Ist der Mindestlohn ein verfaulter Apfel?

Doppelpass und Mindestlohn

Droht Supergau bei Software-Umstellung der Bundesagentur für Arbeit?

Links

[1]

http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/01/30/neue-software-millionen-hartz-iv-empfaengern-droht-zahlungs-stopp/

[2]

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Hartz-IV-Software-Allegro-soll-A2LL-abloesen-189165.html

[3]

http://www.deutschlandfunk.de/neue-software-hartz-iv-auszahlung-im-april-gefaehrdet.769.de.html?dram:article_id=275790

[4]

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Debatte-um-neue-Software-der-Bundesagentur-fuer-Arbeit-154786.html

[5]

http://bielefeld.verdi.de/arbeit_in_den_fachbereichen/fb7_gemeinden/jobcenter/data/JobcenterReport%20Verdi%20Sept%202013.pdf

[6]

http://www.komba.de/fileadmin/user_upload/laender/nrw/info/presse/Meldungen/2013/pm_29082013_kombanrw_warnt_vor_supergau_einfuehrung_allegro_jobcenter.pdf

[7]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155428

[8]

https://www.sgb2.info/seite/personalbemessung

[9]

http://www.steria.com/de

[10]

http://www.bearingpoint.com/de-de/

[11]

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/arbeitsagentur-korrigiert-statistik-zahl-der-niedrigloehner-seit-jahren-ueberschaetzt-12777715.html

[12]

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/glosse-revisionsbedarf-12777717.html

[13]

http://www.hdba.de/

[14]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155428

[15]

http://kritischerkommilitone.wordpress.com

[16]

http://altonabloggt.wordpress.com/2014/01/30/bundesagentur-fur-arbeit-schasst-kritischen-studenten-der-hochschule/

Wird eine große Koalition am Mindestlohn scheitern?

Links

[1]

http://www.insm.de/insm/kampagne/chance2020/printanzeigen.html

[2]

http://www.insm.de/insm/Presse/Pressemeldungen/Chance2020-das-marktwirtschaftliche-Reformpaket.html

[3]

http://www.welt.de/wirtschaft/article121033950/Mindestlohn-Debatte-gefaehrdet-Tarifautonomie.html

[4]

http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.428112.de/13-39.pdf

[5]

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2294248/

[6]

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/zu-teuer-familienunternehmen-warnen-vor-mindestlohn/8972122.html

Ein Mindestlohn, von dem man leben kann?


Wie beim Bürgergeld verbergen sich auch beim Mindestlohn die unterschiedlichsten Konzepte. Nur wenige wären für die Beschäftigten eine Verbesserung

Der Mindestlohn ist in Deutschland beliebt. Das zeigte sich auf einer Bürgerkonvent genannten Wahlkampfauftaktveranstaltung der SPD in Berlin. Zu den 11 dort aufgestellten Forderungen gehörte die „Einführung eines gesetzlich geregelten Mindestlohns“ an erster Stelle. Über die Höhe schweigt man sich bei den Sozialdemokraten allerdings aus.

Dabei sorgt die Bundesregierung dafür, dass die SPD auch beim Thema Mindestlohn das Alleinstellungsmerkmal verliert. Nachdem die Union schon länger die Zustimmung zu einem Mindestlohn signalisierte, wird seit der Niedersachsenwahl auch von einem Kurswechsel der FDP gesprochen. Da hat die FDP noch mit ihren „Vier Gründen gegen den Mindestlohn“ ihr Klientel zufriedengestellt, wie das Wahlergebnis zeigt.

Seitdem ist sich die Presse uneinig, ob die FDP in Sachen Mindestlohn eine Kehrtwende vollzog oder sich doch treu geblieben ist. Die Wahrheit steckt im Detail. Längst werden mit dem Begriff Mindestlohn ähnlich wie beim Bürgergeld völlig unterschiedliche Konzepte verstanden. Nur wenige bringen den Lohnabhängigen Verbesserungen.

Flächendeckend, aber nicht einheitlich

Einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn lehnt die FDP aber ebenso wie die Union weiterhin ab. Stattdessen soll die Höhe der Lohnuntergrenzen auch künftig Branche für Branche dezentral festgelegt werden. Die von SPD, Grünen und Linken regierten Bundesländer hatten im Bundesrat einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro beschlossen. Während auch die von einer SPD-CDU-Koalition regierten Bundesländer Saarland und Mecklenburg-Vorpommern für diese Variante des Mindestlohns stimmten, enthielt sich das von der gleichen Parteienkonstellation regierte Berlin im Bundesrat, weil die CDU ihr Veto einlegte.

Nur auf den ersten Blick ist erstaunlich, dass ausgerechnet die FDP, die in den letzten Jahren immer wieder gegen die angebliche Macht der Gewerkschaften wetterte, die Wichtigkeit der Tarifautonomie betonte und mit dem Argument einen flächendeckenden Mindestlohn ablehnte. So haben die Gewerkschaften vor zwei Jahrzehnten auch nicht argumentiert und die Tarifautonomie gegen einheitliche gesetzliche Regelungen ins Feld geführt. Der Unterschied liegt in der Veränderung des Kräfteverhältnisses, die durch die ökonomische Entwicklung, aber auch durch eine wirtschaftsliberale Politik bewirkt wurde.

Vor 20 Jahren konnten Gewerkschaften in Tarifverhandlungen und -kämpfen noch Löhne durchsetzen, von denen die Beschäftigten leben konnten. Das ist seit mehreren Jahren in vielen Branchen nicht mehr der Fall, wie die zunehmende Zahl der Lohnabhängigen zeigt, deren Lohn ihre Reproduktionskosten nicht mehr deckt und die mit Hartz IV aufstocken müssen. Arm trotz Arbeit ist ein vielzitierter Spruch. Erst durch diese Veränderung dieses Kräfteverhältnisses wurden die meisten DGB-Gewerkschaften zu Befürwortern einen staatlichen Mindestlohns.

Wenn die FDP nun mit dem Verweis auf die Tarifautonomie gegen einen flächendeckenden Mindestlohn eintritt, unterstützt sie die Position des Unternehmerlagers, das eben in diesen Tarifauseinandersetzungen oft am längeren Hebel sitzt. Reinhard Bispinck von der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung warnte bereits im letzten Jahr vor einem Mindestlohn, von dem nicht leben kann.

Vernichtet Mindestlohn Arbeitsplätze?

Wie schon die FDP vor der Niedersachsenwahl warnen jetzt auch wirtschaftsnahe Institute vor einem Wirtschaftseinbruch in Deutschland und einer Zunahme der Arbeitslosigkeit, wenn ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt wird. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bezeichnet einen flächendeckenden Mindestlohn als Weg in eine erhöhte Erwerbslosigkeit. Der INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr brachte Frankreich als warnendes Beispiel in die Diskussion:

„In Frankreich entspricht der Mindestlohn 48 Prozent des durchschnittlichen Lohns – dort steigt die Jugendarbeitslosigkeit und ist mit aktuell 25 Prozent dreimal so hoch wie in Deutschland.“

Damit reiht sich das wirtschaftsnahe Institut in die Phalanx der Kräfte ein, die mit dem Verweis auf eine angeblich zu geringe Arbeitsproduktivität in Frankreich eine wirtschaftsliberale Politik durchsetzen wollen. Erst vor kurzen wurde das Lamento eines US-Reifenfabrikanten bekannt, der sich über mangelnde Arbeitsmoral, den Einfluss von kommunistischen Gewerkschaftern und einer angeblich „extremistischen Regierung“ in Frankreich warnte („Bis sie enden wie die Griechen“).

Der Arbeitsmarktforscher Steffen Lehndorff hingegen verweist auf positive Effekte durch die Arbeitszeitverkürzung. Auch die Initiative Mindestlohn versucht an vielen Einzelbeispielen aufzuzeigen, dass ein Mindestlohn der Wirtschaft nicht schade. Mit Blick auf die EU-Freizügigkeit wird der Mindestlohn sogar als Standortfaktor in Deutschland beworben.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153845
Peter Nowak

Mindestlohn und Marktwirtschaft

Die Union schafft mit ihrem Antrag zum Mindestlohn Distanz zur FDP und verringert die Hürden für große Koalitionen

Die SPD wird sich anstrengen müssen, um im Wahlkampf deutlich zu machen, wie sie sich noch von der Union unterscheidet. Bei den letzten Wahlen spielte das Thema Mindestlöhne noch eine zentrale Rolle. Doch jetzt hat die Union das Thema entdeckt. Auf den nächsten Parteitag Mitte November in Leipzig soll dort ein Antrag verabschiedet werden, der die Einführung einer branchenübergreifenden Lohnuntergrenze fordert. Er soll allerdings nicht vom Staat festgelegt, sondern von den Tarifpartnern ausgehandelt werden.

Bundeskanzlerin Merkel, die den Antrag unterstützt, will damit propagandistisch punkten. Denn für diese Legislaturperiode hat das Thema keine Relevanz. Die FDP warnte schon vor einem Linksruck und verwies auf den Koalitionsvertrag, in dem ein einheitlicher Mindestlohn abgelehnt wird. Doch der Beschluss zielt auf die Zeit nach den nächsten Wahlen und gibt ein eindeutiges Signal. Während eine Hürde gegenüber der SPD abgebaut wurde, wird ein neuer Streitpunkt zur FDP aufgebaut. Da die Zukunft der FDP zur Zeit ungewiss und eine schwarz-gelbe Mehrheit nicht in Sicht ist, werden schon mal programmatisch die Weichen für eine große Koalition gestellt.

Der Zeitpunkt war also mit Blick auf die nächsten Wahlen für die CDU klug gewählt. Inhaltlich war die Positionierung nicht so überraschend. Es zeugt von der Hegemonie wirtschaftsliberaler Ideologie, dass in der öffentlichen Meinung in Deutschland die Befürwortung eines Mindestlohns fast schon in die Nähe einer antikapitalistischen Politik gerückt und als Verstoß gegen die Marktwirtschaft angesehen wird. In der Realität gehört Deutschland zu den 7 von 27 EU-Staaten, die keinen Mindestlohn eingeführt haben. Dabei hat das gewiss nicht antikapitalistische Luxemburg den höchsten Mindestlohn, gefolgt von dem konservativ regierten Frankreich. Danach kommen die Niederlande und Belgien. Auch in Irland und Großbritannien kommen die Lohnabhängigen in den Genuss eines solchen Mindestlohns.

Gewerkschafter gegen Mindestlohn

Wenn jetzt die CDU-Mindestlohnbefürworter vehement zu beweisen versuchen, dass sie sich damit mit den Theoretikern der Marktwirtschaft im Einklang befinden, so soll damit der unionsinterne Widerstand vor allem aus dem einflussreichen industrienahen Flügel gedämpft werden, der mit der Berufung auf Ludwig Erhard strikt gegen staatlich festgesetzte Löhne agiert. Andererseits zitieren Unionspolitiker aus dem Grundlagenwerk zur Marktwirtschaft von Alfred Müller-Armack: „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“.

„Es ist marktwirtschaftlich durchaus unproblematisch, als sogenannte Ordnungstaxe eine staatliche Mindesthöhe zu normieren, die sich im wesentlichen in der Höhe des Gleichgewichtslohns hält, um willkürliche Einzellohnsenkungen zu vermeiden.“

Vehement gegen einen Mindestlohn war lange der DGB. Die Festsetzung der Löhne sollte eine Sache der eigenen Kampfkraft sein. Erst als die Macht in manchen Branchen so stark gesunken war, dass sie zu tarifvertragsfreien Zonen wurde, entdeckten die Gewerkschaften den Staat und wandelten sich zu den entschiedensten Mindestlohnbefürwortern. Auch die SPD hat den Mindestlohn erst nach dem Ende der Regierung Schröder entdeckt. Der „Genosse der Bosse“ sah darin Gift für die Wirtschaft und lehnte ihn ab. Bei der Union gab es seit 2005 Stimmen, die sich für Mindestlöhne in bestimmten Branchen einsetzten. Wenn jetzt auch die Wirtschaftsverbände wieder vehement vor einem Mindestlohn warnen, so sind die Reihen dort längst nicht so geschlossen. Angesicht der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU sehen auch manche Industrielle in einem gesetzlichen Mindestlohn einen Schutz vor der Konkurrenz.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150745
Peter Nowak

In 54 Städten gegen Billiglohn und Hartz IV

Kampagne will Kräfte der Betroffenen bündeln / Große Organisationen versagen Unterstützung
Ein steuerfreier Mindestlohn von zehn Euro in der Stunde und eine Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes auf 500 Euro monatlich – das sind die Forderungen einer Kampagne, mit der sich am Sonnabend Initiativen in 54 Städten an die Bevölkerung wandten.
Informationsstände wurden organisiert, Flugblätter verteilt und Plakate geklebt – in erster Linie ging es den Initiatoren um Information und Aufklärung der Bevölkerung über die Ziele der Kampagne. Auch auf den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV, die in einigen Städten weiterhin existieren, sollen die Forderungen propagiert werden. Sie werden am heutigen Tag unter anderem in Bremen, Eisenhüttenstadt und Magdeburg im Mittelpunkt stehen. In Magdeburg wird zugleich an den siebenten Jahrestag der ersten Montagsdemo gegen Hartz IV erinnert, denn die Aktionen in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts wurden zum Auftakt der Bewegung gegen die Hartz-Gesetze im Spätsommer und Herbst 2004.

Jetzt stellt sich die Kampagne bescheidenere Aufgaben. Sie will die Interessen von Erwerbslosen, Lohnabhängigen und sozialen Bewegungen durch Bündelung stärken. Beteiligt sind das Erwerbslosenforum Deutschland sowie zahlreiche Organisationen und Netzwerke der sozialen Bewegung. Die Kampagne begann bereits 2007 mit einem Bündnis gegen Kinderarmut durch Hartz IV. Vor wenigen Wochen wurde die Kampagne um die Mindestlohnforderung erweitert. Damit habe man auf Befürchtungen eines verstärkten Lohndumpings durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit reagiert, die seit dem 1. Mai in ganz EU-Europa gilt, wie Kampagnensprecher Rainer Roth gegenüber ND erläuterte.

Im Internet wurde eine öffentliche Kampagnenseite eingerichtet (www.500-euro-eckregelsatz.de). Von den Betroffenen werden die Forderungen allerdings häufig positiver aufgenommen als von einigen großen Organisationen, die aus unterschiedlichen Gründen eine Unterstützung der Kampagne ablehnten. So schreibt Hardy Krampertz vom Attac-Koordinierungskreis, dieser könne den Aufruf nicht unterstützen, weil Attac die Hartz IV-Gesetze grundsätzlich ablehnt und nicht verbessern will. »Als ein Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens, das Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beinhaltet, kann ich eine Forderung nicht mit tragen, die Armut festschreibt. Von 340 Euro kann mensch nicht leben, von 500 Euro aber auch nicht«, moniert Krampertz. Werner Rätz von der Attac-AG »Genug für Alle« geht auf einen weiteren Dissens ein. Während der Kampagnensprecher Rainer Roth fordert, dass alle sozialen Sicherungen aus Erwerbsarbeit, also Arbeitslohn oder Lohnersatzleistungen resultieren müssen, will die AG »Genug für Alle« die soziale Sicherheit der Menschen vom Verkauf der Arbeitskraft abkoppeln. Für den DGB wiederum sind die von der Kampagne aufgestellten Forderungen zu weitgehend. »Die von Ihnen aufgeführten Argumentationen sind nachvollziehbar. Nur in der Frage der politischen Mehrheit für eine solche Umsetzung fehlt es insbesondere in der jetzigen Konstellation der schwarzgelben Bundesregierung«, schreibt Reinhard Dombre, der beim DGB-Bundesvorstand für die Tarifpolitik zuständig ist. Er verweist darauf, dass der DGB einen Mindestlohn von 7,50 Euro in der Stunde beschlossen hat. Edgar Schu, der für das Aktionsbündnis Sozialproteste im Kampagnenrat sitzt, kann die Argumentation des Gewerkschafters nicht verstehen. »Maßstab für gewerkschaftliche Forderungen zur Höhe des sozialen Existenzminimums von Erwerbslosen und Lohnabhängigen kann nicht die Haltung der jeweiligen Regierung sein«, macht Schu den Standpunkt der Kampagne geltend. Ein Stundenlohn von zehn Euro sei »das soziale Existenzminimum« von Lohnabhängigen, das deshalb auch nicht mit einer Lohnsteuer belegt werden dürfe.

An diesem Punkt macht Rainer Roth auch einen Dissens mit der LINKEN aus. Die fordert ebenfalls einen Mindestlohn von zehn Euro, will ihn aber nicht von der Lohnsteuer ausnehmen. Einigkeit besteht zwischen der LINKEN und der Kampagne bei der Forderungen nach einer Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes auf 500 Euro. Auch die Aktionstage werden von verschiedenen Ortsverbänden der Linkspartei unterstützt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/202835.in-54-staedten-gegen-billiglohn-und-hartz-iv.html

Peter Nowak

Mindestlohn für den Standort Deutschland

Wegen der im Mai 2011 in Kraft tretenden Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus Osteuropa sind scheinbar in Deutschland nun auf einmal alle für einen Mindestlohn – nur die FDP ziert sich noch
Eigentlich wollte die Bundesregierung die Chaoswochen hinter sich lassen, in denen sich die Koalitionäre auf offener Bühne stritten. Und dann das. Die FDP ändert bei der Frage eines Mindestlohns für Leiharbeiter innerhalb von Stunden ihre Position. Da war am vergangenen Donnerstag schon verkündet worden, dass auch die FDP ihren Widerstand aufgegeben hat, dann kam prompt das Dementi. Der liberale Fraktionsvize Heinrich Kolb betonte, seine Partei sehe in dieser Angelegenheit nach wie vor keinen Handlungsbedarf. Damit stellt sich die FDP gegen ein ganz breites Bündnis, das von der Linken über die SPD, die Grünen bis zur Union, den Bundesländern, den Gewerkschaften und auch Wirtschaftsvertretern reichte.
   

Faire Entlohnung statt Mindestlohn

Die von Kolb vorgetragene Alternative könnte allerdings auch bei Gewerkschaftern auf Zustimmung stoßen:

——————————————————————————–

 Wir wollen daher den Grundsatz des equal pay (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) im Bereich der Zeitarbeit stärken. Die Angleichung an die Entlohnung der Stammbelegschaft des Entleihers ist sachgerecht und dient den Interessen der Zeitarbeitnehmer besser als ein Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche, den die FDP ablehnt.
Heinrich Kolb

 Auch die Begründung konnte direkt aus einem Think Thank der Gewerkschaften kommen:
——————————————————————————–

 Die mit den Hartz-Gesetzen seinerzeit von der rot-grünen Bundesregierung in das Arbeitnehmerüberlassungs-Gesetz (AÜG) eingeführte Tariföffnungsklausel hat zu einer Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses geführt: Die Entlohnung der Zeitarbeitnehmer wird heute zu fast 100% per Zeitarbeits-Tarifvertrag festgelegt. Die Gleichbehandlung mit der Stammbelegschaft ist dahinter nahezu vollständig zurückgetreten.
Heinrich Kolb

Allerdings will die FDP das Prinzip equal pay in der Leiharbeitsbranche erst nach einer Anlernzeit anwenden.

Deutschland im November 2010. Die ganz große Volksfront für den Mindestlohn und die FDP stattdessen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit? Hat also der Neoliberalismus endgültig abgedankt, wie verschiedene Experten im letzten Jahr auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise prophezeiten?

Nein, der ungewohnte Frontverlauf in Sachen Mindestlohn kommt nicht daher, dass alle ihr soziales Gewissen entdeckt haben. Es geht vielmehr um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Im Mai 2011 tritt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den neuen osteuropäischen EU-Ländern in Kraft. Zeitarbeitsfirmen mit Sitz in Polen könnten dann nach derzeitiger Rechtslage billige Arbeitskräfte nach Deutschland verleihen, die nicht den deutschen Tarifen unterliegen. Schon gibt es in der deutschen Zeitarbeitsbranche Überlegungen, mittels Tochterfirmen in Deutschland die Löhne zu drücken. Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass deutsche und nicht polnische Unternehmen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit am meisten profitieren werden.

Allerdings ist die Zeitarbeitsbranche nur eine Gruppe innerhalb der deutschen Wirtschaft. Ein großer Teil der in der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zusammengeschlossenen Unternehmensvertretern sieht in ihnen Konkurrenten, die polnische Tarifverträge auch nutzten könnten, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Teilen der Wirtschaft zu sichern. Darin liegt auch der Grund, warum sich der BDA-Präsident Dieter Hundt dafür einsetzt, dass der geltende Mindestlohn auch auf die ausländischen Zeitarbeitsfirmen ausgedehnt wird.

In dieser Frage treten die Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Fraktionen der Wirtschaft besonders deutlich zu Tage. Aber solche Gegensätze gibt es auch in anderen Fragen häufig. Politiker, aber auch Interessenverbände sind in der Regel bestrebt, diese Widersprüche möglichst auszugleichen und erst gar nicht in die öffentliche Debatte zu bringen. Bei der Mindestlohndebatte ist das noch nicht gelungen. Gerade deswegen ist der Druck auf die FDP groß. Schon ist von einer Paketlösung die Rede. Danach würde die FDP einem Mindestlohn auch für ausländische Lohnabhängige akzeptieren, wenn die Weiterbildungsbranche und die Briefdienstleistungen aus dem Arbeitnehmerentsendegesetz gestrichen würden. Flächendeckende Mindestlöhne wären dann für diese Branchen nicht mehr möglich.

Angst vor den „Billigpolen“

Die Kontroverse ist noch nicht beendet. Doch auffällig ist, dass die Befürworter des Mindestlohns in der Regel nicht mit sozialen Argumenten, sondern mit Standortverteidigung auftrumpfen.

„Aber es ist auch bezeichnend, dass erst dann, wenn wieder der vermeintliche „Billiglöhner“ aus Polen vor der Tür steht, selbst liberale Politiker der Einführung einer Lohnuntergrenze in Deutschland doch nicht so abgeneigt sind“, schreibt eine Kommentatorin in der Taz. In diesem Szenario wird die Diskussion um die Einführung einer sozialen Maßnahme für alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Herkunft mit der Angst vor den „Billigpolen“ orchestriert. Damit werden wieder neue Spaltungslinien aufmacht. Wer in den 90er Jahren verfolgt hat, wie polnische und andere osteuropäische Bauarbeiter zu Sündenböcken stilisiert und bei einer Bauarbeiterdemonstration sogar angegriffen worden sind, muss solche Töne äußerst kritisch sehen.

Auch der DGB argumentiert bei dieser Frage zwiespältig. In einer Meldung geht er immerhin darauf ein, dass auch deutsche Firmen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren:
——————————————————————————–

 Dem Chef des Unternehmerverband für grenzüberschreitend tätige Zeitarbeitsfirmen IPP, Tomasz Major, zufolge gründen derzeit deutsche Leiharbeitsunternehmen Niederlassungen in Polen. „Einige haben von polnischen Rechtsanwälten Firmentarifverträge aufsetzen lassen, in denen Dumping-Stundenlöhne von vier, fünf Euro stehen.“
DGB

Wegen der deutlich gesunkenen Arbeitslosigkeit in Polen erwarte Deutschland aber „keine Flut“, wird Jerzy Golbik, Geschäftsführer des Leiharbeitsunternehmens Personnel International, zitiert. Wenn der Satz auch Entwarnung geben soll, werden doch Metaphern verwendet, die die Angst vor Kollegen aus dem Ausland eher verstärken. Dabei gibt es in der deutschen Arbeits- und Wirtschaftsgeschichte gute Beispiele, wie eine große Zahl von polnischen Arbeitskräften Ende des 19.Jahrhunderts ins Ruhrgebiet eingewandert ist und sich schnell zu einer der Stützen der damals entstehenden Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung entwickelte. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit unabhängig von der Herkunft der Arbeiter“ lautete damals die Forderung.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33733/1.html

Peter Nowak

Mindestlohn als Lösung?

Deutschland braucht den Mindestlohn«, heißt es auf der Homepage des DGB. Wesentlich kleiner steht darunter, dass es keinen Stundenlohn unter 8,50 Euro geben soll. Dabei handelt es sich um kein unwesentliches Detail, obwohl sich die DGB-Gewerkschaften wohl selber nicht immer daran halten. Schließlich hat ver.di für den Pflegebereich einen Mindestlohn von 7,50 Euro gefordert. Manchmal sind die vereinbarten Mindestlöhne sogar noch niedriger.

  Unabhängig davon, besteht aus gewerkschaftlicher Perspektive kein Grund, in Jubel auszubrechen, wenn der Mindestlohn sich auch in weiteren Branchen durchsetzt. Die dürften in der nächsten Zeit wachsen. Denn auch Unternehmern wie Lidl und Schlecker, die bisher nicht als Vorkämpfer von Arbeiterrechten aufgefallen sind, beginnen Gefallen am Mindestlohn zu finden. Grund dafür ist die EU-weite Arbeitnehmer-Freizügigkeit, die am 1. Mai 2011 auch in Deutschland vollständig in Kraft tritt. Dann könnten auch Firmen aus Mittel- und Osteuropa Leistungen zu den Tarifbestimmungen ihrer Heimatländer im gesamten EU-Raum anbieten. Um einen Unterbietungswettkampf zu verhindern, haben auch manche Unternehmen den Charme eines Mindestlohns entdeckt, wenn er nur nicht zu hoch ist.

Als die Gewerkschaften noch stärker waren, sahen sie in Mindestlohnforderungen Eingriffe in die Tarifautonomie. Schließlich kann ein Mindestlohn Unternehmen auch vor höheren Lohnforderungen schützen.

Kein Zweifel, Mindestlöhne können ein Schutz vor einem Unterbindungswettbewerb in Branchen sein, in denen der Organisationsgrad der Beschäftigten besonders schlecht ist. Doch auch dort sollten Gewerkschaften gemeinsam mit den Beschäftigten Wege suchen, damit diese selber für die Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen, nicht nur der Löhne, streiten und auch streiken können. Erkämpfte Verbesserungen stärken das Selbstvertrauen der Kollegen und stärken auch die Gewerkschaften. Mindestlöhne sind eine politische Entscheidung, die bei anderen Mehrheiten oder aus politischer Opportunität wieder rückgängig gemacht werden kann. Schon deshalb sollten Gewerkschaften flächendeckenden Mindestlöhnen mit Skepsis begegnen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/175825.mindestlohn-als-loesung.html

Peter Nowak

Haustarif und Mindestlohn

Der Kampf um den Mindestlohn in der Postbranche geht weiter
Ver.di will Haustarifverträge in der Briefdienstbranche abschließen. Der Postmindestlohn ist deshalb nicht vom Tisch.
Ver.di will Haustarifverträge für Briefzusteller. »Wir werden die Unternehmen der Briefdienstebranche, bei denen wir auseinandersetzungsfähig sind, zu Verhandlungen über Haustarifverträge auffordern«, kündigte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende, Andrea Kocsis am Mittwoch an. Den entsprechenden Beschluss habe die Tarifkommission gefasst, nachdem die Vertreter des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste (AGV NBZ) einer Einladung zu Tarifverhandlungen vorige Woche nicht gefolgt waren.

Nach einer Erhebung der Bundesnetzagentur sind Stundenlöhne von bis zu 5,50 Euro bei den Briefdiensten nichts Ungewöhnliches. Der von der Bundesregierung verordnete Branchenmindestlohn für Briefzusteller von 9,80 pro Stunde war Ende Januar vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wegen eines Verfahrensfehlers gekippt worden. Mit dem Auslaufen der Mindestlohnverordnung zum 30. April hatte die Bundesregierung die Tarifparteien beauftragt, die vertraglichen Voraussetzungen für eine neue Verordnung zu schaffen.

Am vergangenen Donnerstag hatte ver.di einen neuen Anlauf gestartet, doch der Stuhl des NBZ-Präsidenten Florian Gerster blieb leer. Der ehemalige SPD-Politiker und spätere Chef der Bundesarbeitsagentur erklärte gegenüber der Tageszeitung »Welt«, er sei grundsätzlich zu Gesprächen bereit, wenn ver.di von seinen Lohnforderungen abgeht. Ver.di versicherte dagegen, noch keine Lohnforderungen gestellt zu haben. »Das Nichterscheinen von Herrn Gerster oder seiner Mannschaft lässt uns ernsthaft an der Bereitschaft des AGV NBZ zweifeln, mit uns tatsächlich einen Tarifvertrag abzuschließen», monierte Andrea Kocsis.

Die Zweifel hat Florian Gerster bestärkt, als er in der »Welt« androhte, sein Verband könne jederzeit mit einer anderen Gewerkschaft verhandeln. Schon in der Vergangenheit versuchten die Unternehmerverbände durch Verhandlungen mit kleinen Gewerkschaften, der Auseinandersetzung mit ver.di aus dem Weg zu gehen und die Löhne zu drücken. In dem Zusammenhang geriet auch die heutige niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) in die Kritik. Sie soll laut Medienberichten vor zwei Jahren für die deutsche Tochter des niederländischen TNT-Konzerns einen Tariflohn von 7,50 Euro in der Stunde ausgehandelt haben. Sie führte die Verhandlungen mit der Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation. Ver.di hatte jedoch den seinerzeit geltenden Mindestlohn von 9,80 Euro mit der Post ausgehandelt. »Da ihr als Juristin bekannt gewesen sein muss, dass damals ein Postmindestlohn von 9,80 Euro galt, hat Özkan mit ihren Löhnen die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten«, kritisierte der Frankfurter Arbeitsrechtler Otto Ernst Kempen.

»Durch immer höhere Zielvorgaben, weniger Personal und steigende Krankenstände wächst der Druck«, zitiert die Gewerkschaftszeitung ver.di-Publik Mitarbeiter der Zustellbranche. Auch der Bundesvorsitzende der nicht bei ver.di organisierten Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM) Volker Geyer warnte vor einer Verschärfung des Lohn- und Sozialdumping in der Zustellbranche. Der DPV sammelte kürzlich rund 20 000 Unterschriften für einen neuen Mindestlohn.

Die Frage wird nun sein, ob die Gewerkschaften auch zu schärferen Kampfmitteln greifen. Die jüngste Forderung nach Haustarifverträgen klingt eher defensiv, auch wenn verbal am Mindestlohn festgehalten wird.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/171792.haustarif-und-mindestlohn.html

Peter Nowak