Bald zehn Jahre nach Bekanntwerden der NSU-Morde misstrauen kritische Juristen und Soziologen weiterhin dem Verfassungsschutz

Zivilgesellschaftliche Initiativen sind letzte Hoffnung

»Der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und darf nicht an den Verfassungsschutz delegiert werden«, erklärte Quent. Das wurde beim Pressegespräch an mehreren Stellen deutlich. So benannte Haldenwang in seinem Eingangsstatement die Zahl von 280 Menschen, die seit 1990 Opfer rechter Gewalt geworden sind. Es blieb aber unerwähnt, dass es in vielen Fällen dem Engagement antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Gruppen in Kooperation mit engagierten Medienvertreter*innen zu verdanken ist, dass sie oft erst nach vielen Jahren von den Behörden als Opfer rechter Gewalt anerkannt wurden.

Beim Pressegespräch des »Mediendienstes Integration« waren sich die Menschen auf dem Podium nicht immer einig. »Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU – welche Lehren haben die Sicherheitsbehörden gezogen?« lautete die Frage, zu der neben dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız und der Soziologe am Donnerstag eingeladen waren. Haldenwang nannte zu Beginn die Namen der …

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Warum es fatal ist, wenn jetzt dem Verfassungsschutz applaudiert wird, wenn er sich gegen Teile der AfD wendet und die Partei insgesamt staatstragend machen will

Auch wenn der „Flügel“ aufgelöst wird, bleibt seine Politik Teil der AfD

Haben nicht viele linke Kritiker viele Jahre mit guten Gründen die Auflösung des Verfassungsschutzes gefordert? Haben sie nicht mit ebenso guten Argumenten darauf hingewiesen, dass es den VS nicht braucht, um die AfD als rechte Partei zu erkennen?

Der Corona-Notstand müsste eigentlich eine Hochzeit für Rechte aller Couleur sein. Schließlich werden jetzt in Windeseile Maßnahmen durchgesetzt, die sie seit Jahren gefordert haben. Grenzen auch innerhalb der EU werden geschlossen. Migranten, die dagegen protestieren, dass sie ihre beengten Heime nicht mehr verlassen können, werden, wie in Suhl geschehen, mit einem polizeilichen Großeinsatz zur Räson gerufen. Prepper feiern sich jetzt als die, die schon immer vorgesorgt haben. Insgesamt sind Notstandszeiten, in denen von der Bevölkerung Unterordnung unter Anweisungen von Staatsapparaten gefordert wird, gut für die Rechte. Doch dabei gibt es ein Problem für die AfD. Es sind nicht sie, sondern…

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Per Du mit den Schlapphüten

Die Amadeu Antonio Stiftung wird immer wieder von rechts attackiert – neu ist Kritik aus dem linken Lager

Linke streiten seit Jahren über die Frage, ob der Verfassungsschutz reformiert werden kann. Die Amadeu Antonio Stiftung wird für ihre Kooperation mit dem Geheimdienst stark kritisiert.

Die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) sieht sich dieser Tage massiver Kritik ausgesetzt – von links und von rechts. In Thüringen bekam die Stiftung von der rot-rot-grünen Landesregierung den Auftrag, eine Dokumentationsstelle für Menschenrechte aufzubauen und zu betreiben. Der Soziologe Matthias Quent von der AAS ist seit Montag Leiter dieses neuen Instituts. CDU und AfD lehnen nicht nur die Dokumentationsstelle ab, sondern auch die ihrer Meinung nach intransparente Vergabe. Am 11. August soll sich der Landtag in einer Sondersitzung mit den Vorwürfen befassen. Auch die Staatsanwaltschaft prüft nach einer anonymen Anzeige die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit der Projektvergabe.

Aber auch von links bekommt die sonst in antirassistischen Kreisen geschätzte Stiftung Gegenwind. Seit etwa einer Woche findet sich im Internet ein Offener Brief zivilgesellschaftlicher Gruppen, in dem die »lieben Freundinnen und Freunde« aufgefordert werden, ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz zu beenden. Konkret monieren die Unterzeichner, zu denen unter anderem die Humanistische Union, die Berliner Naturfreundejugend und das Forum für kritische Rechtsextremismusforschung gehören, dass der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer im Stiftungsrat der AAS sitzt. Moniert werden auch Veranstaltungen, auf denen Mitglieder der AAS und Vertreter unterschiedlicher Verfassungsschutzämter gemeinsam aufgetreten sind.

George Kaplan von der Initiative »Blackbox Verfassungsschutz« erklärt gegenüber »nd«: »Die unterzeichnenden Initiativen befassen sich seit Jahren mit dem NSU-Komplex und arbeiten mit den Angehörigen und Opfern des NSU-Terrors eng zusammen. Daher ist eine Zusammenarbeit mit Geheimdiensten für uns nicht vereinbar mit der Arbeit gegen Rassismus und Antisemitismus«.

Anetta Kahane von der AAS betonte gegenüber »nd«, dass sie ihre Kritik am Umgang der Verfassungsschutzämter mit der NSU-Affäre und der rechten Szene weiterhin deutlich äußern werde. So habe sie bei ihrer Rede beim Symposium ostdeutscher Verfassungsschutzämter, die in dem Offenen Brief angesprochen wird, eine prononcierte Kritik an den Ämtern geübt. Solange Verfassungsschutzämter Teil des Staatsgefüges sind, werde die AAS mit ihren Vertretern sprechen und versuchen, Reformen durchzusetzen. So bewertet es Kahane im Gegensatz zu den Unterzeichnern des Briefes als positiv, dass sich Mitarbeiter mit der AAS über Recherchemethoden in der rechten Szene ausgetauscht haben. Schließlich habe eine zentrale Kritik an den Geheimdiensten in deren Inkompetenz und Unwissenheit in Bezug auf die rechte Szene bestanden. Nicht verstehen kann Kahane die Kritik an Stephan Kramer. »Ich kenne ihn seit seiner Arbeit als Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Er ist seit Jahren Mitglied im Stiftungsrat der AAS und wird es auch bleiben.« Seine Arbeit als Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes werde daran nichts ändern. Kahane erinnerte daran, dass Kramer das Amt mit dem Anspruch angetreten habe, dringend nötige Reformen in der Behörde umzusetzen.

VS-Kritiker Kaplan hat daran Zweifel. »Seine Äußerungen in der Öffentlichkeit lassen den Eindruck aufkommen, dass Kramer alles vermeiden will, was die alten Behördenmitarbeiter verärgern könnte.« Kaplan kann Kramers Verhalten in seiner Position verstehen. Doch dadurch würden er und die Mitunterzeichner des Briefes in der Überzeugung bestärkt, dass der Verfassungsschutz nicht reformierbar ist. Eindeutig distanziert sich Kaplan von rechten Angriffen auf die AAS und Kahane, die sich in den letzten Monaten häuften. »Wir schätzen die Arbeit der AAS im Kampf gegen Rassismus und werden sie gegen alle Angriffe von Rechts verteidigen.«

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1020735.per-du-mit-den-schlapphueten.html

Peter Nowak