Jagte am 8. November ein antisemitischer Mob jüdische Fußballfans durch die Straßen von Amsterdam? Oder machten ultrarechte Israelis mit rassistischen und antiarabischen Parolen an diesem Abend die Straßen der holländischen Hauptstadt unsicher?

Immer diese Widersprüche

Ist es in der Linken nicht mehr bekannt, dass Opfer einer Unterdrückung auch Täter sein können? Gab es nicht über viele Jahre Diskussionen zum Thema Mehrfachunterdrückungen? Sind die schlauen Texte vergessen, die dazu vor allem in der feministischen, aber auch in der antirassistischen Bewegung verfasst wurden? Im Übrigen sollte selbst ohne deren Lektüre klar sein, dass Antisemitismus und Rassismus nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten, sondern gemeinsam und mit allen Mitteln bekämpft werden müssen. 

So unterschiedlich beschreiben Medien die Geschehnisse am Rande des Europapokalspiels Ajax Amsterdam versus Maccabi Tel Aviv. Der Holland-Korrespondent Gerrit Hoeckman von der antizionistischen Tageszeitung »Junge Welt« etwa berichtete unter der Überschrift …

… »Kein Po­grom« schon am 9. November (!): »Die meisten der insgesamt 3000 angereisten Maccabi-Fans waren keine harmlosen Fußballfreunde, sondern ultrarechte Ultras – andere sagen Hooligans –, die durchaus kampferprobt sind.« Da Hoeckmann erwähnen musste, die Fangemeinde unterstütze »voll und ganz die Politik des Kabinetts Netanjahu«, blieb wohl kein Raum mehr, um zu vermelden, dass es zu antisemitischen Vorfällen in den Straßen Amsterdams kam und einige als jüdisch markierte Personen gezwungen wurden, ihre Pässe zu zeigen.

Hierauf geht Elke Wittich in der israelsolidarischen Wochenzeitung »Jungle World« erfreulicherweise ausführlich ein. Doch fehlt bei ihr wiederum jeder Hinweis auf die rassistischen Parolen einiger israelischer Fans, die von verschiedenen Personen bezeugt werden. Unstrittig ist wohl auch, dass Fotos der holländischen Journalistin Anett de Graff falsch untertitelt wurden: Hier wurden aus rechten israelischen Fans »prügelnde Palästinenser«.

Derlei Fehler kommen im Nachrichtenbusiness, wo es darum geht, Meldungen so schnell wie möglich zu veröffentlichen, öfter vor. Es ist daher unverständlich, dass Elke Wittich der Fotografin antiisraelische Motive bei der nachweislich falschen Untertitelung ihrer Fotos unterstellt. Ebenso fragwürdig ist es aber, wenn nachweislich antisemitischen Vorkommnisse gegen die israelischen Fans mit dem Hinweis bagatellisiert werden, unter ihnen hätten sich viele Anhänger der rechten Regierung Israels befunden. Und ein wirkliches Alarmsignal ist es, wenn die gesellschaftliche Linke nicht mehr begreifen kann, dass sich am 7. November sowohl rassistische als auch antisemitische Vorfälle auf Amsterdams Straßen abspielten.

Dabei ist es durchaus möglich, dass einige der Menschen, die antisemitischer Gewalt ausgesetzt waren, sich ihrerseits vorher rassistisch geäußert haben – und dass umgekehrt einige Ultrarechte, die menschenfeindliche Parolen skandierten, später mit antisemitischer Gewalt konfrontiert waren. Ist es in der Linken nicht mehr bekannt, dass Opfer einer Unterdrückung auch Täter sein können? Gab es nicht über viele Jahre Diskussionen zum Thema Mehrfachunterdrückungen? Sind die schlauen Texte vergessen, die dazu vor allem in der feministischen, aber auch in der antirassistischen Bewegung verfasst wurden? Im Übrigen sollte selbst ohne deren Lektüre klar sein, dass Antisemitismus und Rassismus nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten, sondern gemeinsam und mit allen Mitteln bekämpft werden müssen. 
Peter Nowak

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