Europa von unten aufgerollt

Europäisches Netzwerk der Basisgewerkschaften tagt und demonstriert in Berlin – Bericht von Peter Nowak und Willi Hajek

Ein seltenes Bild bot sich den wenigen PassantInnen, die am 16. März an der Zentrale des DGB-Vorstands in Berlin-Mitte vorbeikamen. Dort hatten sich GewerkschafterInnen aus mehreren europäischen Ländern versammelt und hielten ihre Transparente und Fahnen in den scharfen Wind. Darunter Banner der Cobas aus Italien, mehrere Sektionen der französischen Gewerkschaft Sud und der polnischen Gewerkschaft der Krankenschwestern und Hebammen. Vor der DGB-Zentrale protestieren sie gegen alle Versuche, die Gewerkschaftsrechte für Basis- und Spartengewerkschaften einzuschränken. Dieser Protest hatte einen konkreten Grund.

In Deutschland unterstützt der DGB ein Gesetz zur Tarifeinheit, das die Rechte von kleineren Gewerkschaften, Branchen- und Basisgewerkschaften einschränken würde. In Italien, Frankreich und Spanien schließen die großen Gewerkschaften Abkommen mit der Regierung. Branchen- und Basisgewerkschaften werden ignoriert, ihre Rechte teilweise massiv eingeschränkt. Daher appellierten die RednerInnen in mehreren Sprachen an den – am Sonntag allerdings abwesenden – DGB-Vorstand, sich nicht an der Einschränkung von Gewerkschaftsrechten zu beteiligen. Die zu der Aktion per Presseerklärung eingeladenen Medien ignorierten diese europäische Aktion von BasisgewerkschafterInnen vollständig. Das Neue Deutschland hatte für so viel Kritik am DGB schlicht „keinen Platz“, wie die verantwortliche Redakteurin dem Verfasser mitteilte.

Die Aktion bildete den Abschluss des diesjährigen Treffens der europäischen Basisgewerkschaften in Berlin, an dem sich vom 14.-16. März mehr als 60 GewerkschafterInnen aus Italien, Spanien, Schweiz, Frankreich, Polen und der BRD beteiligten. Seit 2001 finden diese Treffen jährlich in einem anderen europäischen Land statt. Die Wurzeln des Netzwerks reichen bis in das Jahr 1995 zurück, als die Erhöhungen des Renteneintrittsalters in Frankreich zu Massenstreiks führten und die Notwendigkeit deutlich machten, dass sich Basisgewerkschaften europaweit koordinieren. Den Kern des Netzwerks bilden heute die Gewerkschaften der SUD Solidaires aus Frankreich, die CGT aus Spanien und die italienischen Cobas. Aus Deutschland beteiligten sich an der Vorbereitung und der Veranstaltung die FAU-Berlin, die Wobblies (Berlin), TIE-Germany, labournet.de, labournet.tv, der Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall/Berlin und die Basisinitiative Solidarität (BaSo) aus Wuppertal.

Ein Schwerpunkt der theoretischen Debatte war die Bedeutung von Betriebsbesetzungen, Betriebsübernahmen und Arbeiterselbstverwaltung in der Krise. Hierzu wurden gemeinsame Orientierungsthesen erarbeitet.

In mehreren Resolutionen wurde darüber hinaus die Mobilisierung für den „Marsch der Würde“ am 22. April in Madrid sowie die Teilnahme an den Blockupy-Aktionstagen, die Mitte Mai in mehreren europäischen Ländern stattfinden werden, beschlossen. Obwohl das Verfassen von Resolutionen nach dem Geschmack eines Delegierten der FAU deutlich zu viel Raum auf dem Treffen einnahm, erschöpfte sich die Arbeit nicht darin. Mittlerweilen existieren innerhalb des Netzwerks Branchennetzwerke für Call Center, Gesundheit, Transport, Industrie, Erziehung und den Öffentlichen Dienst. In entsprechenden Arbeitsgruppen ging es um den Ausbau der vorhandenen Kontakte und gemeinsame Aktivivtäten. So beratschlagten in dem Netzwerk „Bahn ohne Grenzen“, an dem sich neben europäischen Bahnbeschäftigten, NutzerInnen-Initiativen und ökologisch orientierten Gruppen auch afrikanische Bahnbeschäftigte beteiligen, auch Gäste eines linksgewerkschaftlichen Berliner Bündnisses bei der S-Bahn, wie man weitere Privatisierungen verhindern kann. Ihre gemeinsame Perspektive richtet sich auf einen Kampf für eine öffentliche Bahn unter Kontrolle der Beschäftigten und der NutzerInnen.

Interessant war der Bericht einer Cobas-Neugründung aus Norditalien, die aus einem mittlerweile vier Jahre andauernden militanten Streik in einem der wachsenden Logistik-Zentren bei Mailand vor zwei Monaten entstanden war. Ausführlich berichteten die KollegInnen über ihren Kampf gegen Logistikkonzerne wie TNT, DHL und GLS und den Milchriesen Granarolo, in dem sie sich – weitgehend erfolgreich – u.a. für die Wiedereinstellung von 51 entlassenen KollegInnen, die Einhaltung von Tarifverträgen (die bei den italienischen Großgenossenschaften gesetzlich außer Kraft gesetzt sind) und einen geregelten Acht-Stunden-Tag eingesetzt haben. Zu der Auseinandersetzung gibt es auch einen Film („Granarolo – eine Woche der Leidenschaft“, 15 min., italienisch mit dt. Untertiteln, bei labournet.tv unter: http://de.labournet.tv/laender/italien/) und einen längeren Hintergrundtext zum Boom der Logistikbranche in Italien und zur Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse in dieser Branche (http://debatteforum.wordpress.com/).

Aus Polen waren die Gewerkschaften der Krankenschwestern und Hebammen gekommen, die das „europäische Manifest gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens“ vorstellten (s. auch express, Nr. 10/2012). Die Initiative für diesen Aufruf und die laufende Kampagne war von belgischen, französischen und polnischen BasisgewerkschafterInnen im Gesundheitsbereich ausgegangen. Etwas enttäuscht zeigte sich eine Delegierte der polnischen Gewerkschaft, die in dem Workshop über den Widerstand gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens allein blieb. Dabei existiert das Manifest seit über einem Jahr und liegt übersetzt in verschiedenen Sprachen vor. (Auf Deutsch kann es auf der Homepage des vdää nachgelesen werden[1]).

Dass hier die Chance für eine internationale Koordinierung nicht besser genutzt werden konnte, ist auch deshalb bedauerlich, weil aktuell Beschäftigte an der Berliner Charité gemeinsam mit einer Solidaritätsinitiative gegen die zerstörerischen Folgen der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens und für den Zusammenhang von besseren Arbeitsbedingungen und Qualität der Pflege kämpfen. Die GesundheitsaktivistInnen waren jedoch auf dem Care-Revolution-Kongress vertreten, der zeitgleich mit den Treffen des europäischen Gewerkschaftsnetzwerkes in Berlin stattfand (S. dazu den Bericht von Stefan Schoppengerd, S.12  in diesem express). Zu der geplanten gemeinsamen Demonstration kam es leider aus Gründen der Konferenzdramaturgie nicht. Diess  ist aber sicher nicht der kleinen Vorbereitungsgruppe vorzuwerfen, die sich für die Durchführung des mehrsprachigen Kongresses nur auf wenige aktive Gruppen und Einzelpersonen in Berlin stützen konnte. Vielleicht beim nächsten Mal. Verabredet wurde wurde eine Folgekonferenz,  die im Oktober 2014 in Paris stattfinden soll.

express-Ausgabe 3-4/2014

http://www.labournet.de/express/


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