Wie eine Politikerin der Grünen Wahlboykott kriminalisiert

Aufruf zum Wahlboykott als Verdachtsfall

Nun ist es verständlich, wenn Berufspolitiker*innen keine große Freude an Wahlboykottkampagnen haben. Es ist aber kein Zeichen für Demokratie, wenn Wahlboykott-Plakate zum Polizeieinsatz führen und eine alte anarchistische Forderung, die zudem hierzulande völlig legal ist, in eine Reihe mit rechten Hasskampagnen gestellt wird.

Die rechten Angriffe auf Politiker*innen, vornehmlich von SPD und Grünen, sind zu verurteilen. Dahinter steht oft die Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft eines starken Mannes. Das ist das Gegenteil von linker und vor allem libertärer Parlamentarismuskritik, wie sie sich auch in Wahlboykott-Aufrufen ausdrückt, einem alten Mittel von Anarchist*innen. Natürlich kann man sich über die Sinnhaftigkeit solcher Wahlboykott-Kampagnen streiten. Unstreitig aber sollte sein, …

… dass solche Aufrufe zur Wahlverweigerung nichts mit rechten Angriffen auf Politiker*innen zu tun haben. Beim Wahlboykott wird der bürgerliche Parlamentarismus und die Vorstellung der Repräsentation angegriffen, nicht aber einzelne Politiker*innen.

Genau diese Unterschiede verwischt die Europaabgeordnete der Grünen Hannah Neumann. In einen taz-Artikel über rechte Angriffe auf sie listet sie unvermittelt auch Aufrufe zum Wahlboykott auf:

So schreibt Neumann am 12. Mai 2024 in der taz:

„Im letzten Europawahlkampf zum Beispiel. An der Fassade unseres Mehrfamilienhauses waren Plakate mit der Botschaft zum Wahlboykott angebracht worden. In der ganzen Straße nur an unserem Haus. Wie eine Markierung. Ich hatte die Polizei gerufen, um den Vorfall dokumentieren zu lassen. Der Beamte meinte allerdings, dass die Plakate auch angebracht worden sein könnten, weil unser Haus das hellste in der Straße sei. Auf der Bedrohungsskala habe ich mich mittlerweile ‚hochgearbeitet‘“.

Nun ist es verständlich, wenn Berufspolitiker*innen keine große Freude an Wahlboykottkampagnen haben. Es ist aber kein Zeichen für Demokratie, wenn Wahlboykott-Plakate zum Polizeieinsatz führen und eine alte anarchistische Forderung, die zudem hierzulande völlig legal ist, in eine Reihe mit rechten Hasskampagnen gestellt wird. Gegen diese neue Variante der Totalitarismustheorie sollten sich auch Menschen wenden, die persönlich keine Freund*innen des Wahlboykotts sind. Denn Wahlboykott ist ein anarchistisches Kampfmittel, aber kein Verbrechen.

Peter Nowak

Erstveröffentlichungsort:
https://www.graswurzel.net/gwr/