Streit in der SPD über Erfolg oder Misserfolg ihres Renommierprojekts
Am letzten Freitag nahm der Mindestlohn beziehungsweise das, was nach den vielen von den Unternehmer- und Mittelstandverbänden durchgesetzten Ausnahmen von ihm übriggeblieben ist, im Bundesrat die letzte Hürde.
Nach dieser Regelung, genannt Tarifautonomiestärkungsgesetz [1], wird es ab 1. Januar 2015 einen Mindestlohn von 8,50 in der Stunde geben, soweit nicht Ausnahmen beschlossen wurden. Der Druck der Lobbyverbände hat bewirkt, dass bis Ende 2016 Ausnahmen etwa für Zeitungszusteller und Saisonarbeiter beschlossen wurden. Jugendliche unter 18 Jahren sind von der Regelung ganz ausgenommen. Langzeitarbeitslose, die eine Beschäftigung finden, haben erst nach sechs Monaten im neuen Job Anspruch auf den Mindestlohn.
Für die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles [2] bedeutet der Mindestlohn ein Stück mehr Gerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft. Doch ein solches Argument reicht der Sozialdemokratin nicht, sie vergisst nicht zu erwähnen, dass er auch Deutschland stärker mache. Damit steht Nahles in der Tradition jener Politiker und Gewerkschaftler, die jede noch so kleine Verbesserung für die Menschen nicht genau damit, sondern mit einer Stärkung Deutschlands rechtfertigen wollen.
Die verschwundene Obst-Metapher
Doch nicht alle in der SPD wollen in der nun getroffenen Mindestlohnregelung einen Erfolg sehen.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Forums Demokratischer Linker [3] in der SPD, Hilde Mattheis [4], schrieb in einer Pressemitteilung [5], dass die Ausnahmen vom Mindestlohn unsozial seien:
„Mit den immer weitergehenden Ausnahmen vom Mindestlohn wird dieses zentrale Projekt der SPD immer weiter zerlöchert. Wenn die Union in vielen Bereichen Vertragstreue fordert, darf sie die verhandelten Ergebnisse des Koalitionsvertrages nicht weiter aufweichen. Heraus kommt sonst ein Flickenteppich von Ausnahmen: Von Jugendlichen unter 18, über Praktikanten, Langzeitarbeitslose, SaisonarbeiterInnen, ErntehelferInnen bis zur Zeitungsbranche. Dadurch wird in einzelnen Bereichen des Arbeitsmarktes wieder dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.“
Ursprünglich war in der Erklärung noch eine Obst-Metapher enthalten, die nach innerparteilicher Empörung gelöscht wurde. Mit der jetzt getroffenen Mindestlohn-Regelung habe die SPD „einen roten Apfel in die Hand bekommen und jetzt zeigt sich, dass er auf der einen Seite verfault ist“, hatte Mattheis geschrieben. Mehrere bekannte SPD-Linke traten daraufhin aus dem Forum Demokratischer Linker aus, darunter der bayerische Landesvorsitzende Florian Pronold, der Außenpolitiker Niels Annen, der frühere Jusovorsitzende Benjamin Mikfeld und die 2008 von der PDS zur SPD gewechselte Angela Marquardt.
Vor 15 Jahren stand Marquardt für den jungen Flügel der PDS. Doch das lag schon damals weniger an den Inhalten als an Marquardts Punkfriseur. Die von Marquardt damals geleitete AG Junge Genossen bei der PDS wurde spöttisch als AG Junge Karrieristen bezeichnet. Der Austritt aus der DL dürfte jetzt für alle Beteiligten ebenfalls karrierefördernd sein. Zudem hat er wieder einmal deutlich gemacht, wie sich die sogenannte SPD-Linke selbst diszipliniert, sogar in einer Großen Koalition, die sie angeblich nicht wollte.
Große Koalition alternativlos
Dieser Streit in der sowieso einflusslosen SPD-Linken macht einmal mehr deutlich, dass es bei allem Gerede über eine Koalition links von der CDU auch in der SPD dazu kaum Bereitschaft gibt. Das lässt sich an der Mindestlohndebatte gut verfolgen. Statt sich im Streit um eine mehr oder weniger missglückte Metapher zu zerlegen, hätte die SPD-Linke aus ihrer eigenen Logik herausarbeiten können, dass die jetzt beschlossene Regelung das Äußerste ist, was die Union zugesteht.
Wenn Menschen einen höheren Mindestlohn wollen, müsste sich die SPD daher andere Bündnisoptionen offen halten, wäre dann eine realpolitische Argumentation. Doch selbst ein großer Teil der SPD-Linken war dazu nicht bereit. Sie betonten den großen Erfolg des jetzt beschlossenen Mindestlohns und machen damit ihrem Wählerklientel deutlich, dass sie sich eine andere Regierungsoption als die jetzige Koalition kaum vorstellen können.
Zudem wird hier wieder einmal in aller Öffentlichkeit eine SPD vorgeführt, die nicht mehr will, als vom Kapital als Juniorpartner der Union gelobt zu werden. Der Mindestlohn ist in diesem Zusammenhang tatsächlich, wie Nahles schreibt, ein deutscher Standortfaktor, weil er auch eine Barriere gegenüber billigeren Unternehmen aus dem Ausland darstellt. Ob Menschen davon leben können, ist dabei zweitrangig.
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Peter Nowak
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