Im Würgegriff der Berliner Justiz

Im Jahr 1995 fügten Berliner Polizisten einer Demonstrantin einen schweren Bandscheibenvorfall zu. Eine Entschädigungszusage des Berliner Senats hat ein Gericht jüngst für nichtig erklärt.

Eigentlich war alles geklärt. Iris K. habe durch einen Polizeieinsatz körperliche Schäden davongetragen, für deren Folgen das Land Berlin aufkommen müsse, hatte der Berliner Senat im Jahr 2010 festgestellt. Doch die Zivilkammer des Landgerichts Berlin revidierte den Beschluss in der vergangenen Woche. Iris K. soll also doch keine Entschädigung für die Verletzungen erhalten, die Polizisten ihr vor 23 Jahren zufügten.

Die Frau hatte sich am 20. April 1995 in Berlin wie etwa 700 andere Protestierende an einer antifaschistischen Demonstration beteiligt. Kurz vor deren Auflösung stürmte ein Trupp der 23. Einsatzhundertschaft in die Menge, eigenen Angaben zufolge um zu verhindern, dass ein neuer unangemeldeter Aufzug entstehen konnte. Die Beamten schlugen auf die Demonstranten ein – auch auf Iris K. Ein Polizist nahm sie in den Würgegriff, andere kamen hinzu und prügelten auf ihr Gesicht, ihre Nieren- und Magengegend und ihre Wirbelsäule ein.

Iris K. trug einen schweren Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule davon, verbrachte neun Monate mit Schmerzen im Bett. Die Ärzte konnten zeitweise eine bleibende Lähmung nicht ausschließen. K. erstattete im Juli 1995 Anzeige, die verantwortlichen Beamten wurden aber nie ermittelt. Mit einer Zivilklage hatte sie dennoch Erfolg. Der Wortlaut der Erklärung des Berliner Finanzsenats, die der Jungle World vorliegt, ist eigentlich unmissverständlich: »Frau K. hat am 20. 04. 1995 durch einen Polizeieinsatz Verletzungen erlitten, für deren Folgen das Land Berlin einzustehen hat.« Damit war nicht nur die einmalige Zahlung eines Schmerzensgelds gemeint, denn weiter heißt es in dem Schreiben: »Frau K. erhielt im Jahr 1998 für die bis zu diesem Zeitpunkt bekannt gewordenen Schäden einen Ausgleich durch das Land Berlin. Darüber hinaus hat sich das Land Berlin verpflichtet, auch für künftige Schäden einzustehen.«

Diese Folgeschäden waren bald so stark, dass Iris K. eine Stelle als Wissenschaftlerin nicht antreten konnte. Als sie die zugesagte Entschädigung einforderte, erlebte sie eine böse Überraschung. Die zuständige Berliner Finanzbehörde beauftragte einen neuen Gutachter, der 2012 feststellte, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung nichts mit der Polizeigewalt zu tun habe.

»Dabei hat sich der Gutachter lediglich mit dem Würgegriff, nicht aber mit den Schlägen der Polizisten auseinandergesetzt«, kritisiert der Berliner Rechtsanwalt Helmuth Meyer-Dulheuer, der K. in der Zivilklage vertritt, im Gespräch mit der Jungle World. Für besonders infam hält der Jurist, dass der Gutachter seiner Mandantin eine »Rentenneurose« unterstellte und ihr vorwarf, Beschwerden vorzutäuschen beziehungsweise bewusst oder unbewusst nicht wieder gesund werden zu wollen. »Um die Kosten nicht tragen zu müssen, versucht das Land Berlin, ein Opfer von Polizeigewalt als psychisch krank zu diskreditieren«, sagt Meyer-Dulheuer.

Obwohl K. wegen der jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen immer wieder mit der Erinnerung an die traumatisierende Gewalttat konfrontiert war, führte sie den juristischen Streit fort. Doch ihr Kampf um Entschädigung endete in der vergangenen Woche erneut mit einer Niederlage. Die Zivilkammer des Landgerichts wies ihre Klage ab. Ob K. in Berufung gehen wird, hängt auch davon ab, ob ihr weiterhin Prozesskostenhilfe bewilligt wird. Voraussetzung dafür ist, dass die Berufung Aussicht auf Erfolg hat. Für den Unterstützerkreis von Iris K. ist es unverständlich, dass die Berliner Senatsverwaltung eher bereit ist, Geld für jahrelange juristische Auseinandersetzungen auszugeben, als ein Opfer von Polizeigewalt zu entschädigen.

Bemerkenswert ist auch, dass der Senat ganz unabhängig davon, welche Parteien in ihm vertreten waren, stets versucht hat, die Entschädigungsforderungen abzuwehren. Mit dieser Haltung solle wohl ein Präzedenzfall verhindert werden, sagt Meyer-Dulheuer. Schließlich gibt es in Berlin weitere Opfer von Polizeigewalt. Tatsächlich war es nur eine Ausnahme, dass es K. mit einer Zivilklage gelungen ist, als entschädigungsberechtigtes Opfer von Polizeigewalt anerkannt zu werden. Dass sie 23 Jahre nach dem Polizeiangriff erneut deswegen vor Gericht ziehen muss, hätte sie damals wahrscheinlich nicht für möglich gehalten.

https://jungle.world/artikel/2018/13/im-wuergegriff-der-berliner-justiz

Peter Nowak

Zweiter Schlag ins Kreuz


Landgericht lehnt Entschädigung für die Folgen von Polizeigewalt bei einer Demonstration ab

Iris K. hat keinen Anspruch auf Entschädigung für Spätschäden eines Polizeiübergriffs bei einer Demonstration. Die Wissenschaftlerin, die wegen eines schweren Bandscheibenvorfalls ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, hatte vor der Zivilkammer des Berliner Landgerichts geklagt, dass das Land Berlin für die Kosten aufkommt (taz berichtete).
K. war im April 1995 während einer antifaschistischen Demo in Kreuzberg Opfer von Polizeigewalt durch die 23. Einsatzhundertschaft geworden. Das hatte der Berliner Senat auch nach einer ersten Zivilklage von K. 1998 aner- kannt. In dem Schreiben des Senats wurde ihr bescheinigt, dass sie durch den Polizeiübergriff an der Halswirbelsäule verletzt worden sei. Sie bekam damals eine einmalige Entschädigung.
In dem der taz vorliegenden Schreiben des Senats von 1998 heißt es zudem: „Darüber hinaus hat sich das Land Berlin verpflichtet, auch für künftige Schäden einzustehen.“ Nachdem sich der Gesundheitszustand von Iris K. so verschlechtert hat, dass sie keiner Erwerbsarbeit mehr nachgehen wollte, zweifelte der Senat allerdings an, dass es sich um die Folge der Polizeigewalt handelte – entgegen den Gutachten verschiedener MedizinerInnen, die den Zusammenhang bestätigten. Stattdessen wurde ein neuer Gutachter bestellt. Er bestritt, dass der schlechte gesundheitliche Zustand von Iris K. eine Folge des Polizeiangriffs war.

Kritik am neuen Gutachter
Enttäuscht vom Ausgang des Verfahrens zeigte sich K.s Anwalt Helmuth Meyer-Dulheuer. „Dabei hatte ich den Eindruck dass sich die Zivilkammer mit unseren Argumenten befasst“, erklärte der Jurist der taz. Er hatte vor Gericht argumentiert, dass der Gutachter seinen Auftrag nicht erfüllt hat. So hätte jener sich nur unzureichend mit dem Polizeiangriff auseinandergesetzt. In dem Gutachten ist lediglich davon die Rede, dass Iris K. von einem Polizisten in Würgegriff genommen wurde, nicht aber von den Schlägen auf Rücken und Nieren. Iris K. will mit ihren Rechtsanwalt beraten, ob sie Berufung gegen die Entscheidung einlegt.

taz 23. märz 2018 taz

Peter Nowak

Der lange Kampf um Entschädigung


Opfer von Polizeigewalt zog erneut vor Gericht

Fast 23 Jahre ist der Tag mittlerweile her, der das Leben von Iris K. (Name ist der Redaktion bekannt) veränderte. Sie beteiligte sich am 20. April 1995 an einer antifaschistischen Demonstration in Berlin und wurde dort Opfer von Polizeigewalt. Dabei erlitt sie eine schwere Verletzung der Halswirbelsäule. Mittlerweile ist Iris K. erwerbsunfähig und kämpft um eine Entschädigung. Zu diesem Fall gab es in den vergangenen Jahren mehrere Gerichtstermine (»nd« berichtete).

Am Mittwoch beschäftigte sich die Zivilkammer des Berliner Landgerichts erneut mit der Frage, ob das Land Berlin der Wissenschaftlerin, die ihre Arbeit nicht mehr ausüben kann, eine Entschädigung zahlen muss. Die einstündige Verhandlung war vom Streit um die Gutachten geprägt. Ein vom Gericht beauftragter Gutachter bestreitet einen Zusammenhang zwischen der Polizeigewalt und der Erwerbsunfähigkeit. Die Gutachter hätten ihren Auftrag nicht erfüllt, monierten dagegen Iris K. und ihr Anwalt Helmuth Meyer-Dulheuer. So hätte sich der Gutachter nur unzureichend mit dem Polizeiangriff vor 23 Jahren auseinandergesetzt.

In dem Gutachten ist lediglich davon die Rede, dass Iris K. von einem Polizisten in Würgegriff genommen wurde, nicht aber von den Schlägen, die ihr die Polizisten bei der Demonstration verabreichten. Diese Darstellung steht allerdings nicht nur im Widerspruch zu den Gutachten von anderen TraumatologInnen, NeurochirurgInnen und OrthopädInnen. Außerdem existiert ein Schreiben der Senatsverwaltung für Finanzen vom 25. Januar 2010, das dem »nd« vorliegt. Darin wird detailliert geschildert, dass Iris K. »von einem Polizisten im Würgegriff genommen wurde und Schläge in den Bereich der Halswirbelsäule sowie im Rippen- und Nierenbereich« erhielt. In dem Schreiben werden auch die gesundheitlichen Folgen für die Frau benannt. »Die Gewaltanwendung führte insbesondere zu einem Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule.«

Auch die Frage der Entschädigung schien eigentlich schon geklärt zu sein. »Frau K. hat am 20. April 1995 durch einen Polizeieinsatz Verletzungen erlitten, für deren Folgen das Land Berlin einzustehen hat.« Dass dieser Anspruch nicht mit dem einmaligen Schmerzensgeld von damals 30 000 DM abgegolten ist, das die Klägerin im Jahr 1998 einklagte, stellt das Schreiben auch klar. »Darüber hinaus hat sich das Land Berlin verpflichtet, auch für künftige Schäden einzustehen«, heißt es dort. Doch als sich der Gesundheitszustand von Iris K. verschlechterte, wollte der Senat davon auf einmal nichts mehr wissen.

Seit mehreren Jahren beschäftigen sich Gerichte nun mit der Frage, ob die Erwerbsunfähigkeit der Wissenschaftlerin eine Folge der Polizeigewalt ist. Bis Redaktionsschluss hatte die Zivilkammer des Landgerichts noch nicht bekanntgegeben, ob sie die Klage von Iris K. abweist oder sich vertagt und einen weiteren Gutachter beauftragt.

Sven Liebert, der zum Unterstützerkreis von Iris K. gehört, äußerte gegenüber dieser Zeitung Unverständnis darüber, dass ein anerkanntes Opfer von Polizeigewalt nach bald 23 Jahren noch immer vor Gericht um ihre Entschädigung kämpfen muss: »Warum gibt der Senat so viel Geld für Anwalts- und Gerichtskosten aus, statt Iris K. zu entschädigen?« Eine Sprecherin des Berliner Finanzsenats wollte sich gegenüber »nd« zu dem laufenden Verfahren nicht äußern.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1083168.der-lange-kampf-um-entschaedigung.html

Peter Nowak

Erneut in den Rücken gefallen


1995 wird eine Frau von Polizisten schwer verletzt. Heute muss sie noch mal auf Entschädigung klagen

Den 20. April 1995 kann Iris K. bis heute nicht vergessen. An diesem Tag beteiligte sie sich an einer von antifaschistischen Gruppen organisierten Demo gegen die erstarkende Neonaziszene. Kurz vor dem Abschluss stürmte die 23. Einsatzhundertschaft in die Demonstration und verletzte mehrere TeilnehmerInnen. Iris K. erlitt etliche Prellungen und eine schwere Verletzung der Halswirbelsäule. Die verantwortlichen Polizisten konnten nicht ermittelt werden. Die Anzeige von K. wegen schwerer Körperverletzung wurde abgewiesen. Aber ihre Zivilklage hatte Erfolg: „Frau K. hat am 20. 04. 1995 durch einen Polizeieinsatz Verletzungen erlitten, für deren Folgen das Land Berlin einzustehen hat“, heißt es in einem der taz vorliegenden Schreiben der Senatsverwaltung für Finanzen vom Januar 2010. Darin wird detailliert geschildert, wie K. von einem Polizisten in den Würgegriff genommen wurde und Schläge in den Bereich der Halswirbelsäule sowie im Rippen- und Nierenbereich erhielt. „Die Gewaltanwendung führte insb. zu einem Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule“, heißt es über die gesundheitlichen Folgen für K.

Eigentlich war alles geregelt
Auch die finanzielle Entschädigung scheint dort eigentlich geregelt. „Frau K. erhielt im Jahr 1998 für die bis zu diesem Zeitpunkt bekannt gewordenen Schäden einen Ausgleich durch das Land Berlin. Darüber hinaus hat sich das Land Berlin verpflichtet, auch für künftige Schäden einstehen.“
Doch als sich der gesundheitliche Zustand von K. so verschlechterte, dass sie ihren wissenschaftlichen Beruf nicht mehr ausüben konnte, bestritt das Land plötzlich, dass die Polizeigewalt die Ursache für den schweren Bandscheibenvorfall ist. Damit widerspricht sie nicht nur ihrer eigenen Zusage aus dem Jahr 2010, sondern auch mehreren Gutachten. Stattdessen stützt sich das Land auf spätere Gutachten, die nicht nur einen Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenvorfall und der Polizeigewalt verneinen, sondern K. unterstellen, bewusst oder unbewusst nicht wieder gesund werden zu wollen. „Um die Kosten nicht tragen zu müssen, versucht das Land Berlin, meine Mandantin als psychisch krank zu diskreditieren“, kritisiert Rechtsanwalt Helmuth Meyer-Dulheuer diese Unterstellung. Er wird Iris K. am Mittwoch vertreten, wenn vor der Zivilkammer des Landgerichts erneut über ihre Klage auf Zahlung für die Erwerbsunfähigkeit verhandelt wird. „Entweder der Senat weist die Klage ab oder die Kammer beantragt ein weiteres Gutachten und vertagt die Entscheidung“, skizziert Meyer-Dulheuer die beiden seiner Meinung nach möglichen Szenarien. Eine Sprecherin der Finanzsenats erklärte, dass man sich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern werde.

taz mittwoch, 21. märz 2018

Peter Nowak