Verfahren gegen linke Buchhändler eingestellt

Linke Buchhändler können aufatmen. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat die Verfahren gegen die Läden Schwarze Risse, Oh21 und M99 wegen Beihilfe zur Anleitung von Straftaten und Verstoß gegen das Waffengesetz eingestellt. Dieser Delikte sollen sich die Buchhändler schuldig gemacht haben, weil in den Läden angeblich Flugblätter und Broschüren mit nach Ansicht der Ermittlungsbehörden strafbaren Inhalt zu finden gewesen sein sollen. Durch zahlreiche Polizeirazzien sollte die Polizei Beweise für die Anklagebehörde sammeln. Doch das ist nicht gelungen. Im Februar war ein Buchhändler vom Berliner Amtsgericht freigesprochen worden. Mit der Einstellung aller Verfahren ist nach Meinung von Juristen vorerst der Versuch gescheitert, linke Buchhändler für die bei ihnen angebotene Ware strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/199792.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Grüner nimmt Buchläden in Schutz

PROZESS Erstmals werden jetzt linke Buchhändler angeklagt wegen des Inhalts von Schriften, die sie verkaufen. Solche Prozesse gefährden die offene Diskussion, kritisiert der grüne Abgeordnete Dirk Behrendt
Die juristischen Ermittlungen gegen linke Berliner Buchläden haben jetzt auch das Abgeordnetenhaus beschäftigt. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus Dirk Behrendt wollte vom Senat Einzelheiten zu den Ermittlungsverfahren wissen. In der Antwort auf die Kleine Anfrage bestätigte Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD), dass seit dem 1. Januar vier Verfahren gegen BuchhändlerInnen erhoben worden sind – wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen Paragraf 130 a des Strafgesetzbuches, der die „Anleitung zu Straftaten“ sanktioniert.

Gegenstand der Verfahren seien Druckerzeugnisse wie die autonomen Publikationen Interim und Prisma, die bei polizeilichen Durchsuchungen in den Buchläden beschlagnahmt worden seien. Dabei gehe es unter anderem um den Aufruf zu Straftaten gegen öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr, so die Senatorin.

Der erste Prozess beginnt diese Woche: Eine Mitarbeiterin des Buchladens Oh 21 bestätigte der taz, dass ihre Verhandlung am 8. Dezember um 11.30 Uhr am Berliner Amtsgericht eröffnet wird.

Für den rechtspolitischen Sprecher der Grünen ist dieses juristische Vorgehen gegen die Verkäufer umstrittener Schriften grundsätzlich kritikwürdig. Zwar sei gegen die Beschlagnahme von Schriften mit strafbarem Inhalt nichts zu sagen. „Etwas anderes ist allerdings die Strafverfolgung der Buchhändler. Werden diese in Zukunft verfolgt, müssten sie ihr gesamtes Sortiment kennen und strafrechtlich einschätzen, was kaum möglich ist“, so Behrendt. Er befürchtet, dass viele die Hände von kritischen Texten lassen, denn die Einschätzung, ob etwas strafbar ist, könne ja durchaus differieren. „Durch dieses Verhalten wird womöglich auf den Vertrieb von bedenklichen Texten verzichtet, was eine offene Auseinandersetzung behindert“, befürchtet er.

Aufruf im Internet

In einem Solidaritätsaufruf ruft die Kampagne „Unzensiert lesen“ zu sofortiger Einstellung aller Verfahren gegen die BuchhändlerInnen mit einer ähnlichen Begründung auf. „Es geht um die Legitimität von Opposition. Darüber wird nicht in juristischen, sondern in politischen Auseinandersetzungen entschieden“, heißt es in einem Aufruf, der online unter www.unzensiert-lesen.de unterzeichnet werden kann.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F12%2F06%2Fa0144&cHash=21da2dd7f7

 PETER NOWAK

Unzensiert lesen

 

Das Büchlein „Der kommenden Aufstand“ beschert dem Buchhandel neue Aufmerksamkeit – der Polizei. Jetzt starten linke Buchläden eine Kampagne gegen Razzien

In den Feuilletons von Freitag, FAZ und anderen wurde in jüngerer Zeit ein aus dem französischen übersetztes Büchlein mit dem programmatischen Titel Der kommende Aufstand (La Insurrection qui vient) rezensiert und diskutiert. Die französischen Ermittlungsbehörden klassifizierten diese fulminante Kampfansage gegen die westliche Zivilisation als Aufruf zum Terrorismus, Bewohner einer Landkommune verbrachten als vermeintliche Mitautoren Ende 2008 längere Zeit in Untersuchungshaft. Dass das Buch auch in Deutschland zu neuen Razzien in linken Buchläden führt, ist gut möglich – jedenfalls vermuten Vertreter der linken Buchhandelsszene, dass die messbare Zunahme an polizeilichen Durchsuchungen nicht bloß mit den jeweils konkret beanstandeten Schriften zusammenhing, sondern auch der Aufmerksamkeitswelle für Der kommende Aufstand geschuldet ist. Schließlich haben allein in diesem Jahr die Buchläden Schwarze Risse, 021 und M99 sechsmal Besuch von der Polizei bekommen. Dreimal war das Münchner Buchcafe Marat Ziel der Polizeimaßnahme. Mal war ein Flugblatt des Berliner Büros für Antimilitaristische Maßnahmen (Bamm), mal die Autonomenpublikation Interim Grund für die Polizeibesuche.

Mittlerweile haben die betroffenen Buchläden in einer Erklärung zur Verteidigung unabhängiger und unkontrollierter Medien aufgerufen, eine Kampagnenhomepage eingerichtet und am 17. November im Berliner Festsaal Kreuzberg eine gutbesuchte Veranstaltung organisiert. Dort sprach sich der Hamburger Rechtsanwalt und Oliver Tolmein für Solidarität mit den angegriffenen Buchläden aus, betonte aber auch, dass eine staatliche Verfolgung noch kein Qualitätssiegel für die Inhalte der inkriminierten Broschüren und Büchern ist.

An der Internetzensur wird noch gefeilt
Die auch in der Freitag-Community bekannte Bloggerin Anne Roth ging in ihrem Referat auf die Parallelen zwischen den Zensurversuchen in der realen und der virtuellen Welt ein. Allerdings werden die Mechanismen in dem Internetbereich noch verfeinert. So kann es mittlerweile schon strafrelevant sein, wenn ein User auf Facebook den „Gefällt mir“-Button anklickt, wenn er damit politische Inhalte meint, die den Verfolgungsorganen gar nicht gefallen. Bisher musste ein User in wenigen Worten zumindest ganz klammheimliches Verständnis mit bestimmten Aktionen äußern, damit sich die Betreiber von Internetseiten wie „Scharf links“, Erwerbslosenforum et cetera einen Strafbefehl einhandelten. Nun soll dazu ein Mausklick reichen.

Extremismusklausel für Zivilgesellschaft?
Fritz Burschel ging in seinen Beitrag auf eine relativ neue Form von staatlicher Restriktion ein, die vor allem jene zivilgesellschaftlichen Gruppen betrifft, die in den vergangenen Jahren im Kampf gegen Rechts auch von staatlichen Stellen gefördert worden sind. Künftig sollen diese Gruppen in manchen Bundesländern eine Klausel unterzeichnen, in denen sie sich nicht nur selber zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ bekennen solle. Sie sollen auch sicherstellen, dass ihre Bündnispartner auf dem Boden der FDGO steht. Die Zivilcourage der Initiative Pirnaer Initiative AKuBIZ, die dazu nicht bereit war und deshalb auf einen sächsischen Demokratiepreis in Höhe von 10000 Euro verzichtete, fand beim Publikum großen Applaus. Wesentlich zurückhaltender blieb das Publikum bei der Diskussion.

Dabei haben die Referenten gute Vorlagen für kontroverse Debatten gegeben. So wies Anne Roth auf das Dilemma hin, wenn die Sicherheitsbehörden Buchläden oder Initiativen vor die Wahl stellen, bestimmte Daten herauszugeben, um die Beschlagnahme des gesamten Computers zu verhindern. Bei der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner (DFG-VK) führte ein solches Ansinnen vor einigen Monaten zu heftigen Streit zwischen dem Vorstand und der Berliner Regionalgruppe. Auch zur Bündnisstrategie fehlten Anregungen. Dabei war deutlich, dass eine Ausweitung in den sozialen Bereich, sprich eine Verbindung bürgerrechtlicher und ehersozialpolitischer Themen, möglich wäre. Schließlich hat die erfolgreiche Abwehr der Verdachtskündigung der Kaisers-Kassiererin Emmely gezeigt, dass hier Widerstand möglich ist. Dass in diesen Fall statt staatlicher Stellen private Firmen die Arbeiter und Angestellte auf verschiedene Weise disziplinieren, muss für eine Kooperation mit den linken Buchläden und den kritischen Internetnutzern kein Hinderungsgrund sein.

Peter Nowak

http://www.freitag.de/politik/1046-unzensiert-lesen