Unzensiert lesen

 

Das Büchlein „Der kommenden Aufstand“ beschert dem Buchhandel neue Aufmerksamkeit – der Polizei. Jetzt starten linke Buchläden eine Kampagne gegen Razzien

In den Feuilletons von Freitag, FAZ und anderen wurde in jüngerer Zeit ein aus dem französischen übersetztes Büchlein mit dem programmatischen Titel Der kommende Aufstand (La Insurrection qui vient) rezensiert und diskutiert. Die französischen Ermittlungsbehörden klassifizierten diese fulminante Kampfansage gegen die westliche Zivilisation als Aufruf zum Terrorismus, Bewohner einer Landkommune verbrachten als vermeintliche Mitautoren Ende 2008 längere Zeit in Untersuchungshaft. Dass das Buch auch in Deutschland zu neuen Razzien in linken Buchläden führt, ist gut möglich – jedenfalls vermuten Vertreter der linken Buchhandelsszene, dass die messbare Zunahme an polizeilichen Durchsuchungen nicht bloß mit den jeweils konkret beanstandeten Schriften zusammenhing, sondern auch der Aufmerksamkeitswelle für Der kommende Aufstand geschuldet ist. Schließlich haben allein in diesem Jahr die Buchläden Schwarze Risse, 021 und M99 sechsmal Besuch von der Polizei bekommen. Dreimal war das Münchner Buchcafe Marat Ziel der Polizeimaßnahme. Mal war ein Flugblatt des Berliner Büros für Antimilitaristische Maßnahmen (Bamm), mal die Autonomenpublikation Interim Grund für die Polizeibesuche.

Mittlerweile haben die betroffenen Buchläden in einer Erklärung zur Verteidigung unabhängiger und unkontrollierter Medien aufgerufen, eine Kampagnenhomepage eingerichtet und am 17. November im Berliner Festsaal Kreuzberg eine gutbesuchte Veranstaltung organisiert. Dort sprach sich der Hamburger Rechtsanwalt und Oliver Tolmein für Solidarität mit den angegriffenen Buchläden aus, betonte aber auch, dass eine staatliche Verfolgung noch kein Qualitätssiegel für die Inhalte der inkriminierten Broschüren und Büchern ist.

An der Internetzensur wird noch gefeilt
Die auch in der Freitag-Community bekannte Bloggerin Anne Roth ging in ihrem Referat auf die Parallelen zwischen den Zensurversuchen in der realen und der virtuellen Welt ein. Allerdings werden die Mechanismen in dem Internetbereich noch verfeinert. So kann es mittlerweile schon strafrelevant sein, wenn ein User auf Facebook den „Gefällt mir“-Button anklickt, wenn er damit politische Inhalte meint, die den Verfolgungsorganen gar nicht gefallen. Bisher musste ein User in wenigen Worten zumindest ganz klammheimliches Verständnis mit bestimmten Aktionen äußern, damit sich die Betreiber von Internetseiten wie „Scharf links“, Erwerbslosenforum et cetera einen Strafbefehl einhandelten. Nun soll dazu ein Mausklick reichen.

Extremismusklausel für Zivilgesellschaft?
Fritz Burschel ging in seinen Beitrag auf eine relativ neue Form von staatlicher Restriktion ein, die vor allem jene zivilgesellschaftlichen Gruppen betrifft, die in den vergangenen Jahren im Kampf gegen Rechts auch von staatlichen Stellen gefördert worden sind. Künftig sollen diese Gruppen in manchen Bundesländern eine Klausel unterzeichnen, in denen sie sich nicht nur selber zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ bekennen solle. Sie sollen auch sicherstellen, dass ihre Bündnispartner auf dem Boden der FDGO steht. Die Zivilcourage der Initiative Pirnaer Initiative AKuBIZ, die dazu nicht bereit war und deshalb auf einen sächsischen Demokratiepreis in Höhe von 10000 Euro verzichtete, fand beim Publikum großen Applaus. Wesentlich zurückhaltender blieb das Publikum bei der Diskussion.

Dabei haben die Referenten gute Vorlagen für kontroverse Debatten gegeben. So wies Anne Roth auf das Dilemma hin, wenn die Sicherheitsbehörden Buchläden oder Initiativen vor die Wahl stellen, bestimmte Daten herauszugeben, um die Beschlagnahme des gesamten Computers zu verhindern. Bei der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner (DFG-VK) führte ein solches Ansinnen vor einigen Monaten zu heftigen Streit zwischen dem Vorstand und der Berliner Regionalgruppe. Auch zur Bündnisstrategie fehlten Anregungen. Dabei war deutlich, dass eine Ausweitung in den sozialen Bereich, sprich eine Verbindung bürgerrechtlicher und ehersozialpolitischer Themen, möglich wäre. Schließlich hat die erfolgreiche Abwehr der Verdachtskündigung der Kaisers-Kassiererin Emmely gezeigt, dass hier Widerstand möglich ist. Dass in diesen Fall statt staatlicher Stellen private Firmen die Arbeiter und Angestellte auf verschiedene Weise disziplinieren, muss für eine Kooperation mit den linken Buchläden und den kritischen Internetnutzern kein Hinderungsgrund sein.

Peter Nowak

http://www.freitag.de/politik/1046-unzensiert-lesen


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