Gewerkschaften und soziale Initiativen protestieren gemeinsam gegen Inflation und Krisenpolitik. Kampagne fordert 1.000 Euro Wintergeld. Abgrenzung nach rechts ist wichtiges Anliegen.

Sozialproteste: „Genug ist genug“

Am 22. Oktober startet ab 12 Uhr unter dem Motto Solidarisch durch die Krise eine große Bündnisdemonstration am Berliner Invalidenpark. Am 12. November beginnt um 13 Uhr eine weitere Demonstration des Bündnisses Umverteilen, an dem zahlreiche linke Gruppen beteiligt sind. Besonders wichtig ist es dabei, dass es gelingt, Beschäftigte aus den Betrieben anzusprechen. Sie könnten den Sozialprotesten noch einmal einen Schub geb

„Soforthilfe für Arme“ steht auf dem Plakat, das eine junge Frau am Samstag auf einem besonderen Sozialprotest vor dem Berliner Kanzleramt trug. Es waren Armutsbetroffene, die hier an die Öffentlichkeit gegangen sind. Sie haben die Scham überwunden, sich öffentlich als einkommensarme Menschen zu bekennen, um deutlich zu machen, dass daran nicht sie, sondern die Gesellschaft die Schuld trägt. Alles begann vor einigen Monaten mit einer …

… Twitter-Kampagne. Wenn auch die Teilnehmerzahl bei der Kundgebung am Samstag nicht spektakulär war – gleichwohl sind zweihundert Menschen (laut Teilnehmer) für eine Demonstration von Armen durchaus viel –, so ist es ein positives Zeichen, dass von Inflation und Armut besonders betroffene Menschen gegen die Krisenpolitik auf die Straße gehen

Gewerkschaften als Teil der Krisenproteste

Das ist auch das Anliegen der Kampagne Genug ist genug, die vor einigen Tagen in Berlin mit einer kämpferischen Auftaktveranstaltung startete. Der Raum war überfüllt und die Stimmung war von Anfang sehr mobilisierend, was heute bei vielen linken Veranstaltungen selten ist.

Immer wieder wurden Parolen gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung skandiert. „Nicht auf unseren Rücken“ gehörte dazu. Als erste Rednerin zeigte sich Iris Schwerdtner vom linkssozialistischen Magazin Jacobin begeistert von der großen Resonanz des Aufrufs. Dabei habe man erst vor wenigen Monaten mit der Mobilisierung begonnen.

Vorbild sei die Kampagne Enough is enough, mit der sich in Großbritannien Gewerkschaften und soziale Initiativen dagegen wehren, dass die kapitalistische Krise auf dem Rücken der Lohnabhängigen ausgetragen wird. Sie hat sicher mit dazu beigetragen, dass die Wirtschaftspolitik der rechtskonservativen britischen Regierung aktiv schwer durchsetzbar ist.

Zu den sechs Forderungen der Genug-ist-genug-Kampagne, die Schwerdtner noch einmal unter großen Applaus vortrug, gehören 1.000 Euro Wintergeld, die dauerhafte Einführung des 9-Euro-Tickets, die Deckelung von Gas und Strom, die Sozialisierung der Energiewirtschaft, die Besteuerung der Krisenprofiteure und eine kräftige Erhöhung der Löhne und Gehälter.

Um diese Forderungen drehten sich auch die kurzen Redebeiträge von Lohnabhängigen der verschiedenen Branchen. Da war die Krankenschwester, die betonte, ohne die Erfahrungen des mehrwöchigen Streiks im letzten Jahr in Berlin würde sie jetzt hier nicht reden. „Wir haben bewiesen, dass wir kämpfen und siegen können“, betonte sie.

Nach ihr sprach ein langjähriger Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung, der das erste Mal das Wort „Generalstreik“ unter großem Applaus aussprach. Es wurde danach noch von anderen Rednern ausgesprochen. Es geht darum, dass sich die Beschäftigten in den anstehenden Tarifverhandlungen der nächsten Monate gemeinsam koordinieren, um mehr Druck ausüben zu können.

Auch eine Beschäftigte der Post betonte, bei der Tarifrunde müssten, die diejenigen, auf die es in dem Land ankommt, ihre Macht ausspielen. Da könne ein Arbeitskampf ein wichtiges Mittel. Alle Rednerinnen und Redner betonten, wie wichtig es ist, die anstehenden Sozialproteste mit der Tarifrunde zu verbinden.

Wenn es den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, die mit einer Forderung von über 10,5 Prozent in die Verhandlungen einsteigen, ein guter Abschluss gelingt, hätte dies Signalwirkung auch über die Branche hinaus, so die Einschätzung der Kolleg:innen.

Deutliche Abgrenzung nach rechts

„Wir dürfen uns nicht spalten lassen“. Dieser Satz war am Donnerstagabend immer wieder zu hören.

So bekam eine alleinerziehende Frau mit Kind, die sich in der Gruppe der Armutsbetroffenen engagiert, viel Applaus für ihren Vortrag, in dem sie auch aufzeigte, wie sehr das Leben mit wenig Geld das Alltagsleben auch einschränken kann. Mehrere Rednerinnen und Redner grenzen sich unter großen Applaus nach rechts ab.

Sozialer Protest kann nur „antifaschistisch“ sein, meinte das Mitglied der Linkspartei im Abgeordnetenhaus, Ferat Kocak. Er richtete ebenso wie die Bundessekretärin der Grünen Jugend aus dem Publikum kurze Grußadressen an den Ratschlag. Unmut aus dem Publikum kam auf, als auch der Neuköllner SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir seine Solidarität mit den Protestierenden ausdrücken wollte.

Nach zwei Stunden ging die Menge nicht sofort auseinander. An allen Ausgängen hingen Wandtafeln, auf denen sich die Teilnehmer in Listen eintrugen. Sie wollen in den nächsten Tagen in Betrieben, Kneipen, Stadtteilen und Universitäten für die Ziele des Bündnisses bekannt zu machen und für die Demonstrationen der nächsten Wochen zu werben.

Am 22. Oktober startet ab 12 Uhr unter dem Motto Solidarisch durch die Krise eine große Bündnisdemonstration am Berliner Invalidenpark. Am 12. November beginnt um 13 Uhr eine weitere Demonstration des Bündnisses Umverteilen, an dem zahlreiche linke Gruppen beteiligt sind.

Mehrere Redner gerade auch aus dem gewerkschaftlichen Spektrum hatten am Abend erklärt, sie können es nicht erwarten, ihren Protest auf die Straße zu tragen. Wenn die Stimmung so gut bleibt, wie am Donnerstagabend könnte es mit den linken Krisenprotesten noch was werden.

Besonders wichtig ist es dabei, dass es gelingt, Beschäftigte aus den Betrieben anzusprechen. Sie könnten den Sozialprotesten noch einmal einen Schub geben. Damit würde auch deutlich, dass die Rechten hierauf kein Monopol haben. Peter Nowak