Der laute Frühling Gemeinsam aus der Klimakrise Regie: Johanna Schellhagen Deutschland 2022, 62 Minuten Kinostart: 2. August

Gemeinsam aus der Klimakrise

Warum Arbeiterinnen mehr zur Lösung der Klimakrise beitragen können als Beatles-Fans. Der Titel spielt auf den Gesang der Vögel und das Summen der Insekten an, die durch die Umweltkrise verschwunden sind. Johanna Schellhagen hat den Titel ins Positive verkehrt. In ihrem Film sind es die Protestrufe der Menschen, die sich überall auf der Welt gegen die zerstörerische Politik wehren – und aus dem stummen einen lauten Frühling machen. Es ist zu hoffen, dass der Film Diskussionen auslöst und vielleicht sogar dabei hilft, Betriebs- und Klimakämpfe zusammenzubringen.

„Hallo, ich bin Johanna, ich habe 20 Jahre Streiks und soziale Bewegungen gefilmt und war sehr spät dran, zu begreifen, welche Katastrophe der Klimawandel ist.“ Mit diesem persönlichen Statement von Regisseurin Johanna Schellhagen beginnt ihr neuester Film „Lauter Frühling“. Schellhagen ist Gründerin der Plattform Labournet.tv, die zahlreiche soziale Bewegungen porträtiert hat. Mit ihrem Film „Die Angst wegschmeißen“ machte Schellhagen 2015 eine Serie von Arbeitskämpfen in der norditalienischen Logistikbranche bekannt. Nun will sie die Erfahrungen, die sie in den letzten Jahren gesammelt hat, mit der Klimabewegung teilen. Im ersten Teil ihres Films finden sich Videoausschnitte über …

… Aktionen der Klimabewegung. Wir sehen die Proteste von sehr jungen Leuten, hören sie skandieren: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.“ Eingeblendet werden immer wieder kurze Erklärungen von bekannten AktivistInnen. Dabei wird klar, dass die Erklärungsansätze sehr unterschiedlich sind. Während der Soziologe Matthias Schmelzer und der schwedische Humanökologe Andreas Malm eine Verbindung zwischen Klimawandel und Kapitalismus ziehen, beschwört Marcela Hernández von der Indigenen-Bewegung in Chile Mutter Erde. Der Anti-Fracking-Aktivist Esteban Servat beschreibt die Folgen des Klimawandels vor allen in den Ländern des globalen Südens. Er spricht von der Wasserkrise und von der Zerstörung der Urwälder und der natürlichen Lebensgrundlagen von Millionen Menschen.

Grüner Kapitalismus funktioniert nicht 

Eine ältere Demonstrantin erklärt, dass sie mittlerweile überzeugt ist, dass nur revolutionäre Veränderungen den Klimawandel stoppen können. Andreas Malm spricht vom systemischen Zwang, der kapitalistische Unternehmen immer tiefer in die Natur eingreifen lässt, um die Profite zu steigern. „Kapitalistische Staaten aufzufordern, ihre fossile Grundlage aufzugeben, bedeutet, sie aufzufordern, ihre kapitalistischen Grundlagen aufzugeben.“ Matthias Schmelzer hält es allerdings für möglich, dass ein „grüner Kapitalismus“ auch die Klimakrise noch in Wert setzen kann. Einig sind sich alle im Film Befragten aber darin, dass auch ein grüner Kapitalismus die Ausbeutung der meisten Menschen nicht aufheben und die Klimakrise nicht lösen würde.

Positiv ist, dass der Film den Blick immer wieder auf den globalen Süden legt, wo internationales Kapital mit besonders rüden Methoden gegen alle Proteste vorgeht. Der argentinische Aktivist Esteban Servat erklärt, warum auch linke Regierungen nicht so einfach aus dem fossilen Kapitalismus aussteigen können. Sie würden sofort gestürzt, so seine Prognose. Tatsächlich aber kommt noch ein anderer Aspekt hinzu. Die Sozialreformen, die linke Regierungen wie die von Hugo Chávez in Venezuela durchsetzten, konnten oft nur mit den Geldern finanziert werden, die durch den Export fossiler Brennstoffe wie Erdöl eingenommen wurden. Das bedeutet im Grunde: Es ist das Eingebundensein fast aller Staaten in die heutige Weltwirtschaft, die einen Ausstieg aus dem fossilen Kapitalismus so schwer macht.

Lediglich dieses bekannte Dilemma noch einmal zu dokumentieren, ist jedoch nicht Schellhagens Anliegen. Nach etwa einem Drittel des Films spitzt die Regisseurin ihre Kritik an einem Wirtschaftssystem zu, das unter allen Umständen wachsen muss, was dazu führt, dass selbst noch funktionsfähige Produkte eher weggeworfen als repariert werden. Auch diese Erkenntnis ist nicht so neu, schließlich gibt es heute Repair-Läden bis in die kleinsten Orte.

KlimaaktivistInnen treffen ArbeiterInnen 

Doch Schellhagen fragt sich, welche Rolle die ArbeiterInnen im Kampf gegen die Klimakrise spielen können. Der Film ist so auch eine Reaktion auf Strömungen in der Klimabewegung, die sich wie der ehemalige Umweltreferent der Rosa-Luxemburg-Stiftung Tadzio Müller fragen: Warum sollen ArbeiterInnen mehr zur Lösung der Klimakrise beitragen können als beispielsweise Beatles-Fans?

Schellhagens Film ist eine über 60-minütige Antwort auf diese in der Mittelklasse-geprägten Klimabewegung nicht so seltene Ansicht. Die Klimabewegung muss die Kräfte der Veränderung finden, sagt Schellhagen und lenkt so den Blick auf die Arbeitskämpfe in aller Welt, die hierzulande kaum wahrgenommen werden. Hier kann die Regisseurin auf ihre langjährigen Kontakte zu kämpferischen Lohnabhängigen zurückgreifen. Sie lässt AktivistInnen der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas ebenso zu Wort kommen wie die Amazon-Beschäftigte Magda Malinowski aus Poznań. „Arbeit ist entscheidend für das kapitalistische Produktionssystem. Wenn wir uns auf der Arbeit organisieren, können wir das gesamte System verändern“, betont Malinowski.

Der Film macht klar, dass die Menschen in den Betrieben die Macht haben, nicht nur ihre Arbeitsbedingungen, sondern auch die Gesellschaft zu verändern. In einem optimistischen Szenario, der in dem Film einen eigenen Abschnitt einnimmt, kämpfen Klima- und ArbeiterInnenbewegung zusammen gegen den zerstörerischen Kapitalismus. Es gibt große Streiks – nur in der Lebensmittel- und der Care-Branche wird weitergearbeitet, weil dort lebenswichtige Güter und Dienstleistungen bereitgestellt werden.

Gezeigt wird die Gründung von Räten, die Besetzung von Radio- und Fernsehstationen und die Einrichtung von öffentlichen Großküchen für die Essensversorgung. Während des Aufstands werden auch Fabriken besetzt, Klima- und BetriebsaktivistInnen lernen sich kennen. Natürlich schläft die Reaktion nicht. Am vierten Tag des Aufbruchs kommt es zu Räumungsversuchen durch Polizei und Militär. AktivistInnen rufen über das Radio zur Unterstützung der besetzten Autowerke in Wolfsburg auf …

Vom stummen zum lauten Frühling 

Nach etwa 20 Minuten landet der Film wieder in der Realität des Jahres 2022, wo KlimaaktivistInnen erkennen, dass die vielen kleinen Schritte aus der Klimakrise eine Illusion sind. Viele sprechen vom „System Change“. Der Film macht Mut, gerade weil die animierten Szenen aus der Zukunft heute so unwahrscheinlich erscheinen, aber vielleicht die einzige Möglichkeit sind, die Katastrophe noch zu verhindern.

„Silent Spring“ („Stummer Frühling“) hieß ein Buch der US-amerikanischen Biologin Rachel Carson, das sie vor 60 Jahren kurz vor ihrem frühen Tod veröffentlichte und das zu einem Klassiker der globalen Umweltbewegung wurde. Der Titel spielt auf den Gesang der Vögel und das Summen der Insekten an, die durch die Umweltkrise verschwunden sind. Johanna Schellhagen hat den Titel ins Positive verkehrt. In ihrem Film sind es die Protestrufe der Menschen, die sich überall auf der Welt gegen die zerstörerische Politik wehren – und aus dem stummen einen lauten Frühling machen. Es ist zu hoffen, dass der Film Diskussionen auslöst und vielleicht sogar dabei hilft, Betriebs- und Klimakämpfe zusammenzubringen.

Peter Nowak

Der laute Frühling 
Gemeinsam aus der Klimakrise 
Regie: Johanna Schellhagen
Deutschland 2022, 62 Minuten
Kinostart: 2. August

Aufführungstermine und weitere Informationen: www.labournet.tv