Und die Krise der alten Friedensbewegung: In Kassel beginnt Ende August ein antimilitaristisches Camp mit europäischer Beteiligung. Es wird sich zeigen, ob die weltweite Kriegspolitik mehr Menschen dafür interessiert.

Antimilitarismus in Zeiten des Krieges

Auf dem Camp werden auch Alternativen zur staatlichen Kriegspolitik aller Länder diskutiert. So gibt es einen Workshop zum Thema "Desertieren damals und heute – immer". Das ist ein besonders aktuelles Thema, weil ja auch manche Linke kaum Kritik daran üben, dass in der Ukraine alle männlichen Bewohner von 18 bis 60 am Ausreisen gehindert sind, weil sie vielleicht als Kanonenfutter gebraucht werden. In der französischen Zeitung Le Monde gab es Mitte August einen Artikel, der über die massive Repression gegen vermeintliche Kriegsdienstverweigerer in der Ukraine informierte.

In den letzten Wochen ging es um die Documenta und als antisemitisch bezeichnete Kunstwerke, wenn von Kassel die Rede war. Doch in den nächsten Tagen könnte die nordhessische Stadt für eine Woche zum Zentrum des antimilitaristischen Widerstands werden.  „Bald ist’s soweit: Wir schlagen unsere Zelte in der Rüstungsstadt Kassel auf, um gegen Krieg und Militarisierung Widerstand zu leisten“, twitterte ein Aktivist des Bündnisses Rheinmetall Entwaffnen. Das Bündnis organisiert vom …

… 30. August bis 3. September ein antimilitaristisches Camp, das in der Goetheanlage ganz in der Nähe des S-Bahnhofs Kassel-Wilhelmshöhe sein Domizil finden soll. Die thematische Spannbreite des Programms ist groß. Es geht um die Entwicklung in Rojava ebenso wie um die Verbindung von Klima- und Antimilitarismusbewegung. Viele Veranstaltungen drehen sich auch um die Verbindung von Patriarchat, Krieg und Militär.

Schließlich gibt es eine eigenständige feministische Mobilisierung zum Camp. „Unsere Antwort auf Krieg und Patriarchat ist Aufwiegelung und Verrat“, heißt es in einem Aufruf der autonom-feministischen Organisierung im Bündnis Rheinmetall Entwaffnen.

Antimilitarismus statt Geopolitik

Das Bündnis organisiert seit mehreren Jahren antimilitaristische Camps und Aktionstage, bei denen die Rüstungskonzerne direkt in den Fokus der theoretischen und praktischen Kritik geraten. Zweimal fanden die Proteste im niedersächsischen Unterlüß statt, wo Rheinmetall seinen Sitz hat.

Im letzten Jahr statteten die Antimilitaristen dem Konzern Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar einen Besuch ab und organisierten ein Tribunal vor dem Eingang des Konzerns.

Kassel war bereits 2020 das Ziel eines antimilitaristischen Aktionstages von Rheinmetall-Entwaffnen. Damals gab es auch Blockaden vor verschiedenen Rüstungskonzernen, die sich in der nordhessischen Stadt angesiedelt haben. Auch in Kassel soll es in den nächsten Tagen neben dem umfangreichen Bildungsprogramm und den Workshops auch vielfältige Aktionen des zivilen Ungehorsams geben. Sie werden allerdings nicht vorher angekündigt.

Da gibt es Parallelen zum Systems-Change-Camp des linken Flügels der Klimabewegung, das Anfang August in Hamburg stattgefunden hatte.

Nicht wenige Teilnehmer wollen an beiden Camps teilnehmen, weil für sie der Kampf gegen den Klimawandel und gegen Militarismus zusammengehören. Beide Camps werden auch von Gruppen der außerparlamentarischen Linken organisiert, die für eine solidarische Umgestaltung der Gesellschaft eintreten.

Krise der alten Friedensbewegung

Das Bündnis Rheinmetall-Entwaffnen ist entstanden, weil Teile der alten traditionellen Friedensbewegung kaum noch mobilisierungsfähig waren. Die Krise hatte sich noch durch den Streit um den sogenannten Friedenswinter im Jahr 2014 verschärft.

Dabei ging es um die Frage, ob es eine Kooperation zwischen der alten Friedensbewegung und von Gruppen geben sollte, die sich 2014 nach den Maidan-Ereignissen in der Ukraine gegründet hatten. Während auch in der alten Friedensbewegung einige auf neue jüngere Leute durch den Friedenswinter hofften, sahen andere darin eine Öffnung nach rechts. Sie beobachteten im Friedenswinter verschwörungstheoretische und rechtsoffene Tendenzen.

Doch das Grundproblem der alten Friedensbewegung bestand darin, dass sie oft Geopolitik mit Antimilitarismus verwechselte. Dabei betonten die Gruppen, die Rheinmetall-Entwaffnen gründeten, den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg und lehnten eine Kooperation mit rechten und rechtsoffenen Gruppen strikt ab. Dafür wurden in Unterlüß Teilnehmer des Camps von Rechten angegriffen.

„Krieg beginnt hier“

Die Aktivisten wollten mit dem Slogan „Krieg beginnt hier“ die Profiteure der Kriege in aller Welt markieren. Das sind auf jeden Fall Konzerne wie Rheinmetall und Heckler&Koch, die zu den Profiteuren auch des Ukraine-Konflikts gehören. Seit Ende Februar 2022 sind die Aktienkurse auch der deutschen Rüstungskonzerne massiv gestiegen.

Daher wäre es gerade jetzt umso wichtiger, diese Rüstungskonzerne überall anzuprangern, in Russland ebenso wie Belorussland, in Deutschland und in allen anderen Staaten. Die Parole der Antikriegsbewegung „Der Feind steht im eigenen Land“ richtet sich genau gegen diesen militärisch-industriellen Komplex aller Länder.

Eine solche Positionierung wäre gerade in einer Zeit wichtig, wo auch manche Linke angesichts des Ukraine-Krieges plötzlich die Liebe zur Nato erkannt haben. Über den Umweg, dass es jetzt gelte, das autoritäre russische Regime zu stoppen, werden auch in vielen westlichen Ländern manche unabhängige Linke Parteigänger der Aufrüstung und damit letztlich der Nato.

Denn, wir brauchen uns nichts vorzumachen. Es gibt aktuell keine eigenständige linke Mobilisierung zum Ukraine-Krieg, wie es sie noch 1936 zur Verteidigung der spanischen Republik oder der spanischen Revolution gegen den Franco-Faschismus existiert hat. Wer heute Waffen für die Ukraine fordert, kann kaum noch gegen die Nato und gegen Rheinmetall auf die Straße gehen, auch wenn manche von einer absoluten Ausnahme reden.

Nein, es hat sich schon in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Wer einem Krieg erstmals zustimmt, mit welchen menschenrechtlich drapierten Argumenten auch immer, zeigt damit, dass er den Frieden mit dem Staat und seinen ideologischen Staatsapparaten gemacht hat. Es wird sich zeigen, ob die massive Militarisierungspläne, die bereits lange in der Schubladen lagen und im Windschatten der Ukraine-Krise nun umgesetzt werden soll, das Interesse am Antimilitarismus erhöht.

Auf dem Camp werden auch Alternativen zur staatlichen Kriegspolitik aller Länder diskutiert. So gibt es einen Workshop zum Thema „Desertieren damals und heute – immer“. Das ist ein besonders aktuelles Thema, weil ja auch manche Linke kaum Kritik daran üben, dass in der Ukraine alle männlichen Bewohner von 18 bis 60 am Ausreisen gehindert sind, weil sie vielleicht als Kanonenfutter gebraucht werden.

Dabei wird von pro-ukrainischen Kräften immer wieder betont, dass in der Ukraine die Zahl der Menschen, die freiwillig in der Waffe in der Hand gegen die russische Armee kämpfen, besonders hoch sei. Da fragt man sich schon, warum dann die Zwangsmaßnahmen weiterhin aufrechterhalten werten. In der französischen Zeitung Le Monde gab es Mitte August einen Artikel, der über die massive Repression gegen vermeintliche Kriegsdienstverweigerer in der Ukraine informierte.

Dort wird über fluchtwillige ukrainische Männer zwischen 18 und 60 geschrieben, die die Grenze nach Rumänien überqueren bzw. und zum Teil bei mehrfachem Fluchtversuch festgenommen wurden. Laut dem Artikel, sind seit Kriegsbeginn sind insgesamt 6.400 Männer zwischen 18 und 60, die also gesetzlich verpflichtet wurden, in der Ukraine zu bleiben, beim versuchten Grenzübertritt nach Rumänien festgenommen worden.

Der ukrainische Präsident nennt diese Menschen pauschal „Landesverräter“ und bedient sich damit rechter Ressentiments. Es wäre viel gewonnen, wenn es wieder eine linke Antimilitarismusbewegung geben würde, die sich solchen Praktiken überall entgegenstellt. (Peter Nowak)