Nicht nur Straftäter wollen ihr Gesicht verbergen

Der Polizeieinsatz bei einer Hamburger G20-Demo bringt das Thema Vermummung wieder auf die Tagesordnung

Nach den G20-Protesten wollen Politiker verschiedener Couleur linker Gewalt zu Leibe rücken, vor allem Politiker der Union, aber auch Polizeigewerkschafter überbieten sich mit markigen Law-and-Order-Parolen.

Dabei kommt unter anderem eine Tatsache zu kurz: In Hamburg wurde Tausenden Menschen ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit genommen, als die Polizei am Donnerstagabend eine große, genehmigte und friedliche Demonstration mit der bloßen Begründung verhinderte, dass einige Leute vermummt waren.

»Wenn das rechtens wäre, müsste man jeden Samstag in jedem deutschen Fußballstadion das Spiel absagen und das Stadion räumen«, erklärte der Düsseldorfer Strafrechtler Udo Vetter in einem Interview mit der Tageszeitung »taz«. Er moniert, in Hamburg sei nicht zum ersten Mal von der Polizei ein Grundrecht massiv verletzt worden, um ein ohnehin fragwürdiges Gesetz umzusetzen.

In Deutschland wurde das Vermummungsverbot 1985 unter der Regierung Kohl eingeführt, unter anderem mit der Begründung, Straftaten, die aus Demonstrationen heraus begangen werden, leichter verfolgen zu können. Das Gesetz war von Anfang an umstritten, da sich Menschen nicht nur vermummen, um Straftaten zu begehen. Das Bedürfnis, sein Gesicht zu verdecken, resultiert bisweilen aus der Befürchtung, diskriminiert zu werden – beispielsweise durch den Arbeitgeber -, aus der Angst vor Übergriffen von politischen Gegnern oder aus dem allgemeinen Wunsch nach Anonymität.

Verstöße gegen das Vermummungsverbot gelten als Bagatellstraftaten, das Demonstrationsrecht dagegen ist ein hochrangiges Gut. So müssen die Ordnungskräfte ihre Entscheidung jeweils sorgfältig austarieren zwischen einer möglichen Gefährdung, die von einer Demonstration ausgeht, und dem Schutz des Grundrechts. »Das muss man abwägen, und das macht die Hamburger Polizei offenbar überhaupt nicht«, so der Jurist Vetter, der gleichzeitig vermutet, dass der Hamburger Fall vor Gericht landen wird.

Vetter steht mit seiner Kritik nicht allein. »Wir haben das Vermummungsverbot immer abgelehnt und sehen uns in unserer Kritik bestätigt«, erklärt Elke Steven vom Komitee für Grundrechte gegenüber »nd«. Das Komitee spricht von einem »Gipfel der Grundrechtsverletzungen« und stützt sich dabei auf die Berichte von 43 DemonstrationsbeobachterInnen, die in Hamburg unterwegs waren. Steven erinnert daran, dass es mittlerweile Gerichtsurteile gibt, die eine Vermummung auf Demonstrationen nicht in allen Fällen für strafbar erklärt. So wurde eine Antifaschistin freigesprochen, die bei einer Demonstration in der Nähe eines Nazizentrums ihr Gesicht unkenntlich gemacht hatte. Für das Gericht spielte dabei die Motivation der Beschuldigten eine Rolle. Sie habe sich nicht vermummt, um Straftaten zu begehen, sondern um auf Fotos von Neonazis nicht erkannt zu werden.

Mit der gleichen juristischen Argumentation könnten auch Geflüchtete darauf beharren, unerkannt zu demonstrieren. So könnten beispielsweise Verwandte in der Türkei unter Druck gesetzt werden, wenn sich ihre Angehörigen in Deutschland an Protesten gegen das Erdogan-Regime beteiligen.

Seit 2006 liegt die Gestaltung dieses Rechtes in der gesetzlichen Kompetenz der einzelnen Bundesländer. Die rot-rot-grüne Koalition hat sich darauf geeinigt, das Versammlungsrecht neu zu regeln, so könnte zumindest in Berlin in absehbarer Zeit ein Gesetz verabschiedet werden, dass die Frage, warum sich Personen vermummen, berücksichtigt. Der rechtspolitische Sprecher der LINKEN im Abgeordnetenhaus, Sebastian Schlüsselburg, hat bereits die Modifizierung des Vermummungsverbots im Rahmen des Landesfreiheitsgesetzes in die Diskussion gebracht.

Leitlinie des neuen Gesetzes soll eine freiheits- und grundrechtsfreundliche Auslegung sein, betont Schlüsselburg im Gespräch mit dem »nd«. Als Vorbild sieht er das Landesfreiheitsgesetz von Schleswig-Holstein, wo es kein generelles Vermummungsverbot mehr gibt, sondern stattdessen auf die konkrete Situation eingegangen werden muss. Ein Schal im Winter kann ebenso wenig als Vermummung bestraft werden, wie das Tragen einer Vereinsmütze eines Fußballfans. Da allerdings das Vermummungsverbot in Schleswig Holstein nicht generell abgeschafft wurde und je nach Situation angeordnet werden kann, sieht Elke Steven auch hier Probleme bei der konkreten Umsetzung.

Für Schlüsselburg hängt die Ausgestaltung des Landesfreiheitsgesetzes von den Diskussionen mit den Koalitionspartnern ab. Dabei soll auch die Polizei frühzeitig in die Beratungen einbezogen werden. Viel ändern würde sich nach Schlüsselburgs Ansicht in Berlin nicht, wenn die Reform beschlossen würde. Auch heute greife die Polizei der Hauptstadt nicht sofort ein, wenn sich in einer Demonstration Menschen verhüllen. Das dürften allerdings Teile der außerparlamentarischen Linken anders sehen, die die Berliner Polizeipraxis nicht als besonders liberal empfinden.

Peter Nowak