Ein kleines politisches Fest sei das, was sich die Anwohnenenden wünschen, betont Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne)

Kreuzberg plant 1. Mai eher klein

Das sehen auch linke Gruppen so, die auch in diesem Jahr wieder linke Proteste am 1. Mai in Kreuzberg planen. „Gerade angesichts von Inflation, Verarmung und der Gefahr der Aus- weitung des Kriegs gegen die Ukraine brauchen wir mehr linken Widerstand und keine unpolitischen Events in Kreuzberg“, erklärt eine Aktivistin.

„Bürgermeisterin Herrmann bläst im Alleingang legendäres Mai-Fest ab“ lautete die Überschrift einer Pressemitteilung der Linken-Fraktion der BVV Kreuzberg-Friedrichshain, die kurz vor Weihnachten scheinbar Skandalöses zu vermelden hatte. Im Text der Pressemeldung hörte sich das Ganze schon weniger spektakulär an. In der letzten Sitzung der BVV- Sitzung Friedrichshain-Kreuzberg des Jahres 2022 habe die Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) auf die Frage …

… eines Mitglieds der Fraktion Die Linke erklärt, der Bezirk Kreuzberg plane keine größeren Aktivitäten im Rahmen des Tages der Arbeit am 1. Mai.

Auf Nachfrage der taz bezeichnet Clara Herrmann den Vorwurf der Linken, sie würde das Myfest abblasen, „als unzutreffend und dem Wahlkampf geschuldet“.

Der Vorwurf, sie würden das Myfest abblasen, sei unzutreffend

„Ich habe in der BVV am 14. 12. 2022 und in der vorausgegangenen Sitzung des Bezirksamts lediglich darauf verwiesen, dass das Bezirksamt selbst nicht der Organisator des Myfests war, sondern ein privater Organisator, und es nicht in den Händen des Bezirksamts liegt, welche Versammlungen oder Veranstaltungen am 1. Mai statt- finden“, betonte Herrmann gegenüber der taz. Ob die Myfest- Macher ein Fest planen, ist wohl noch offen.

Für Veranstaltungen, die nicht Versammlungen sind, sei das Bezirksamt für Sondernutzungserlaubnisse nach dem Straßengesetz oder dem Grünanlagengesetz zuständig, wies Hermann auf die Kompetenzverteilung hin.

Allerdings positionierte sich die Bürgermeisterin auch inhaltlich zum Myfest. „Auf der BVV-Sitzung habe ich erläutert, dass sich die Anwohnenden vor Ort in Kreuzberg 36 laut Befra- gung keine große Party wünschen, sondern ein kleines po- litisches Fest. Diese Einschätzung teile ich.“

Damit geht Hermann auf die Kritik ein, die vor allem Anwohner*innen in Kreuzberg in den letzten Jahren gegen das Myfest vorgebracht haben. Es wurde seit 2003 jährlich von Gewerbetreibenden, finanziell unterstützt vom Land Berlin, rund um das Kottbuser Tor, den Mariannen- und den Rio-Reiser-Platz veranstaltet. Linke Stadtteilinitiativen hatten von Anfang kritisiert, dass mit dem Fest das Versammlungsrecht eingeschränkt werde, weil genau in diesem Bereich die Revolutionäre 1.-Mai- Demonstration ihre Route hatte. Mit dem Myfest solle linker Pro- test aus dem Stadtteil verdrängt werden, lautete der Vorwurf autonomer Gruppen.

Es gab aber auch über meh- rere Jahre Versuche, am 1.-Mai- Fest und Protest im Stadtteil zu verbinden. So konnte die Route der linken Demonstrationen durch das Fest gehen. 2019 be- schlossen die Demo-Organisator*innen jedoch die räumliche Trennung, weil durch die Eventisierung politische Inhalte kaum noch vermittelt werden können. In dieser Zeit wuchs auch die Kritik vieler Anwohner*innen, dass durch das Myfest am 1. Mai der Stadtteil einen Ballermann- Charakter bekommen habe, inklusive großer Mengen Abfall.

Zu den Kritikern gehört auch der innenpolitische Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Vasili Franco. „Das Myfest hatte in den letzten Jahren vor Corona Dimensionen angenommen, die von Anwohner*innen zu Recht stark kritisiert wurde. Vermüllung, Flaschenberge und voll urinierte Hauseingänge sind eine zweifelhafte Alternative“. Vasili Franco verweist auf die Erfahrungen der beiden Pandemiejahre, „die auch gezeigt haben, dass in kleinerem Rahmen Party und friedlicher Protest trotzdem möglich waren“. Das sehen auch linke Gruppen so, die auch in diesem Jahr wieder linke Proteste am 1. Mai in Kreuzberg planen. „Gerade angesichts von Inflation, Verarmung und der Gefahr der Aus- weitung des Kriegs gegen die Ukraine brauchen wir mehr linken Widerstand und keine unpolitischen Events in Kreuzberg“, erklärt eine Aktivistin. Peter Nowak

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