
„Wenn wir das Werk und eure Arbeitsplätze erhalten wollen, müssen wir jetzt umorientieren.“ Das ist die Botschaft der KlimaaktivistInnen des Wohnprojekts Amsel 44, das mitten in der von den Nazis gegründeten Autostadt Wolfsburg seit zwei Jahren für einen Weg aus der fossilen Gesellschaft wirbt. Unterstützung fand die Gruppe bei …
… VW-Beschäftigten wie Lars Hirsekorn, Michael Werner, Torsten Bleibaum oder Thorsten Donnermeier. Sie alle kommen in dem neuen Film „Verkehrswendestadt Wolfsburg“ zu Wort. In dem knapp einstündigen Streifen sehen wir Kurzinterviews mit unterschiedlichen Beteiligten an dem ungewöhnlichen Experiment.
„Ich habe immer gehofft, dass sich hier was tut“, bringt VW-Arbeiter Michael Werner seine Position im Film auf den Punkt. Er gehört wie die anderen interviewten KollegInnen natürlich zu einer Minderheit in der VW-Belegschaft. Aber sie sprechen aus einer sehr selbstbewussten Position, weil sie im Gegensatz zu denen im Werk, die den fossilen Status quo verteidigen, eine Alternative anzubieten haben.
Gestaltende Kraft statt Opfer der Energiewende
Das wird bei einer spektakulären Aktion deutlich, die im Film zu sehen ist. Die AktivistInnen besetzen einen Autozug und verhängen ihn mit einer Folie, auf dem eine Straßenbahn zu sehen ist. „Dann wurde eine Pressemitteilung verfasst, mit der Überschrift: Die erste Straßenbahn verlässt das VW-Werk Wolfsburg“, erzählt Klimaaktivist Tobi Rosswog. Von aufgeschlossenen VW-ArbeiterInnen wurde die Botschaft verstanden. „Ich bin dadurch aufgewacht“, sagt Torsten Donnermeier.
Es war die Erkenntnis, dass sie mit den gleichen Maschinen und ihrem Wissen auch Züge statt Autos produzieren können. „Wir sind als Beschäftigte dazu in der Lage, eine gesunde Mobilität aufzubauen“, so die Erkenntnis von Donnermeier – die auch für ein Wiederaneignen von Klassenbewusstsein steht: ArbeiterInnen sehen sich nicht als Opfer der Energiewende, sondern als Kraft, die eine gesellschaftlich progressive Entwicklung voranbringt.
Entscheidender erster Schritt
Dabei sind die als „Sozialpartner“ agierenden Gewerkschaftsführungen nicht immer Verbündete, sehr wohl aber die Basis. Donnermeier liest bei einer Kundgebung vor dem Wolfsburger IG-Metall-Haus eine Erklärung vor, in der die gemeinsamen Interessen zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung betont werden. Dort wird auf das Programm der IG Metall verwiesen, in dem die Forderung nach Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien steht. Diese Forderung wird auch von den KlimaaktivistInnen wieder aufgegriffen. Denn Vergesellschaftung ist der erste Schritt, um Bahnen statt Autos zu produzieren. Donnermeier betont, dass die Gesellschaft und die ArbeiterInnen über diese Produktion entscheiden sollen – und nicht AktionärInnen.
Die in Wien lehrende kritische Sozialwissenschaftlerin Nina Schlosser sieht in Wolfsburg ein Beispiel, wie ArbeiterInnen und Klimabewegung solidarisch zusammenarbeiten können. Der Film gibt dazu einen hoffnungsvollen Einblick.
Peter Nowak
Verkehrswendestadt Wolfsburg
Den automobilen Konsens aufbrechen
Regie: John Mio Mehnert
Dokumentarfilm, 56 min
Deutschland 2024
Kostenloser Download: www.labournet.tv (Verkehrswendestadt)
Aufführungen und weitere Informationen: film.verkehrswendestadt.de
https://www.grueneliga-berlin.de/publikationen/der-rabe-ralf/aktuelle-ausgabe/filmkritiken-2/