Reise zum unbekannten Kontinent Jobcenter

Eine neue Kampagne will aus einem politischen Konflikt eine Serviceleistung machen

Niemand soll sagen, dass die Piraten nicht die Politik verändern. Schließlich hat die Lektüre eines über die [http://www.heise.de/tp/blogs/8/152639 Probleme des Geschäftsführers der Piratenpartei Ponader sogar einige Leser zu einer neuen Initiative animiert. Weil Ponader dort berichtete, dass Erwerbslose, die sich zum Jobcenter begleiten lassen, eine bessere Gesprächsatmosphäre haben und ihre Forderungen auch oft besser durchsetzen können, kamen sie auf die Idee, die Initiative „Wir gehen mit“ zu gründen. Nach dem Vorbild der Internet-Mitfahrzentralen suchen auch die Mitläufer Interessenten, die sich dann mit den Begleitung suchenden Erwerbslosen kurzschließen sollen. Die Initiative betont ihre parteipolitische Neutralität, doch wer sich durch die Protokolle klickt, wird feststellen, dass die Piratenparte dort einen wichtigen Einfluss hat.

Zu den Zielen der Initiative gehört die „moralische Unterstützung für den der Verwaltungsmaschine ausgelieferten Menschen“. „Es ist ein Geben und Nehmen und beruht auf Gegenseitigkeit. Die Begleiter möchten selbst erfahren, wie unser Sozialsystem von innen aussieht“, heißt es auf Homepage. Diese Formulierung hört sich so an, als hätte ein bis dato von den sozialen Realitäten in unserem Land uninformierter FAZ-Leser über den Umweg über das Schicksal von Herrn Ponader erfahren, dass es in Deutschland Armut und die vielfältigen Zumutungen des Hartz IV-Regimes gibt. Das Mitlaufen wäre dann eine Art Ausflug zu den unbekannten Kontinent Jobcenter, so wie in den 60er Jahren junge weiße Studierende in den USA die Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung unterstützt und dadurch von der Realität von Rassismus und struktureller Gewalt überzeugt wurden. Solche Erfahrungen können tatsächlich das Bewusstsein verändern, wie es eben bei vielen jungen Akademikern in den USA in den 60er Jahren der Fall war. Ob allerdings die Mitläufer dazu bereit sind, muss offen bleiben.

Mitläufer oder solidarische Begleiter?

Denn auffällig ist, dass jeder Hinweis darauf ausgeblendet wird, dass es Begleitaktionen zum Jobcenter nicht erst seit der Gründung der Mitläufer gibt. Nach Einführung von Hartz IV haben viele Selbsthilfegruppen und Erwerbsloseninitiativen Erwerbslose zum Jobcenter begleitet. Sie mussten über die soziale Realität nicht aus der FAZ erfahren, sondern sind oft selber aktive Erwerbslose, die sich seit Jahren gegen Schikanen am Amt wehren und sich mit der Begleitung mehr Solidarität erhoffen.

Ein Unterschied zwischen den Mitläufern und den sozialen Begleitern fällt schon bei einem Blick auf die Internetseiten auf. Während Letztere ganz klar Stellung gegen das Hartz IV-Regime nehmen, bleiben die Mitläufer hier äußerst vage. Bis auf einige Klagen über Ungerechtigkeiten und fehlenden Datenschutz im Amt findet sich keine Position zu Hartz IV. „Uns geht es nicht um die politische Dimension der Sache, sondern um die direkte Hilfe und moralische Unterstützung für die Hilfesuchenden und um die Deeskalation der Situation im Gespräch“, so der Initiator der Mitläufer Till Riebeling.

Menschliches Sozialsystem mit Hartz IV?

Wie das menschliche Sozialsystem aussehen soll, das auf der Internetseite postuliert wird, bleibt unklar. Während Begleitaktionen eindeutig parteiisch auf Seiten der Erwerbslosen sind, lautet das Credo der Mitläufer: „Unsere Arbeit kommt beiden Seiten zugute. Sie hilft, die Gesamtsituation zu entspannen, was sowohl für den Sachbearbeiter als auch für den Hilfesuchenden zu einer besseren und damit konstruktiveren Atmosphäre und besseren Ergebnissen für alle Beteiligten führt.“ Damit wird das Machtgefälle zwischen den Jobcentermitarbeiter und den Erwerbslosen ausgeblendet.

Wenn eine Seite darüber entscheiden kann, ob dringend benötigte Gelder angewiesen werden oder nicht, ob Sanktionen verhäng werden oder eine Aufforderung zur Mietsenkung verschickt wird, dann wird der Ruf nach einem fairen Umgang schnell zum Hohn. Deswegen kritisieren auch viele aktive Erwerbslose die neue Initiative. „Ich möchte kein Mitläufer sein und würde es auch niemand raten“, erklärte ein Berliner Erwerbsloser, der seit Jahren selber Begleitungen anbietet und sich auch selber begleiten lässt. Dass die neue Initiative Zulauf bekommt, überrascht den Mann nicht. Schließlich fehlt in großen Teilen Deutschlands eine soziale Infrastruktur, die Menschen mit wenig Kontakten eine solidarische Begleitung ermöglicht. Dann werden auch Serviceinitiativen als Rettungsanker gesehen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153132
Peter Nowak