Erneut wird das Ende der Linkspartei beschworen: Abgeordnete wählten ihr Spitzenduo mit knapper Mehrheit. Desaster oder Demokratie? Ein Kommentar.

Nach Wagenknecht-Abgang: Der unerschütterliche Glaube an den Untergang der Linken

Eine Linke, die nicht nur an der Parteispitze, sondern auch in der Abgeordnetengruppe mit der Strömung der Bewegungslinken besetzt ist, dürfte massiv Stimmen verlieren. Jetzt aber sind doch zwei Strömungen in den unterschiedlichen Gremien vertreten, was vielleicht den Stimmenverlust einschränken könnte. Andererseits ist das Duo auch für Bewegungslinke wählbar, wie nicht durch das Leipziger Direktmandat bewiesen ist.

Kein Zweifel, der Partei Die Linke geht es nach der Trennung vom Wagenknecht-Flügel noch nicht viel besser als in den letzten Monaten vorher. Doch dass jetzt wegen einer Personalentscheidung wieder die Totenglocken geläutert werden, ist schwer verständlich. „Machtvoll in den Untergang“ lautete …

… die Überschrift eines Kommentars von Pascal Beucker in der taz vom Mittwoch. Und in dramatischen Ton geht es weiter: „Bei der Restlinken im Bundestag siegt Machtpolitik. Der Kampf ums gemeinsame Überleben ist damit verloren.“

Doch was ist geschehen? Ist unter der Gruppe der Abgeordneten ein neuer Streit etwa über den Nahostkonflikt oder die Ukraine ausgebrochen? Keineswegs. Vielmehr ist eine Doppelspitze für die Abgeordnetengruppe im Bundestag gewählt worden: Mit einer knappen Mehrheit setzten sich Sören Pellmann und Heidi Reichinnek gegen Clara Bünger und Ates Gürpinar durch.

Demokratie in Aktion oder Anfang vom Ende der Linken?

Nun ist es gewiss nicht ungewöhnlich, dass zwei oder mehrere Duos sich um wichtige Posten bewerben – das war beim SPD-Vorsitz bundesweit so und bei der Berliner SPD treten sogar drei Duos zur Wahl um den Vorsitz an. Wenn sich dann eine Strömung durchgesetzt hat, wird das in diesem Fall als Sieg der Demokratie und nicht als Schritt zum Untergang der Partei gewertet.

Warum aber wird das bei der Linken anders gesehen? Da findet man aber bei Pascal Beucker wenig:

Statt integrative Lösungen zu finden, also sich unterzuhaken, wird mit einer Einstimmenmehrheit knallhart durchgezogen. Wer so Politik macht, entscheidet sich gegen die parlamentarische Zukunft der Linkspartei.Pascal Beucker taz

Eine Wahl mit weitreichenden Konsequenzen?

Bei Pressestatements der Gewählten mit den Parteivorsitzenden wurde einhellig betont, dass alle vier Kandidaten geeignet gewesen wären und nun selbstverständlich an einem Strang gezogen werde. Reichinnek betonte, das Ergebnis sei knapp, aber ehrlich – und lobte in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich die Fähigkeiten ihrer Gegenkandidatin.

Nun kann man sicher argumentieren, dass in einer schon geschrumpften Abgeordnetengruppe Kampfabstimmungen vielleicht hätten vermieden werden können. Zumal beim Abstimmungsprozedere von den Frauen der Vorschlag kam, dass Bünger und Reichinnek gemeinsam die Gruppe leiten sollten. Ein scheinbar charmanter Vorschlag: Zwei Frauen aus unterschiedlichen Strömungen leiten die Gruppe.

Wenn der subjektive Faktor ausgeblendet wird

Doch da kommt der subjektive Faktor ins Spiel, der hier total ausgeblendet wird. Es müssen beide Personen zu einer solchen Kooperation bereit sein. Das war beim Vorschlag, dass Bünger und Reichinnek den Vorsitz gemeinsam übernehmen, nicht der Fall und ist zu akzeptieren.

In der Regel suchen sich die Menschen aus, in welchen Duo sie auftreten wollen und das wird auch akzeptiert. Dann zu fordern, man könnte ja auch in anderer Zusammensetzung zusammenarbeiten, ohne dass es dafür eine Bereitschaft gibt, ist auf jeden Fall ungewöhnlich. Daher ist die Kritik an Reichinneks Weigerung, dabei mitzuspielen, nicht recht nachzuvollziehen.

Sören Pellmanns Beitrag zum Überleben der Linken

Nicht zu vergessen: Sören Pellmann wurde bundesweit bekannt, weil er in Leipzig eines der drei Direktmandate geholt hat und damit zu den Abgeordneten gehört, die dafür sorgten, dass Die Linke überhaupt wieder in den Bundestag einziehen konnte, nachdem sie insgesamt knapp unter fünf Prozent geblieben war.

Zudem hat er es geschafft, von sehr unterschiedlichen Milieus gewählt zu werden. Von dem sozialkonservativen SED-Milieu bis zu postautonomen Linken, für die Juliane Nagel steht, die klare Akzente gegen Rassismus setzt, auf keiner Demonstration gegen Rechte fehlt und dabei soziale Themen nicht vergisst.

Allerdings ist Nagel gerade wegen ihrer Nähe zur linken Szenepolitik auch selber in innerlinke Auseinandersetzungen involviert, was sich im Streit um die sogenannten Roten Gruppen zeigt. Dabei handelt es sich um sich Organisationsansätze mit kommunistischem Selbstverständnis, die Die Linke als reformistisch bezeichnen und ablehnen. Nagel hat recht, wenn sie als Konsequenz auch Selbstkritik formuliert.

Aber es kann für die antiautoritären Gruppen Ansporn sein, neben Abgrenzung Themen wie die soziale Frage, Ausbeutungsverhältnisse etc. mehr und deutlicher zu besetzen. Grundsätzlich, denke ich, sollten wir über den autoritären Rollback sprechen, auch gerade hinsichtlich der linken Geschichte und des ideologischen Backgrounds.Juliane Nagel

Neues Duo könnte Linke vor Totalabsturz im Osten bewahren

In dieser schwierigen Gemengelage ein Direktmandat für Die Linke zu erzielen, ist auf jeden Fall kein Spaziergang. Es gab schon nach der Bundestagswahl innerhalb der Partei die Forderung, Pellmann in verantwortliche Funktionen zu bringen. Er kandierte auch auf dem Bundesparteitag gemeinsam mit Reichinnek und verlor gegen das Duo Wissler – Schirdewan. Damit war auch der Abgang des Wagenknecht-Lagers besiegelt. Pellmann hatte immer versucht, genau das zu verhindern, dabei aber auch die Positionen gegen Migration kritisiert.

Es mag sein, dass ihm noch einige der parteiinternen Strömung der Bewegungslinken, zu denen das Duo Bünger / Gürpinar gezählt wird, verübeln, dass Pellmann nicht frühzeitig mit Wagenknecht gebrochen hat.

Manche befürchten, dass die neue Spitze der parlamentarischen Gruppe sich eher auf Kooperation mit den Ausgetretenen verständigen könnte. Auf jeden Fall ist es möglich, dass da noch alte Kontakte oder womöglich Freundschaften mit den Ex-Linken bestehen.

Rückkehr von Ex-Linken nicht ausgeschlossen?

Das könnte dann hilfreich sind, wenn vielleicht die eine oder der andere aus dem Bündnis Wagenknecht die eigenen bisher vertretenen Grundsätze doch nicht ganz über Bord geworfen hat. Unter den Ausgetretenen sind einige, die noch vor Jahren jede Koalition der Linken mit SPD und Grünen abgelehnt haben. Werden sie schweigen, wenn jetzt Wagenknecht sogar der CDU Avancen macht?

In dieser Beziehung könnte es Brücken geben, über die vielleicht einzelne den Weg zurück antreten können. Was aber noch wichtiger ist: Die Wahl von Reichinnek und Pellmann könnte verhindern, dass im Osten Die Linke ein Desaster erlebt und aus einigen Landtagen fliegt.

Eine Linke, die nicht nur an der Parteispitze, sondern auch in der Abgeordnetengruppe mit der Strömung der Bewegungslinken besetzt ist, dürfte massiv Stimmen verlieren. Jetzt aber sind doch zwei Strömungen in den unterschiedlichen Gremien vertreten, was vielleicht den Stimmenverlust einschränken könnte. Andererseits ist das Duo auch für Bewegungslinke wählbar, wie nicht durch das Leipziger Direktmandat bewiesen ist.

Pellmann war auch maßgeblich an der Organisation von linken Protesten gegen Teuerung und Inflation Anfang September 2022 in Leipzig beteiligt, was auch eine bundesweite Ausstrahlung hatte. Rechte, die sich daran beteiligen wollten, wurden herausgehalten.

Keine Niederlage der Bewegungslinken

Zudem ist das Wahlergebnis auch für Bewegungslinke keine Niederlage. Da sie im Parteivorstand die Mehrheit haben, ist das Wahlergebnis der Parlamentsgruppe nach Außen ein Signal: Es gib auch nach dem Austritt von Wagenknecht und Co. noch unterschiedliche Strömungen in der Partei. Das ist fast überlebensnotwendig, denn nur mit der Bewegungslinken würde Die Linke nicht mehr im Bundestag vertreten sein.

Sie könnte nicht so stark in der ehemaligen BRD und einigen Großstädten zulegen, um die Verluste in der ehemaligen DDR auszugleichen. Zudem könnte die Bewegungslinke das tun, was ja eigentlich ihr Anspruch ist. Arbeit an der Basis machen.

Linke Basisarbeit als eigene Stärke

Das haben auch die Einzelpersonen aus verschiedenen außerparlamentarischen Gruppen angekündigt, die unter dem Motto „Wann, wenn nicht jetzt“, nach dem Abgang von Wagenknecht und Co. in Die Linke eingetreten sind. Sie haben richtig erkannt, dass es weniger um einige Posten in Parlamentsgruppen geht, sondern um Basisarbeit.

In dieser Hinsicht könnte doch der Ausgang der Vorstandswahl sogar einen positiven Effekt haben.statt in der Parlamentsgruppe oft kleinteilige Kompromisse zu verkaufen, setzten sich Bewegungslinke ein, wenn es gegen Abschiebungen, rechte Treffen oder klimaschädliche Projekte geht. So würde auch auf die eigene Partei Druck von links ausgeübt.

Es ist gibt natürlich überhaupt keine Garantie, dass die Wahl von Reichinnek und Pellmann Die Linke vor dem Untergang rettet. Da gibt es sehr unterschiedliche Faktoren zu beachten, aber eins kann man schon sagen. Die Wahl gibt der Linken aber zumindest eine kleine Chance, als parlamentarische Kraft zu überleben. Peter Nowak