Das Kürzel »fdgo« wurde in den 70er Jahren zum Synonym für Überwachung und Diskriminierung von Linken. Es stand und steht für die »freiheitlich-demokratische Grundordnung«, auf die verbeamtete Lehrkräfte bis heute einen Eid leisten müssen. Seit Inkrafttreten des Radikalenerlasses 1972 wurden Hunderttausende von der Briefträgerin bis zum Lokführer, von der Laborassistentin bis zum Professor einer Überprüfung durch den Verfassungsschutz unterzogen. Gab es Hinweise darauf, dass sie nicht »jederzeit die Gewähr bieten« konnten, auf dem Boden der »fdgo« zu stehen, wurden sie Verhören unterzogen, bei denen ihnen oft Nichtigkeiten wie das Parken in der Nähe politischer Veranstaltungen oder das Verteilen von Flugblättern zur Last gelegt wurden. Die Folge waren nicht nur Berufsverbote für einige der Betroffenen, sondern enorme …
… psychische Belastungen für viele. Und sie strahlten aus: Viele junge Menschen überlegten sich mit Blick auf diese Praxis und auf ihre Karriere genau, ob sie einen Aufruf für Abrüstung unterschreiben, sich an einer Demo gegen Atomkraft beteiligten oder für eine linke Hochschulliste kandieren sollten.
Dieses unrühmliche Kapitel bundesdeutscher Geschichte wurde gerade nach dem Beitritt der DDR lange kaum noch öffentlich thematisiert. Das dürfte damit zu tun haben, dass die Bundesrepublik sich gerade im Vergleich mit der DDR stets als Hort von Freiheit und Schutz der Menschenrechte verklärte. Da passte es nicht ins Bild, dass auch im Westen linke Oppositionelle massenhaft ausspioniert wurden. Und das nicht erst seit 1972.
Bereits nach dem Verbot der KPD 1956 wurden Tausende tatsächliche oder vermeintliche Kommunist*innen bespitzelt, nicht wenige wegen ihrer Gesinnung sogar zu Haftstrafen verurteilt. Nicht wenige Menschen, die in der Nazizeit im Gefängnis oder Konzentrationslager gesessen hatten, wurden erneut wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt, nicht selten sogar von Richtern verurteilt, die bereits unter den Nazis Karriere gemacht hatten.
Was bis heute in Beiträgen über den Radikalenerlass und seine Folgen meist unerwähnt bleibt: Es gab bis zu seiner Außerkraftsetzung gut 20 Jahre später breiten Widerstand dagegen. Die Parole »Sei keine Duckmaus – gemeinsam gegen Berufsverbote« mobilisierte in den 70er Jahren Menschen nicht nur in der Bundesrepublik.
Der Begriff »Berufsverbot« wurde in den 70ern in anderen europäischen Staaten als deutsches Lehnwort übernommen, ähnlich wie »Blitzkrieg« und »Kindergarten«. Vor allem in Frankreich, Großbritannien und den Benelux-Staaten beteiligten sich auch Liberale und Sozialdemokrat*innen an Protesten gegen die Berufsverbote in Westdeutschland. Unter den Teilnehmer*innen waren bekannte Kämpfer*innen gegen die deutsche Besatzung und das Naziregime. Sie warnten vor dem Wiederaufleben rechter Tendenzen durch die Praxis des Radikalenerlasses. Schließlich waren fast ausschließlich Linke aller Couleur, aber auch kritische Gewerkschafter*innen und Pazifist*innen betroffen.
Weltweit bekannt wurde das Berufsverbot gegen die Lehrerin Silvia Gingold, deren Eltern als Kommunisten und Juden in der Nazizeit verfolgt worden waren. Gingolds Fall war einer derjenigen, mit dem sich das dritte Internationale Russell-Tribunal zur Berufsverbotspraxis befasste.
Es fand im März 1978 und im Januar 1979 in Köln und Frankfurt am Main statt. Namensgeber war der Philosoph, Friedensaktivist und Literaturnobelpreisträger Bertrand Russell, der 1966 zu einem vielbeachteten Tribunal zu den US-Verbrechen im Vietnamkrieg in London eingeladen hatte.
Nach seinem Vorbild wurden unter anderem 1973 bis 1976 das 2. Russell-Tribunal über Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika und Südafrika in Rom und Brüssel und 1978/79 das dritte eben zu den Berufsverboten in der Bundesrepublik konzipiert.
Auch in der Jury des 3. Tribunals saßen bekannte linke und linksliberale Intellektuelle und Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Ländern, unter ihnen die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz und der norwegische Friedensforscher Johan Galtung. In der Folge des Tribunals gründeten einige der Teilnehmer 1980 das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das bis heute jedes Jahr einen Bericht zu Grundrechtseinschränkungen und -verletzungen in Deutschland veröffentlicht. Auf Teilnehmer*innen des Tribunals wurde massiver politischer Druck ausgeübt, obwohl sie immer wieder betonten, dass sie allein die Verfassung der Bundesrepublik zum Maßstab nähmen. Mitglieder von SPD und FDP, die mit den Veranstaltern des Tribunals vom Sozialistischen Büro kooperierten, wurden aus ihren Parteien ausgeschlossen.
Die Abschlussberichte der Veranstaltungen wurden seinerzeit in vier kleinen Bänden im Rotbuch-Verlag veröffentlicht. Weil das Tribunal weitgehend in Vergessenheit geraten ist, wäre eine Neuveröffentlichung sinnvoll.
Peter Nowak