Die Degewo und der faire Moment

„Zeig uns deinen fairsten Moment und gewinne vom 25. Mai bis 19. Juli 2015 wöchentlich 1.000,– € für deinen Kiez“. Mit dieser Berlin-Fair-Kampagne wirbt die Wohnungsbaugesellschaft Degewo seit einigen Wochen auf ihrer Homepage http://www.fairesberlin.degewo.de/ .  Dort sind Menschen zu finden, die Musik in Friedhofskapellen  machen oder das Loveparade-Revival „Zug der Liebe“ vorbereiten. Doch in den letzten Tagen finden sich auf der Degewo-Homepage Termine, die zu Protesten über eine drohende Zwangsräumung aufrufen.

Es geht um Jenny N.,  die mit ihrer zehnjährigen Tochter  seit vielen Jahren in einem der Degewo gehörenden Haus im Neuköllner Ortsteil Britz wohnt. Der  Lehramtsstudentin wurde von dem Unternehmen wegen Mietrückständen gekündigt. Das Gericht gab dem Unternehmen recht. Bis zum 31. August soll N. die Wohnung verlassen. Sie wandte sich an das Berliner Bündnis gegen Zwangsräumung, das am vergangenen Donnerstag ein Go-In ins Foyer der Degewo-Verwaltung unternahm. Auch die Mieterin war bei der Aktion dabei. Dort erklärte sie, wegen gravierender Mängel die Miete gemindert zu haben “Dreimal habe ich schon einen Schimmelbefall gemeldet, der inzwischen meine  eigene Einbauküche zerstört und meiner Tochter gesundheitliche Probleme gebracht hat“. Das Unternehmen habe jede Kommunikation mit ihr verweigert und die Mängel nicht beseitigt, nachdem  sie  sich 2009 erfolgreich gegen eine Mieterhöhung gewehrt hat, moniert Jenny N.  Die Aktion wurde beendet, nachdem ein Gespräch zwischen Degewo-MitarbeiterInnen, der Mieterin und einer Delegation des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“ für den 7. Juli vereinbart war.  Auf dem Treffen wurde die Zwangsräumung nicht zurückgenommen. Doch  die Degewo erklärte sich bereit, eine geeignete Ersatzwohnung für die Mieterin in der Nähe ihres  bisherigen  Wohnumfeldes anzubieten.  Die Frage, ob der Fall Jenny N. noch mit einem fairen Moment endet, bleibt also offen.  „Die  Degewo hat jetzt zwei Wochen Zeit um eine Lösung zu finden und die  Zwangsräumung von Jenny zu verhindern“, erklärt Bündnismitarbeiterin Sarah Walter gegenüber MieterEcho-Online.

Rund  200  Zwangsräumungen  jährlich bei der Degewo

Degewo-Pressesprecher  Lutz Ackermann verweist  gegenüber  MieterEcho-Online auf eine  „lange nicht immer glücklichen Beziehung mit der Mieterin“. Es habe bereits Mietrückstände gegeben, bevor N. die Mängel gemeldet habe  „Eine Zwangsräumung ist für uns immer nur das letzte Mittel. Deshalb betreiben wir 25 Mietschuldenberatungsstellen, die Hilfestellung geben können“, betonte Ackermann. Doch dieses letzte Mittel wird im Jahr ca. 200 Mal angewandt.  „Im Jahr waren es 2013  exakt 198 Zwangsräumungen bei Degewo-Wohnungen, im Vorjahr waren es  225 und 2011 mussten 230 MieterInnen ihre Wohnung verlassen“, erklärt  Laura Berner gegenüber MieterEcho Online. Sie ist Mitautorin der im April 2015 vom Institut für Sozialwissenschaften der HU-Berlin  herausgegebenen Studie „Zwangsräumung und die Krise des Hilfesystems“. https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/stadtsoz/forschung/projekte/studie-zr-web.pdf.  In der Studie wird  auch  eine Mitarbeiterin  des Bezirksamt Mitte zitiert,  die zumindest Zweifel am fairen Selbstbild der Degewo aufkommen lässt:  „Es gibt eine Wohnungsbaugesellschaft, bei der ich zunehmend das Gefühl  habe, die wollen ihre komplette Mieterschaft austauschen, das ist die Degewo. […] Die haben keinen Willen mehr, Mietverträge fortzusetzen, auch nicht, wenn wir die Mietzahlung absichern […] und diese Anweisungen kommen von ganz oben“ (Bezirksamt Mitte;  S.81).  Auch Stimmen von Degewo-MitarbeiterInnent, die einer Zwangsräumung positive Seiten abgewinnen können, sind in der Studie zu finden. „Es gibt auch Leute, für die ist ’ne Zwangsräumung auch gut…  Na, wir finden da Wohnungen vor, von Messies oder sonstwas, wo man sagt ‚höchste Zeit, dass da mal jemand vorbeigekommen ist und gesagt hat ‚hier muss sich mal was ändern‘.“ (S. 87).

aus:  MieterEcho online 10.07.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/degewo-zwangsraeumungen.html
Peter Nowak