Seit fast drei Jahren Prozess gegen einen Antifaschisten wegen einer polizeikritischen Parole. Weitere Verfahren sollen folgen. Was ist da los?

Justiz: In Fulda steht der Feind noch links

Im konservativen Fulda zumindest steht für den Staatsapparat der Gegner auch weiterhin links. Daran wurde ja letzter Zeit manchmal gezweifelt, weil ein Teil der Antifa-Bewegung in Bezug auf die Coronamaßnahmen sich kaum noch staatskritisch zeigte. Wie sich in Osthessen – aber nicht nur dort - zeigte, bedeutet das keinesfalls, dass die Mehrheit der Antifa plötzlich von den Staatsapparaten hofiert wird, wie es die rechte oder rechtsoffene Propaganda suggeriert. 

„Nazis morden weiter und der Staat schiebt fleißig ab -–es ist und bleibt schlussendlich das gleiche Rassistenpack!“ So lautet der Refrain des Songs „In unseren Augen“, den die antifaschistische Band „Feine Sahne Fischfilet“ immer wieder spielt. Zitiert wurden diese Zeilen am Freitagvormittag vor dem Landgericht Fulda von der Rechtsanwältin Annabelle Voßberg. Sie verteidigte dort Christopher W., der am 21. Januar zum vierten Mal im osthessischen Fulda vor Gericht stand, weil er dort …

… auf einer antirassistischen Demonstration am 13. April 2019 die dem Refrain des Songs sehr ähnelnde Parole „Bullen morden – der Staat schiebt ab – es ist das gleiche Rassistenpack“ hatte. Er war zunächst freigesprochen, dann zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Weil die Staatsanwalt Osthessen nicht zufrieden war, stand er am vergangenen Freitag erneut vor Gericht.

Kritik an rassistischen Strukturen

Der 27-jährigen Sozialpädagoge, der wegen Beleidigung und Verächtlichmachung von Polizeibeamten angeklagt war, bestritt den Vorwurf nicht. In einer kurzen Prozesserklärung bekräftigte er, dass er die Parole wieder rufen würde, denn ihm gehe es damit um eine Kritik an den rassistischen Strukturen.

Dafür nannte er mehrere zeitnahe Beispiele, darunter die Drohschreiben, die mit dem Kürzel NSU 2.0 an Personen des öffentlichen Lebens geschickt worden waren, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert hatten – und deren Daten zum Teil kurz vorher über hessische Polizeicomputer abgefragt worden waren.

Die Polizei kam inzwischen einem Verdächtigten auf die Spur, weil er auf der rechten Plattform PI-News ähnlich klingende Kommentare abgegeben hatte und auch in einer Schachplattform das gleiche Profil verwendete. Noch ist allerdings unklar, wie oder durch wen der Mann an die sensiblen Daten gekommen war, ohne selbst Polizist zu sein – und ob dafür wirklich immer fingierte Anrufe ausgereicht hatten.

Doch Christopher W. nannte als weiteres Beispiel für den von ihm kritisierten strukturellen Rassismus in den Behörden deren Umgang mit dem Tod von Matiullah J.. Schließlich hatte er die inkriminierte Parole am ersten Todestag des afghanischen Geflüchteten gerufen.

Dieser war am 13. April 2018 in der Nähe seiner Unterkunft in Fulda von einem Polizisten erschossen worden, nachdem er in einer Bäckerei randaliert hatte. Ein Jahr darauf forderte eine Selbstorganisation afghanischer Geflüchteter in Fulda gemeinsam mit Unterstützinnern und Unterstützern Gerechtigkeit und die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Der verantwortliche Polizist, der zwölf Kugeln auf den Geflüchteten abgefeuert hatte, von denen vier trafen und zwei tödlich waren, war nicht angeklagt worden, weil er sich angeblich in einer Notwehrsituation befunden hatte.

Kann das Notwehr sein?

Dem hatten die Demonstranten am Jahrestag des Vorfalls widersprochen. Die Demonstration war von Polizei und Staatsschutz gut dokumentiert worden, wie sich am Freitag im Gerichtssaal zeigte. Während des knapp zweistündigen Gerichtstermin wurden Fotos von verschiedenen Transparenten und Schildern gezeigt.

Von den zwei geladenen Polizeizeugen erklärten der inzwischen pensionierte damalige Einsatzleiter und sein Stellvertreter, sie hätten sich von der Parole persönlich beleidigt gefühlt. Einer der Polizisten erklärte auch auf die Nachfrage von Rechtsanwältin Voßberg, dass es wahrscheinlich in einer Großstadt wie Frankfurt am Main, wo die inkriminierte Parole häufiger bei Protestaktionen zu hören ist, nicht zu einer Anklage gekommen wäre.

Doch im eher konservativen Fulda sei der Angeklagte schnell namentlich zu ermitteln gewesen, weil er als engagierter Antifaschist bekannt gewesen sei. Der Polizist erklärte auch, man habe mit der Anzeige zeigen wollen, dass man sich nicht alles bieten lassen müsse.

Das Gericht gab ihm recht und verurteilte Christopher W. zu 60 Tagessätzen à 30 Euro und die Übernahme der Gerichtskosten. Auch der Todesschütze von Matiullah J. gehörte zu den Polizisten, die gegen ihn Anzeige wegen Beleidigung erstattet hatten.

Fuldaer Zustände

Damit sind die Prozesse um die Demonstration zum Jahrestag des Todes von Matiullah nicht zu Ende. 2019 erschien ein Artikel auf dem Portal Belltower News, in dem stand, dass Matiullah durch zwölf Schüsse getötet worden sei, ohne anzumerken, dass nur vier der Schüsse ihn trafen und zwei davon als tödlich galten.

Deshalb wurde gegen den Autor und die Autorin des Artikels Anklage wegen Verdachts der gemeinschaftlich begangenen üblen Nachrede erhoben. Auch für den damals 52-jährigen Journalisten Timo Schadt aus Fulda hatte dies Konsequenzen. Dieser hatte den Artikel nicht verfasst – und, wie er damals der Taz mitteilte, habe er ihn nicht einmal gelesen.

Doch er war als Kontaktperson der Facebook-Seite des Netzwerks »Fulda aktiv gegen Rassismus« angegeben. Dort hatte jemand den Belltower News-Artikel gepostet. Am 17. Oktober 2019 um halb acht Uhr morgens stand deshalb unangekündigt die Polizei bei Schadt mit einem Durchsuchungsbefehl des Amtsgerichts Fulda vor der Tür.

Um zu verhindern, dass sein Computer und sein Laptop beschlagnahmt würden, musste Schadt einem Polizisten sein Facebook-Passwort aushändigen. Der Beamte löschte den Beitrag dann in seiner Anwesenheit.

Im Nachgang zu einer Gedenkveranstaltung für Matiullah J. vor einem Jahr hatte die Polizei Fulda vier Teilnehmerinnen und Teilnehmer wegen Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede angezeigt, darunter auch Sarmina Stuman vom Afghan Refugees Movement. Als Versammlungsleiterin der Demonstration habe sie auflagenwidrig zum Hass aufrufende Sprechchöre nicht unterbunden, so die Staatsanwaltschaft.

Dazu gehört die Parole, wegen der Christopher W. jetzt verurteilt wurde. An der Gedenkdemonstration zum Jahrestag des Todes von Matiullah beteiligte sich auch Philipp Weidemann. Der an der Fuldaer Fachhochschule lehrende Sozialwissenschaftler hatte auf der Gedenkdemonstration im April 2019 Flugblätter an Passanten verteilt, darunter auch an einen Jugendlichen. Weidemann soll zu diesem gesagt haben, dass ein Mensch von einem Polizisten ermordet worden sei und er in dem Flugblatt mehr dazu erfahren könne.

Der Jugendliche soll dies seiner Mutter berichtet haben, die sich daraufhin auf Facebook über die Wortwahl des Sozialwissenschaftlers empört haben soll. Die Polizei lud den Jugendlichen vor; gegen den 42-jährigen Weidemann ermittelt sie wegen Verleumdung.

Dieser bestreitet, von Mord gesprochen zu haben. Auch der damalige Fuldaer Ausländerbeauftragte Abdulkerim Demir geriet massiv unter behördlichen Druck, weil er eine rückhaltlose Aufklärung der Todesumstände des jungen Afghanen forderte.

Richter fand Fax eines rechten Beschuldigten glaubwürdiger

Mehr Glück hatten die Rechten, die angeklagt waren, nach einer von der AfD organisierten Demonstration aus Solidarität mit dem Todesschützen von Matiullah drei Schüler, die sich an den Gegenprotesten beteiligten, angegriffen und verletzt zu haben. Einer von ihnen wurde zunächst zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Doch im Berufungsprozess fiel dem Rechten plötzlich ein, dass er ein Alibi habe – er schickte ein Fax, das unvollständig beim Fuldaer Landgericht ankam.

Selbst erschien er nicht vor Gericht. Trotzdem hob das Gericht die Verurteilung auf, obwohl einer der angegriffenen Schüler den Verurteilten zu 100 Prozent als Täter erkannt und dies auch unter Eid ausgesagt hatte. Das Gericht glaubte also der unvollständig übermittelten Faxangabe eines Rechten, der selbst nicht vor Gericht erschien, mehr als den Angegriffenen.

Im konservativen Fulda zumindest steht für den Staatsapparat der Gegner auch weiterhin links. Daran wurde ja letzter Zeit manchmal gezweifelt, weil ein Teil der Antifa-Bewegung in Bezug auf die Coronamaßnahmen sich kaum noch staatskritisch zeigte.

In den letzten Tagen wurde beispielsweise diskutiert, ob es für eine Fuldaer Lehrerin dienstrechtliche Konsequenzen haben sollte, weil sie auf einem Foto ohne Maske in der Nähe eines „Spaziergangs“ von Kritikern der Coronamaßnahmen fotografiert wurde.

Wie sich in Osthessen – aber nicht nur dort – zeigte, bedeutet das keinesfalls, dass die Mehrheit der Antifa plötzlich von den Staatsapparaten hofiert wird, wie es die rechte oder rechtsoffene Propaganda suggeriert. (Peter Nowak)