Der laute Frühling Gemeinsam aus der Klimakrise Regie: Johanna Schellhagen Deutschland 2022, 62 Minuten Kinostart: 2. August

Gemeinsam aus der Klimakrise

Warum Arbeiterinnen mehr zur Lösung der Klimakrise beitragen können als Beatles-Fans. Der Titel spielt auf den Gesang der Vögel und das Summen der Insekten an, die durch die Umweltkrise verschwunden sind. Johanna Schellhagen hat den Titel ins Positive verkehrt. In ihrem Film sind es die Protestrufe der Menschen, die sich überall auf der Welt gegen die zerstörerische Politik wehren – und aus dem stummen einen lauten Frühling machen. Es ist zu hoffen, dass der Film Diskussionen auslöst und vielleicht sogar dabei hilft, Betriebs- und Klimakämpfe zusammenzubringen.

„Hallo, ich bin Johanna, ich habe 20 Jahre Streiks und soziale Bewegungen gefilmt und war sehr spät dran, zu begreifen, welche Katastrophe der Klimawandel ist.“ Mit diesem persönlichen Statement von Regisseurin Johanna Schellhagen beginnt ihr neuester Film „Lauter Frühling“. Schellhagen ist Gründerin der Plattform Labournet.tv, die zahlreiche soziale Bewegungen porträtiert hat. Mit ihrem Film „Die Angst wegschmeißen“ machte Schellhagen 2015 eine Serie von Arbeitskämpfen in der norditalienischen Logistikbranche bekannt. Nun will sie die Erfahrungen, die sie in den letzten Jahren gesammelt hat, mit der Klimabewegung teilen. Im ersten Teil ihres Films finden sich Videoausschnitte über …

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„Die Angst wegschmeißen“

Labournet.tv erinnert in ihrem jüngsten Film an den Zyklus der Arbeitskämpfe in der norditalienischen Logistikbranche.

Seit 2011 kämpfen in Italien meist migrantische ArbeiterInnen in der Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In vielen großen Unternehmen ist es ihnen gelungen, durch entschlossenes Vorgehen die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen die VorarbeiterInnen, die Leiharbeitsfirmen, die Polizei, die großen Gewerkschaften und die großen Medien durchzusetzen. Sie waren auch deshalb erfolgreich, weil sie auf die eigene Kraft vertrauten und auch in scheinbar aussichtslosen Situationen die Konfrontation mit den Bossen nicht scheuten. Durch ihre entschlossene Haltung erreichten sie es, dass sich große Teile der radikalen Linken aus Mailand und anderen norditalienischen Städten mit ihnen solidarisieren und ihre Aktionen unterstützen. Der Arbeitskampf hat die bisher rechtlosen ArbeiterInnen mobilisiert. Eine zentrale Rolle dabei spielt die Basisgewerkschaft Sindicato Intercateoriale Cobas (S.I. Cobas).

„Vor zwei Jahren hatte unsere Gewerkschaft in Rom drei Mitglieder. Heute sind es dreitausend“, erklärt Karim Facchino. Er ist Lagerarbeiter und Mitglied der italienischen Basisgewerkschaft S.I. Cobas. Der rasante Mitgliederzuwachs der Basisgewerkschaft ist auch eine Folge der Selbstorganisation der Beschäftigten. „Wir haben keine bezahlten Funktionäre, nur einen Koordinator, doch sein Platz ist nicht am Schreibtisch eines Büros, sondern auf der Straße und vor der Fabrik“, betont Facchino. Er war im Mai 2014 Teilnehmer einer Delegation italienischer GewerkschafterInnen und UnterstützerInnen aus der außerparlamentarischen italienischen Linken, die hierzulande über den erbittert geführten Arbeitskampf informierte, der fast vier Jahre andauerte. Zwei Monate vorher hatte eine Delegation von S.I. Cobas auf einem Treffen europäischer BasisgewerkschafterInnen über den Kampf der LogistikarbeiterInnen in Italien berichtet. Bei dem kleinen Team von labournet.tv hatte er dort deren Interesse geweckt. Die VideoaktivistInnen fuhren mehrmals nach Norditalien, führten zahlreiche Interviews mit den Beschäftigten und stellten sich auch die Frage, wie es dazu kam, dass sie so lange und kompromisslos ihren Arbeitskampf führten. So ist ein Film entstanden, der zeigt, wie Menschen sich verändern, wenn sie zu kämpfen beginnen. „Wir haben die Angst weggeschmissen“, erklärte ein Beschäftigter, der dem Film den Titel gab.„Die Angst wegschmeißen – Die Bewegung der LogistikarbeiterInnen in Italien“ liefert Dokumente eines Arbeitskampfs in Norditalien, der bisher in Deutschland kaum bekannt war.„Mafia verschwinde“, rufen die Jugendlichen und schwenken Fahnen der Antifaschistischen Aktion und der Gewerkschaft S.I. Cobas. Es ist eine Szene des mehrjährigen Arbeitskampfes. Eine Stärke des Films besteht darin, dass die unterschiedlichen Beteiligten am Arbeitskampf zu Wort kommen. Junge Männer aus Nordafrika, die durch den Arbeitskampf erstmals für ihre Rechte kämpften, berichten mit Stolz in der Stimme, dass sie diese Erfahrung für ihr Leben geprägt habe. Nüchterner formulieren mehrere Frauen, wie der Streik ihr Leben verändert hat. Sie sind nicht mehr bereit, die Verhältnisse einfach hinzunehmen, sondern erwehren sich auch der patriarchalen Zustände, denen sie ausgesetzt sind. Im Film kommt immer wieder die Rolle der Gewerkschaft S.I. Cobas zur Sprache, ohne die der Kampf nie hätte begonnen werden können. „Hier sind die Erfahrungen von langjährigen linken Aktivisten und die Wut der Logistikarbeiter zusammengekommen,“ formulierte es eine am Streik beteiligte Kollegin.Der langjährige S.I. Cobas-Aktivist Roberto Luzzi spricht im Film auch über die Grenzen der gewerkschaftlichen Kämpfe. „Hier können wohl Erfahrungen gesammelt werden, aber für eine Veränderung der Gesellschaft sind auch politische Organisationen notwendig“, erklärte er. Besonders die Jugend, die in ihren Leben oft noch keine Arbeitskämpfe kennengelernt habe, mache durch die Beteiligung am Arbeitskampf die Erfahrung, dass die kämpfende Arbeiterbewegung noch existiert, betont Luzzi. Die KollegInnen mussten Ende August auch wieder die Erfahrung machen, dass die Kapitalseite entschlossen ist, die Errungenschaften rückgängig zu machen. Mehrere der Beschäftigten, die im Film Interviews gegeben haben, wurden entlassen, einem migrantischen Gewerkschafter droht die Abschiebung.Der Film ist von einer Grundsympathie für die Streikenden geprägt und am Ende denkt man an den Amazon-Streik. Roberto Luzzi war Ende März und Anfang April 2015 für einige Tage in Deutschland und berichtete über den Arbeitskampf in Italien. Dabei besuchte er auch streikende Amazon-KollegInnen in Leipzig. Bei vielen von ihnen setzt sich nach den monatelangen Kämpfen die Erkenntnis durch, dass ein Arbeitskampf gegen einen multinationalen Konzern wie Amazon nur durch die transnationale Solidarität der Beschäftigten gewonnen werden kann. Der Film kann dadurch, dass er einen bisher weitgehend unbekannten Arbeitskampf in der europäischen Nachbarschaft bekannt macht, dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Er könnte auch Argumente für die KollegInnen liefern, die auch für undokumentierte Beschäftigte das Recht auf Mitgliedschaft in einer DGB-Gewerkschaft durchsetzen wollen. Bei S.I. Cobas ist diese Praxis selbstverständlich. Dem Film1 ist eine weitere Verbreitung zu wünschen.

[1] Der Film kann kostenlos heruntergeladen werden auf der Onlineplattform de.labournet.tv/video/6796/die-angst-wegschmeissen

Erschienen in: Direkte Aktion 231 – Sept/Okt 2015

https://www.direkteaktion.org/231/die-angst-wegschmeissen

Peter Nowak

Labournet.tv

Labournet.tv (http://de.labournet.tv/) ging im Januar 2011 online und wird seitdem zügig ausgebaut. Das Projekt ist Teil der Internetplattform Labournet, die sich seit 1999 als „Treffpunkt für Ungehorsame mit und ohne Job“ für die Stärkung gewerkschaftlicher und sozialer Gegenmacht einsetzt. Bei Labournet.tv werden Videos und Filme zu den auf Labournet dokumentierten Berichten über soziale Kämpfe in aller Welt ins Netz gestellt. „Über Filme lassen sich globale Zusammenhänge der Ausbeutung und der Gegenwehr besonders gut veranschaulichen“, begründet Bärbel Schönafinger den Fokus auf dieses Medium. Die Berliner Kulturwissenschaftlerin und Filmemacherin betreut das von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt mit einer halben Stelle geförderte Projekt Labournet.tv.
Was bislang nur auf kommerziellen Videoplattformen oder in unzugänglichen Filmarchiven aufbewahrt war, soll auf labournet.tv konzentriert gesammelt werden. Die mittlerweile über 250 dokumentierten Videos und Filme sind denkbar unterschiedlich und sprechen verschiedene Zielgruppen an. Wer auf Theorie Wert legt, kann sich von dem Kölner Publizisten und Übersetzer Christian Frings kenntnisreich in zwei aktuelle Werke der marxistischen Theorie einführen lassen.
Auch, wer sich über aktuelle soziale Kämpfe informieren will, wird auf Labournet.TV schnell fündig. Dafür sorgt die benutzerfreundliche Gliederung auf der Webseite des Filmarchivs. Der virtuelle Besucher kann unter den Obertiteln, „Länder“, „Branchen“. „Kampffelder“, „Umwälzung“ und „Widerstandsbewegungen“ auswählen. Dort finden sich jeweils zahlreiche Unterpunkte.
So können Filmdokumente aus 30 Ländern angeklickt werden und geben Einblicke in einen oft kaum bekannten Alltag in den jeweiligen Regionen. Unter dem Stichwort Philippinen ist „Blue Elephants“, ein 14 minütiger Filmbeitrag über den Alltag von Arbeitsmigranten in den südostasiatischen Staaten zu finden. Ein Dutzend Filmbeiträge findet sich aus Italien. Darunter ist eine dreieinhalb minütige Dokumentation über die Straßenproteste vom 12. Dezember letzten Jahres, als Berlusconi zum Unmut vieler Demonstranten ein wichtiges Misstrauensvotum gewann ebenso zu finden, wie ein einstündiger Film über den Fiatstreik.
Neben der klassischen Lohnarbeit und der gewerkschaftlichen Organisierung kommen in dem audiovisuellen Archiv Aktionen von Migranten und Erwerbslosen nicht zu kurz. So sind aus Deutschland mehrere Dokumentationen über Proteste in und vor Jobcentern neben einem Filmbericht über einen Hungerstreik von Leiharbeitern bei VW dokumentiert. Auch Wadans Welt, ein Film über den Arbeitsplatzabbau auf einer Werft in Wismar kann ebenso heruntergeladen werden wie unter der Rubrik Großbritannien der Film „The Navigators“ von Ken Loach, der die Folgen der Privatisierung bei der englischen Bahn beschreibt. Weitere Filme aus der Arbeitswelt werden auf die Seite gestellt, so weit es die Nutzerrechte zulassen, so Schönafinger. Schon jetzt ist es ein Fundus für die filmische Geschichte der sozialen Kämpfe gestern und heute.

http://mmm.verdi.de/archiv/2011/08-09/rundfunk/schon-entdeckt-labournet-tv

    Peter Nowak