Neue Erkenntnisse zur Brandnacht in der Dessauer Polizeizelle: Brandsimulation stützt Mordthese und wirft Frage nach Parallelen zum NSU-Komplex auf
Doch nicht nur in Mordfällen, bei denen die Spuren direkt in die rechte Szene führen, mangelt es in Hessen an Aufklärung. Erst recht, wenn es um strukturellen Rassismus und in manchen Fällen tödliche Polizeigewalt geht, wenn also von vornherein nur staatliche Akteure im Spiel sind, wird gemauert.

Wurde der Asylsuchende Oury Jalloh am 7. Januar 2005 in einer Zelle der Dessauer Polizeistation mit Benzin übergossen, bevor den grausamen Feuertod starb? Diese Version legt zumindest eine Rekonstruktion der Todesumstände nahe, die von der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh veranlasst wurde. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in einer Berliner Galerie stellte Iain Peck vom Prometheus Forensic Service UK seine Expertise vor. Es sei wahrscheinlich, dass der 1968 in Sierra Leone geborene Mann mit der …

… brennbaren Flüssigkeit übergossen und „absichtlich entzündet“ wurde, so der britische Spezialist.

Nur so sei der hohe Grad der Verbrennungungen bei Jalloh zu erklären. Im Auftrag der Gedenkinitiative hatte das Team des britischen Brandexperten die Zelle Nummer 5 des Dessauer Polizeireviers nachgebaut. Um die Brandeigenschaften eines menschlichen Körpers zu simulieren, hatte Peck Schweinehaut und Schweinefleisch auf ein Plastikskelett nähen lassen.

Präsentiert wurden die neuen Erkenntnisse mit Unterstützung des Künstlers Mario Pfeifer erstellt, der in den letzten Jahren immer wieder mit politisch engagierter Videokunst hervorgetreten ist, beispielsweise im Video „Again / Noch Einmal“, in dem er einen rassistischen Angriff in einem Supermarkt im sächsischen Arnstadt nachstellte.

Verweigerte Aufklärung

Mit den Ergebnissen der Brandsimulation will die Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh, die dessen Familie im Klageverfahren unterstützt, eine Wiederaufnahme der Ermittlungen erzwingen. Denn die wurden von der Justiz schon längst eingestellt.

Die offizielle Version des Tathergangs lautet noch immer, dass Oury Jalloh in seiner Zelle das Feuer selber gelegt hat, indem er seine Matratze anzündete, auf der er gefesselt lag. Ein Feuerzeug wurde in seiner Zelle nicht gefunden, es tauchte erst später bei den Asservaten auf. Nadine Saeen von der Gedenkinitiative sprach daher am Mittwoch von einer Kette der Vertuschungen in diesem Fall.

Ein Oberstaatsanwalt, der der Hypothese verfolgte, dass Jalloh angezündet wurde, um zu vertuschen, dass er misshandelt wurde, war von der Bearbeitung des Falles abgezogen worden. Zudem gab es in der Dessauer Polizeistation schon vorher zwei ungeklärte Todesfälle. Die Toten waren Männer aus prekären Lebensverhältnissen. Sie hatten keine Freunde, die willens und in der Lage gewesen wären, die offizielle Version ihrer Todesumstände zu hinterfragen.

Es ist der Ausdauer der Unterstützer der Gedenkinitiative für Oury Jalloh zu verdanken, dass über die Umstände seines Todes weiterhin diskutiert wird. Vielleicht ist der Druck stark genug, um tatsächlich eine Wiederaufnahme der Ermittlungen oder auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss durchzusetzen.

Offenen Frage wie im NSU-Komplex

Es war Zufall, dass die Präsentation der neuen Erkenntnisse im Fall von Oury Jalloh einen Tag vor dem heutigen zehnten Jahrestag der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischens Untergrunds (NSU) erfolgte.

Während sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) selbst lobt, wie viele Reformen seitdem umgesetzt worden seien und behauptet, die Aufklärung sei abgeschlossen, sehen dass die Angehörigen der zehn bekannten Mordopfer sowie die Geschädigten zweier Sprengstoffanschläge des NSU und deren Unterstützer anders. Tatsächlich ist weiterhin offen, wie nahe verschiedene Geheimdienste dem NSU wirklich waren und ob der Umgang der Behörden mit dem rechten Terrornetzwerk wirklich nur mit einer Serie von Pannen und Fehlern zu erklären ist.

Weiterhin unklar ist, wie viele Personen wirklich zum lange als „Trio“ bezeichneten NSU zähltenund ob nicht weitere Anschläge und Morde auf sein Konto gingen, die ihm bisher nicht zugeordnet werden konnten. Dass der NSU nicht nur aus der inzwischen verurteilten Beate Zschäpe sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bestand, nach deren Tod am 4. November 2011 das „Netzwerk von Kameraden“ (so die Selbstbezeichnung des NSU) der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, ist weitgehend Konsens.

Was die Ausspähung der Tatorte der bundesweiten Mordserie betrifft, wird von regionaler Unterstützung ausgegangen, für die engagierte Anwältinnen und Anwälte der Nebenklage im fünfjährigen Münchner NSU-Prozess Indizien sammelten, die aber bisher nicht gerichtsfest nachgewiesen werden konnte.

Dafür sorgte auch eine Geheimhaltungspolitik, was die fürsorgliche Belagerung des NSU durch diverse Geheimdienste betrifft. Die Geheimhaltung wichtiger Akten wurde zum Staatsinteresse erklärt. Geheim gehalten wird auch eine Akte, in der behördenintern recherchiert wurde, ob es in Hessen weitere rechte Aktionen des NSU vor dessen Selbstenttarnung gab.

Vielleicht könnte man sich auch fragen, ob es auch nach der Selbstenttarnung weitere NSU-Taten gab. Der Mordfall Walter Lübcke könnte da genannt werden. In diesem tauchte auch wieder der frühere hessische Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme auf, der sich in Kassel in dem Internetcafé aufhielt, als der NSU dort zuschlug und Halit Yozgat erschoss

Temme war dienstlich auch mit dem inzwischen für den Lübcke-Mord verurteilten Neonazi Stephan Ernst befasst gewesen – bevor der Verfassungsschützer ins Kasseler Regierungspräsidium wechselte, wo wiederum der in der rechten Szene verhasste Walter Lübcke sein Chef war.

Mangelnde Aufklärung auch bei Tod durch Polizeikugeln

Doch nicht nur in Mordfällen, bei denen die Spuren direkt in die rechte Szene führen, mangelt es in Hessen an Aufklärung. Erst recht, wenn es um strukturellen Rassismus und in manchen Fällen tödliche Polizeigewalt geht, wenn also von vornherein nur staatliche Akteure im Spiel sind, wird gemauert.

Auch der Tod des afghanischen Flüchtlings Matiullah J., der am 13. April 2018 durch Polizeikugeln starb, harrt noch der Aufklärung. Gegen den verantwortlichen Polizisten wurde nicht einmal ein Gerichtsverfahren eingeleitet, obwohl für die Angehörigen und Unterstützer viele Fragen offen blieben. Dafür wurden Kritiker des tödlichen Polizeieinsatzes mit Verfahren überzogen.

Ein osthessischer Journalist musste sogar einen kritischen Artikel über den Einsatz löschen, den er gespiegelt hatte. Erst am 3. November wurde vor dem Amtsgericht Fulda ein Antirassist zu einer Geldstrafe mit Bewährung verurteilt, weil er auf einer Demonstration zum 1. Jahrestag des Todes von Matiullah die Parole „Bullen morden, der Staat schiebt ab, es ist das gleiche Rassistenpack“ gerufen hatte. Damit hätte er die Polizisten beleidigt, die bei den  tödlichen Einsatz dabei gewesen seien, so die Begründung des Richters. (Peter Nowak)