Der lange Kampf um Entschädigung


Opfer von Polizeigewalt zog erneut vor Gericht

Fast 23 Jahre ist der Tag mittlerweile her, der das Leben von Iris K. (Name ist der Redaktion bekannt) veränderte. Sie beteiligte sich am 20. April 1995 an einer antifaschistischen Demonstration in Berlin und wurde dort Opfer von Polizeigewalt. Dabei erlitt sie eine schwere Verletzung der Halswirbelsäule. Mittlerweile ist Iris K. erwerbsunfähig und kämpft um eine Entschädigung. Zu diesem Fall gab es in den vergangenen Jahren mehrere Gerichtstermine (»nd« berichtete).

Am Mittwoch beschäftigte sich die Zivilkammer des Berliner Landgerichts erneut mit der Frage, ob das Land Berlin der Wissenschaftlerin, die ihre Arbeit nicht mehr ausüben kann, eine Entschädigung zahlen muss. Die einstündige Verhandlung war vom Streit um die Gutachten geprägt. Ein vom Gericht beauftragter Gutachter bestreitet einen Zusammenhang zwischen der Polizeigewalt und der Erwerbsunfähigkeit. Die Gutachter hätten ihren Auftrag nicht erfüllt, monierten dagegen Iris K. und ihr Anwalt Helmuth Meyer-Dulheuer. So hätte sich der Gutachter nur unzureichend mit dem Polizeiangriff vor 23 Jahren auseinandergesetzt.

In dem Gutachten ist lediglich davon die Rede, dass Iris K. von einem Polizisten in Würgegriff genommen wurde, nicht aber von den Schlägen, die ihr die Polizisten bei der Demonstration verabreichten. Diese Darstellung steht allerdings nicht nur im Widerspruch zu den Gutachten von anderen TraumatologInnen, NeurochirurgInnen und OrthopädInnen. Außerdem existiert ein Schreiben der Senatsverwaltung für Finanzen vom 25. Januar 2010, das dem »nd« vorliegt. Darin wird detailliert geschildert, dass Iris K. »von einem Polizisten im Würgegriff genommen wurde und Schläge in den Bereich der Halswirbelsäule sowie im Rippen- und Nierenbereich« erhielt. In dem Schreiben werden auch die gesundheitlichen Folgen für die Frau benannt. »Die Gewaltanwendung führte insbesondere zu einem Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule.«

Auch die Frage der Entschädigung schien eigentlich schon geklärt zu sein. »Frau K. hat am 20. April 1995 durch einen Polizeieinsatz Verletzungen erlitten, für deren Folgen das Land Berlin einzustehen hat.« Dass dieser Anspruch nicht mit dem einmaligen Schmerzensgeld von damals 30 000 DM abgegolten ist, das die Klägerin im Jahr 1998 einklagte, stellt das Schreiben auch klar. »Darüber hinaus hat sich das Land Berlin verpflichtet, auch für künftige Schäden einzustehen«, heißt es dort. Doch als sich der Gesundheitszustand von Iris K. verschlechterte, wollte der Senat davon auf einmal nichts mehr wissen.

Seit mehreren Jahren beschäftigen sich Gerichte nun mit der Frage, ob die Erwerbsunfähigkeit der Wissenschaftlerin eine Folge der Polizeigewalt ist. Bis Redaktionsschluss hatte die Zivilkammer des Landgerichts noch nicht bekanntgegeben, ob sie die Klage von Iris K. abweist oder sich vertagt und einen weiteren Gutachter beauftragt.

Sven Liebert, der zum Unterstützerkreis von Iris K. gehört, äußerte gegenüber dieser Zeitung Unverständnis darüber, dass ein anerkanntes Opfer von Polizeigewalt nach bald 23 Jahren noch immer vor Gericht um ihre Entschädigung kämpfen muss: »Warum gibt der Senat so viel Geld für Anwalts- und Gerichtskosten aus, statt Iris K. zu entschädigen?« Eine Sprecherin des Berliner Finanzsenats wollte sich gegenüber »nd« zu dem laufenden Verfahren nicht äußern.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1083168.der-lange-kampf-um-entschaedigung.html

Peter Nowak