Von Aktivismus bis Zweckentfremdungsverbot:

Berliner Mischung

Mieterbewegung und linke Politiker sind kreativ darin, Werkzeuge gegen den Mietenwahnsinn zu entwickeln. Ein Glossar der meistdiskutierten Instrumente

Aktivismus:

Wie vital der Aktivismus der Berliner Mieterbewegung ist, zeigte sich noch vergangene Woche, mitten in den Sommerferien: Die Bewohner der Holteistraße 19 und 19a in Friedrichshain animierten 150 Menschen zu einer Demo. Auslöser war, dass…

… ihr Haus von einer Immobilienfirma gekauft werden soll. Übers Internet hatten sie mobilisiert. Auf diese Weise vernetzen sich auch andere Berliner Mieter. Sie drucken Flyer und Pla-kate. Heute vergeht keine Woche ohne Mieterproteste in Berlin. Sie wollen Druck auf die Politik ausüben, damit sie beispielsweise das Vorkaufsrechtanwendet. Sie fordern eine Politik, in der Wohnen keine Ware mehr ist – Mietrebellen, die oft das erste Mal auf die Straße gehen, aus Angst, ihre Wohnung zu verlieren. „Mietrebellen“ lautete auch der Titel eines Dokumentarfilms über die Berliner Mieterproteste aus dem Jahre 2014, darunter etwa jene, die sich am Kotti abspielten, wo die Deutsche Wohnen große Immobilien besitzt. Erst dieser Aktivismus hat dazu geführt, dass heute so viel über die wohnungspolitischen Instrumente geredet wird, die verhindern sollen, dass nur noch Reiche in der Stadt wohnen können.

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Bauen, bauen, bauen

Die Statements der Oppositionsparteien FDP, CDU und der parteiunabhängigen Berliner Mietergemeinschaft (BMG) ähneln sich: Sie werfen dem Senat vor, beim Neubau auf die Bremse zu treten. Doch im Gegensatz zu den Oppositionsparteien geht es der BMG um den Bau von öffentlich finanzierten kommunalen Wohnungen für Menschen mit geringen Einkommen. Schließlich wurde in Berlin in den letzten Jahren viel gebaut, so beispielsweise das Freudenberg-Areal im Friedrichshainer Südkiez. Das Problem ist, dass fast ausschließlich teure Eigentumswohnungen entstehen. 2014 hat sich auf Geheiß der Mietergemeinschaft daher die „Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau“ mit dem Ziel gegründet, den sozialen Wohnungsbau in Berlin wiederzubeleben, allerdings mit bescheidener Resonanz. Der Initiative ist es nicht gelungen, öffentlichen Druck aufzubauen.

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Enteignung

Die Initiative „Deutsche Wohnen Enteignen“, besteht aus Mietern und Aktivisten der außerparlamentarischen Linken. Sie hat dafür gesorgt, dass in den letzten Monaten im ganzen Land darüber diskutiert wird, ob es legitim ist, dass mit Wohnraum hohe Gewinne gemacht werden. Die Immobilienverbände, aber auch einige Wohnungsgenossenschaften laufen dagegen Sturm. Sie wähnen sich wieder in der DDR oder in Venezuela. Doch auch von Mieterverbänden kommt Kritik. Erinnert wird an die hohen Entschädigungskosten, die noch nicht exakt beziffert werden können. Sollte das Geld nicht eher in den Bau neuer Wohnungen investiert werden? Schließlich schafft Enteignung keinen neuen Wohnraum. Zu-dem rechnen Experten mit juristischen Auseinandersetzungen, die die Enteignung stoppen könnten. Trotz dieser offenen Fragen: Für die Macher ist bereits die öffentliche Debatte ein Erfolg.

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Hauszinssteuer

Sie wurde 1924 in Berlin eingeführt und funktionierte nach einem einfachen Prinzip: Wurde in den Altbauten die Miete erhöht, schöpfte der Staat einen Teil der Mehreinnahmen ab und finanzierte auf diesem Weg den Bau neuer Wohnungen. Damit reagierten sozialdemokratische Politiker auf die wachsende Stadtbevölkerung und steigende Mieten. Heute ist der damalige Stadtbaurat Martin Wagner (SPD) nur noch wenigen bekannt. Dabei war er für den Bau zahlreicher, steuerfinanzierter Siedlungen in Berlin verantwortlich, die heute teilweise zum Weltkulturerbe zählen. Funktionalistisch sollten die Bauten sein, um die Kosten zu minimieren. Beim Bau der „Hufeisensiedlung“ in Britz zum Beispiel wurden erstmals serienmäßig hergestellte Bauteile eingesetzt – damals eine Revolution. Im Stadtteil Friedrichsfelde entstand nach Plänen Wagners zwischen 1926 und 1930 die erste deutsche Plattenbausiedlung. Allerdings konnten sich in der Weltwirtschaftskrise Millionen Menschen auch dort die Mieten nicht mehr leisten. 1931 wurde die Hauszinssteuer abgeschafft und geriet in Vergessenheit.

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Mietendeckel

Neben der Debatte um die Enteignung ist der vom Senat beschlossene Mietende-ckel das zweite große Aufregerthema in der Wohnungspolitik der letzten Monate. Stichtag war der 18. Juni 2019: Dann sollten die Mieten für fünf Jahre eingefroren werden. Doch die genaue Ausgestaltung des Mietendeckels steht noch aus. Mo-mentan kursieren verschiedene Modelle. Die Diskussion begann mit einem juristischen Aufsatz, in dem erklärt wurde, dass nach der Föderalismusreform die Bundesländer selber Gesetze für eine Begrenzung der Mieten verabschieden können. Ber-liner SPD-Politiker griffen den Vorschlag auf und wollten der Debatte um Ent-eignung, die auch an der SPD-Basis auf Zu-stimmung gestoßen war, eine andere Idee entgegensetzen. Die Deckelung der Mie-ten sollte so im Vergleich zur Enteignung als moderate Methode erscheinen. Das sieht die Immobilienwirtschaft anders. Sie machte gegen beide Projekte mobil. Jetzt warnen unternehmerfreundliche Zeitun-gen sogar, dass sich die Immobilienwirt-schaft wegen des Mietendeckels aus Berlin zurückziehen könnte. Letztlich werden die Gerichte entscheiden, ob der Mietendeckel kommt und wie er aussieht.

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Mietpreisbremse

Seit 2015 soll damit der Anstieg der Mieten verlangsamt werden. Bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt darf die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichs-miete liegen. Ob der Wohnungsmarkt als angespannt gilt, entscheiden die einzelnen Bundesländer. Wie hoch die Vergleichsmiete ist, kann dem Mietspiegel vor Ort entnommen werden. Was sich auf dem Papier plausibel anhört, hat sich in der Realität als weitgehend wirkungslos erwiesen – die Mietpreisbremse hat ihre Aufgabe verfehlt. Die Mieten sind weiter gestiegen, wie Untersuchungen belegen. Ein Grund ist, dass der Vermieter lange Zeit nicht verpflichtet war, die Höhe des Vormieters einer Wohnung anzugeben. Doch auch dann wird die Mietpreisbremse ihrem Namen nicht gerecht. Wer dringend eine Wohnung sucht, hat gar keine Chance, gegenüber dem Vermieter auf der Mietpreisbremse zu beharren. So war dieses Instrument ein Feigenblatt: Es sollte verdecken, dass die Politik nicht viel gegen hohe Mieten unternimmt.

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Milieuschutzgebiete

Auch die Einrichtung von Milieuschutzgebieten wird von wirtschaftsnahen Verbänden als Eingriff in das Recht auf Eigentum bekämpft. Tatsächlich hat sich die Zahl der Milieuschutzgebiete in den vergangenen Jahren beträchtlich erhöht. Das liegt daran, dass sie relativ schnell ausgerufen werden können und juristische Papierkriege unwahrscheinlich sind. Mittlerweile lebt jede dritte Berliner in einem Milieuschutzgebiet. Oft setzten sich Nachbarschaftsinitiativen dafür ein, weil sie mehr Schutz vor Mieterhöhungen und Kündigung erhoffen. So kann ein Eigentümer dort keine Änderungen des Grundrisses oder die Zusammenle-gung mehrerer Wohnungen durchsetzen. Zudem kann der Bezirk leichter das Vorverkaufsrecht durchsetzen. Der Milieuschutz macht Berlin nicht zum Mieterparadies – ist aber ein niedrigschwelliges Mittel, das engagierten Mietern (Aktivismus) und Behörden, die auch mal einen Konflikt mit den Eigentümern wagen, einige Möglichkeiten an die Hand gibt, ambitionierten Investorenplänen Grenzen zu setzen.

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Share-Deal-Verbot

Dem Land Berlin gehen nach Angaben von Finanzsenator Matthias Kollatz jährlich mehr als 100 Millionen Euro Grunderwerbssteuer verloren. Möglich machen das die so genannten Share Deals, ein legales Steuerschlupfloch. Bei dem Modell werden keine Grundstücke, sondern lediglich Anteile daran verkauft. Bis zu einem Anteil von 95 Prozent fällt dann regelmäßig keine Grunderwerbsteuer an, denn das Eigentum am Grundstück verbleibt bei der Gesellschaft. Bis zum Jahr 2020 wollen die Länderfinanzminister diese legale Steuervermeidung einschränken. Doch ein Verbot der Share Deals, wie von Mieterverbänden gefordert, kann nur auf Bundesebene beschlossen werden. Dazu wird es kaum kommen. Vertreter der Immobilienwirtschaft warnten in einer Anhörung vor dem Bundestag vor negativen Auswirkungen, die eine Reduzierung ihrer Gewinnmargen fürchten und sich andere Anlagemodelle suchen könnten. Die War-nung vor einer Schwächung des Finanzplat-zes Deutschland, wenn die Share Deals reglementiert oder gar verboten werden, dürfte vor allem bei Politkern auf offene Ohren stoßen. Daher dürfte es bei einer Mini-Reform der Share Deals bleiben.

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Rotes Wien

Mehr Wien wagen, lautet die Parole von vielen Aktivisten. Sie beziehen sich auf den Bau von über 800 Gemeindebauten mit etwa 65.000 Wohnungen im Wien der 20er-Jahre. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wurde das ehrgeizige Kommunale Wohnungsprogramm fortgesetzt. Heute lebt jeder vierte Wiener in einem Gemeindebau. Die Stadt Wien besitzt rund 220.000 Gemeindewohnungen und ist damit die mit Abstand größte Hausverwaltung Europas. Unter der Ägide sozialdemokratischer Politiker und Architekten wurde nicht nur die massive Obdachlosigkeit behoben. Es wurden auch baulich interessante Zweckbauten mit Gemeinschaftsküchen, Bibliotheken und Hallenbädern für die Arbeiter errichtet. Von den Experimenten eines anderen Lebens und Wohnens, die die Zeiten des Roten Wien prägten, erfährt man heute in Filmen und Bildbänden. Doch auch die Wohnsiedlungen locken immer noch viele Besucher. Weniger bekannt ist, dass es in den 20ern auch in Berlin ein gemeinnütziges Wohnungsprogramm gab, das durch eine Hauszinssteuer finanziert wurde. Die „Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau“ nimmt sich das Wohnungsbauprogramm des Roten Wiens zum Vorbild. Doch es fehlt nicht nur eine starke Sozialdemokratie, sondern auch das proletarische Milieu. REALITÄTSNÄHE ■ ■ ■ ■ ■ WIRKUNG ■ ■ ■ ■

Vorkaufsrecht

„Kaufen wir uns Berlin zurück“, lautet eine Parole, die bei Berliner Mietern in den letzten Monaten auf viel Zustimmung gestoßen ist. Wo große Immobilienfirmen Häuser erwerben wollen, grätscht der Bezirk mit ei-nem eigenen Kaufangebot dazwischen. Das kann der potenzielle Käufer nur durch so-genannte Abwendungsvereinbarungen um-gehen. Das heißt: Sie verpflichten sich, auf Luxusmodernisierung zu verzichten. Be-sonders Florian Schmidt, der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hat mit sei-ner großzügigen Anwendung des Vorver-kaufsrecht seinen Ruf als „Robin Hood der Mieter“ gefestigt. Eine Entschädigung der Vermögenden ist von ihm allerdings nicht überliefert. Kritiker monieren, dass nur zu-rückgekauft werden kann, solange Geld in den Kassen der Kommunen ist. Wie bei der Kampagne fürs Enteignen stellen auch beim Vorkaufsrecht einige die Frage, ob das Geld nicht besser für den Neubau verwen-det werden sollte. Zugleich sind Bewohner oft bereit, Opfer in Form höherer Mieten zu bringen, um zu vermeiden, dass ihr Haus in den Besitz eines Immobilienfonds wechselt.

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Zweckentfremdungsverbot

Seit 2014 existiert in Berlin ein Gesetz, das Wohnraum vor Leerstand oder Zweckentfremdung, beispielsweise durch die Umwandlung in Ferienwohnungen, schützen soll. Doch es sah zunächst kaum Sanktionen vor und war von unterbesetzten Behörden schwer zu kontrollieren, so dass sich lange Zeit kaum ein Vermieter darum kümmerte. Daher wurde das Gesetz 2018 verschärft. Seitdem können gegen Vermie-ter illegaler Ferienwohnungen hohe Geld-strafen verhängt werden. Doch noch immer sind die Schlupflöcher sehr groß. Wer weni-ger als die Hälfte seiner Wohnung kurzzeitig vermietet, braucht eine Registriernummer, aber keine Genehmigung. Plattformbetreiber mit Sitz im Ausland müssen keine Nutzerdaten preisgeben. Daher floriert das Ge-schäft mit den Ferienwohnungen immer noch. Deshalb denken Politiker der Linken und Grünen über Verschärfungen nach. Doch die EU-Kommission könnte ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Dort finden Lobbygruppen Gehör, die es als unvereinbar mit EU-Recht erklären, die Geschäftsmodelle solcher Plattformen zu regulieren. REALITÄTSNÄHE ■ ■ ■ ■ ■WIRKUNG ■ ■ ■ ■ ■