Kommentar. Nicht nur die Leipziger Buchmesse, auch Warnstreiks werden im Zeichen des Corona-Virus abgesagt. Kritische Stimmen mehren sich

Im Griff des Sicherheitsstaats?

Auch Christian Rath findet in der Taz klare Worte: "Das totalitäre China hat nach dem Ausbruch von Corona ganze Städte abgeriegelt. Aber auch die deutsche Regierung kann ähnliche Maßnahmen ergreifen."

Beruhigend klang keineswegs, was Gesundheitsminister Jens Spahn heute in einer Regierungserklärung zur Coronavirus-Ausbreitung erklärte. Es sei eine neue Lage entstanden, die Krankheit hätte Deutschland erreicht und das Schlimmste sei nicht überstanden. Wenn der Minister der Bevölkerung dann versicherte, es gäbe keinen Grund zur Beunruhigung, wirkt es dann eher als pflichtschuldiger Hinweis. Kein Wort sagte Spahn zu den beunruhigenden Eingriffen in das Leben der Bevölkerung, die bereits seit mehreren Tagen auch in Deutschland zu verzeichnen sind. So wurde der …..

….  3. Warnstreik der ausgelagerten Beschäftigten bei der Berliner Charité, der lange vorbereitet war, von der Dienstleistungsgewerkschaft verdi abgesagt.

Doch die Streikabsage erfolgte nicht etwa, weil die Beschäftigten Erfolge in ihrem Kampf für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen erreicht hatten. Vielmehr wurden wegen des Coronavirus vorerst alle Arbeitskämpfe abgesagt. Die Entscheidung stieß bei vielen der Beschäftigten auf wenig Verständnis.

Manche sprachen sogar von einem Abwürgen des Streiks. Doch es scheint eher die allgemeine Dramatisierung der Ausbreitung von Covid-19 zu sein, der auch beim Gewerkschaftsvorstand die Entscheidungen diktiert. Die Absage der Leipziger Buchmesse wenige Tage vor ihrer Eröffnung ist wohl das deutlichste Ausdruck eines – meiner Auffassung nach – „Irrationalismus“, der sich am Coronavirus nur beispielhaft festmacht.

„Mit Zahlen wird Politik gemacht und Panik“, kommentiert Felix Lee in der taz sehr richtig. Lee, der lange China-Korrespondent der Taz war, wirft einen zweiten Blick auf die Zahlen. Da entsteht eben nicht das Bild einer Welt, die von einer unaufhaltsamen Pandemie bedroht ist:

In einigen Ländern, allen voran im Ursprungsland China selbst, sind viele Infizierte schon wieder genesen – und damit nicht mehr ansteckend. Die besonders heftig betroffene chinesische Krisenprovinz Hubei verzeichnet seit Beginn des Ausbruchs fast 68.000 Infizierte. Ansteckend sind aktuell aber nur noch 29.000, Tendenz weiter fallend.

In den Metropolen Schanghai, Guangzhou oder Tianjin ist die jeweilige Zahl der aktuell Infizierten sogar auf unter 50 gefallen. Trotzdem traut sich auch weiter kaum jemand in diese Städte. Singapur, wo es anfangs mit 100 Infizierten den außerhalb Chinas heftigsten Ausbruch gab, zählt aktuell 25 Erkrankte. Der südostasiatische Stadtstaat wird in der Rangliste immer noch weit vorne aufgeführt. Das anfangs ebenfalls als Sorgenland aufgeführte Vietnam gilt inzwischen als coronavirenfrei. Touristen bleiben aber auch diesem Land fern.

Felix Lee, Taz

Wo bleibt der mündige Bürger, der selber entscheiden kann, ob er sich einer Gefahr aussetzt?

Warum hat Minister Spahn nicht genau diese Beispiele in seiner Erklärung genannt und damit einen Beitrag gegen die Beunruhigung geleistet? Warum hat er nicht bekräftigt, die Menschen sollen sich in ihren Alltagsleben nicht einschränken lassen, wie es bei Anschlägen von Islamisten und anderen Faschisten von den Politikern regelmäßig zu hören ist?

Es wäre eine ganz andere Botschaft, wenn wir über die ständigen Meldungen von abgesagten Großveranstaltungen, Streiks, geschlossenen Schulen und Behörden hinaus erfahren würden, wie die Krankheit real verläuft, wie viele Menschen überhaupt Krankheitssymptome haben und wenn wir auch erfahren würden, dass in vielen Gegenden die Zahl der Betroffene rückläufig ist.

Dann könnten sich die Menschen selbst entscheiden, ob sie das Risiko in Kauf nehmen, beispielsweise an einer Streikveranstaltung teilzunehmen oder die Leipziger Buchmesse zu besuchen. Das wäre ganz im Sinne des mündigen Bürgers, der selber entscheiden kann, sich einer Gefahr auszusetzen. Das ist schließlich das Ideal, dass die bürgerliche Gesellschaft vor sich herträgt.

Es gibt für manche Länder Reisewarnungen auch wegen bestimmter Krankheiten. Aber es gibt wohl kaum ein Verbot, in die Länder zu reisen. Der Bürger entscheidet also selbst, ob er sich dem Risiko aussetzt und dann krank wird. Im Fall der Leipziger Buchmesse haben die Behörden unter dem Motto der Sicherheit festgelegt, dass die Bürger eben nicht mündig genug sind, selbst zu entscheiden, sich dem Risiko einer Krankheit auszusetzen.

„Die Gesundheit unserer Bürger und der Stadt steht für uns an erster Stelle“, wird Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung zitiert. Dabei wurden in den letzten Jahren durch Gerichtsurteile auch in der Gesundheitspolitik die Rechte des Einzelnen gestärkt, auch bei der Frage, welchen gesundheitlichen Risiken sich ein Mensch aussetzen kann. Der Staat ist eben nicht die Instanz, die uns vor allen Krankheiten schützen kann und soll.

Übung für die Umwelt- und Klimakatastrophen

Man muss sich fragen, warum der präventive Sicherheitsstaat in Aktion mit der Absage der Leipziger Buchmesse mal eben immense finanzielle Verluste für eine Stadt wie Leipzig und zudem noch unabsehbare Entschädigungen in Kauf nimmt.

Da gibt sehr unterschiedliche Antworten. Zunächst gibt es nicht eine steuernde Instanz, die das Virus erzeugt hat und es jetzt einsetzt, wie Verschwörungstheoretiker behaupten. Vielmehr wird von den Staatsapparaten das Virus benutzt, um den präventiven Sicherheitsstaat mal auszuprobieren.

Angesichts der bevorstehenden Klima- und Umweltkrisen könnte die Corona-Dramatisierung der Auftakt für den präventiven Sicherheitsstaat werden. Es dürfte dann nicht bei Absagen von Buchmessen und Streiks bleiben. Mit dem Motto „Sicherheit geht vor“ könnten bald auch größere Menschenansammlungen aller Art untersagt werden. Doch es gibt auch eine erste Kritik an der Corona-Dramatisierung.

In Israel wächst die Kritik an einer politischen Erwägungen geschuldeten Instrumentalisierung der Corona-Krise durch die Rechtsregierung. So gingen über 200 Beschwerden gegen Quarantäneverordnungen ein. In Israel wendet man sich auch dagegen, dass eine medizinische Frage zu politischen Zwecken ausgenutzt wird. So heißt es in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung:

Währenddessen kritisierte der Vorsitzende der Ärztevereinigung, Hagai Levine, den Gesundheitsminister Yaakov Litzman. „Wenn es einen Ausbruch einer gefährlichen Infektionskrankheit gibt, ist es von großer Bedeutung, dass die Entscheidungen aufgrund von wissenschaftlichen Beweisen in einem ordentlichen Ablauf getroffen werden. Dieser Prozess muss von professionellen Experten angeführt werden. Nicht von Politikern.“

Jüdische Allgemeine Zeitung

Auch Christian Rath findet in der Taz klare Worte: „Das totalitäre China hat nach dem Ausbruch von Corona ganze Städte abgeriegelt. Aber auch die deutsche Regierung kann ähnliche Maßnahmen ergreifen.“

An Beispiel verschiedener Paragraphen des Infektionsschutzgesetzes zeigt Rath auf, welche weitgehende Eingriffsmöglichkeiten staatliche Apparate geschaffen haben.

Nur zwei Beispiele:

Um eine Ausbreitung von Krankheiten zu vermeiden, kann das Gesundheitsamt das öffentliche Leben einschränken. Dazu gehört das Verbot von Veranstaltungen sowie eine Schließung von Kindergärten und Schulen (§ 28).

„Kranke und Verdachtsfälle können in Quarantäne genommen werden, um weitere Ansteckungen zu vermeiden.“ Konkret heißt dies, dass sie in einem Krankenhaus „abgesondert“ behandelt werden. Diese Maßnahme ist auch zwangsweise durchsetzbar. Um eine Flucht zu verhindern, können ihnen persönliche Gegenstände abgenommen werden. Die Behörden dürfen die Kommunikation der Betroffenen mit der Außenwelt mitlesen (§ 30).

Hier wurde jener Notstand in Gesetze gegossen, gegen den vor über 50 Jahren in der BRD viele Menschen auf die Straße gegangen sind. Es wäre zu wünschen, dass die Corona-Dramatisierung jetzt manchen Menschen vor Augen führt, welche massiven Eingriffsmöglichkeiten in das Leben der Menschen hier schon beschlossen wurden. In Zeiten der Klimakrise, die teilweise wie die Verbreitung des Coronavirus von irrationalen und dramatisierenden Untertönen begleitet wird, werden diese Notstandsgesetze nun angewendet.

Eine neue Opposition gegen den totalen Sicherheitsstaat wäre das Beste, was passieren könnte. Begleitend dazu sollten Experten aus aller Welt medizinische Mittel gegen den Virus erforschen. Die Politik sollte die Infrastruktur schaffen, dass an den Ergebnisse dieser Forschungen alle Menschen auf der Welt partizipieren können. Das sollte nicht nur für Corvid-19 gelten.

Alle medizinisch erproben Mittel gegen Krankheiten sollten nicht mehr von Pharmakonzernen profitabel verwertet, sondern von einer transnationalen Gesundheitsbehörde verteilt werden, an die Menschen überall auf der Welt, die sie benötigen.

Eine solche Forderung kann allerdings nur von einer transnationalen sozialen Bewegung durchgesetzt werden, die sich den totalen Sicherheitsstaat und die Politik der Verbote und Absagen ebenso verweigert, wie sie immun sein muss gegen Irrationalismus und Dramatisierung von Krankheiten wie der Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Peter Nowak