht braucht, um die AfD als rechte Partei zu erkennen?
Gerade Quent, der zur Radikalisierung des Nationalsozialistischen Untergrund promoviert hat, müsste doch noch in Erinnerung sein, dass von NSU-Terror Betroffene erklärten, dass zur Auflösung des NSU-Komplexes die Auflösung des Verfassungsschutz gehört, der keinen Beitrag zur Aufdeckung geleistet hat. Ungeklärt bleibt, ob der NSU ohne die verschiedenen Verfassungsschutzämter hätte so lange agieren können. Zudem wiesen viele zivilgesellschaftlichen Gruppen darauf hin, dass derjenige, der über das Agieren der Rechten informiert sein will, keinen Verfassungsschutz braucht. Da waren in der Vergangenheit zivilgesellschaftliche Initiativen viel schneller und genauer. Keine 10 Jahre nach der Selbstaufdeckung des NSU sollen diese klaren Anforderungen plötzlich keine Rolle mehr spielen, weil der Verfassungsschutz nun auch mal gegen Rechte vorgeht?
Berufsverbote jetzt gegen die AfD?
Warum weist Quent nicht daraufhin, dass das vom ihm geleitete Institut für Zivilgesellschaft und Demokratie doch eine Alternative zu einem repressiven Staatsapparat wie dem Verfassungsschutz wäre. Das hieße aber auch anzuerkennen, dass rechte Parteien im bürgerlichen System genauso mitspielen wie alle anderen Parteien. Es gilt, sie von zivilgesellschaftlicher Seite zu bekämpfen.
Von ihnen, wie natürlich auch von den Politikern der Konkurrenzparteien, können Kalbitz, Höcke und Co. als Rechtsextremisten bezeichnet werden. Nicht aber von einem von niemandem gewählten repressiven Staatsapparat wie den Verfassungsschutz. Wer da applaudiert, kann sich kaum beschweren, wenn dann der VS auch wieder gegen Linke agiert. Wer sogar fordert wie die Grünen, die ihre Gegnerschaft zum Verfassungsschutz schnell aufgegeben haben, als sie nicht mehr in deren Visier standen, die gesamte AfD soll von den Diensten beobachtet werden und sich sogar noch freut, wenn Mitglieder des Flügels mit Beamtenstatus womöglich Probleme in ihren Beruf bekommen, schadet einer zivilgesellschaftlichen Bewegung, die sich von Grundsätzen und nicht von parteitaktischen Erwägungen leiten lässt.
Da muss man sogar mal den Ex-SPD-Politiker Gerhard Schröder verteidigen, der sich im Gegensatz zu seiner als links geltenden Nachfolgerin im Parteivorsitz Esken gegen Berufsverbote auch für AfD-Mitglieder ausgesprochen hat. Im SPD-Parteiorgan Vorwärts postete der Leser Armin Christ unter einem Artikel, der lobend erwähnte, dass der VS jetzt die AfD ins Visier nimmt:
Wir wissen alle aus welch brauner Soße der Verfassungsschutz entsprungen ist. Berufsverbote ???? NSU ???? Temme ??? Ich sehe nicht wie man als Sozialdemokrat*** dieser Organisation etwas positives abgewinnen könnte.
Armin Christ
Doch nicht nur Gerhard Schröder, der vor seinem Aufstieg in der SPD-Politik als Rechtsanwalt Opfer der von einem SPD-Kanzler vorangetriebenen Berufsverbotspraxis verteidigte, spricht sich dagegen aus, dieses Instrumentarium jetzt gegen AfD-Mitglieder anzuwenden. Auch der ND-Kommentator Aert von Riel warnte ebenso davor wie ehemalige vom Berufsverbot Betroffene Linke. Sie argumentieren, dass die zentrale Forderung damals lautete: „Sei keine Duckmaus – Weg mit den Berufsverboten“ und nicht „Keine Berufsverbot für Linke“.
Richtig war auch, dass in den 1970er Jahren von den Berufsverboten, die offiziell Radikalenerlass hießen, Zigtausende Menschen linker Organisationen und Parteien betroffen waren. Darunter waren auch viele DKP-Mitglieder, einer strikt legalistischen und auf das Grundgesetz eingeschworenen Partei mit weitgehend sozialdemokratischen Forderungen mit einer prosowjetischen Außenorientierung. Man muss nicht mit ihren Forderungen sympathisieren, um festzustellen, dass diese Partei wie alle anderen betroffenen Gruppierungen auf die Staatsrepression mit Solidarität und einer großen Kampagne reagierte.
Im Gegensatz dazu knickt die obrigkeitshörige und staatstreue AfD gleich ein, wenn der Verfassungsschutz nur mit den Drohungen anfängt. Die haben aber auch einen sehr realpolitischen Grund, der Linke und Linksliberale, die jetzt dem VS loben, zu denken geben müsste. Eine AfD, die die Auflösung des Flügel fordert, sich vielleicht auch von manchen diskreditierten Politikern trennt, wird dann auch für die Union und die FDP bündnisfähiger.
In der ganzen Aufregung nach der Wahl des FDP-Politikers Kemmerich in Thüringen, lautete die Kritik auch, dass sich der ausgerechnet von dem besonders rechten Flügel hat unterstützen lassen. Da schwingt schon unausgesprochen, aber deutlich die Empfehlung an die AfD mit, geht mehr auf Distanz zur äußersten Rechten, werdet tatsächlich der rechte Flügel von Union und FDP, dann kann es in absehbarer Zeit auch was werden mit der Kooperation.
Das trieb den rechtskonservativen Vorgänger von Haldenwang, Hans Georg Maaßen, bereits um. Der hatte sich 2015 mit der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry gleich mehrmals getroffen. Hinterher erklärte Maaßen, es sei darum gegangen, die AfD so aufzustellen, dass sie kein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz wird. Nun versuchen seine Nachfolger die AfD mit Druck staatstragend zu machen.
Peter Nowak