Die Grünen sind bereit für eine Koalition mit der Union. Das ist die Botschaft vom Wahlparteitag am Wochenende. Daher wurden auch alle Anträge mit dem Ziel, in der Umwelt- oder Sozialpolitik höhere Zahlen bei den Klimazielen oder den Arbeitslosengeld-II-Regelsätzen ins Wahlprogramm zu schreiben, erwartungsgemäß abgelehnt. Dabei geht es längst nicht mehr um den Streit zwischen einem angeblich linken Flügel und den „Realos“. Diese Konstellation existiert schon seit Jahrzehnten nicht mehr, weil es eben keine wahrnehmbare grundsätzliche Ablehnung einer Regierungsbeteiligung mehr gibt. Die Frage war höchstens, ob manche vielleicht noch …
… Hoffnungen in eine Regierungskonstellation mit SPD und Linkspartei haben. Diese Option, die sich auch durch Umfrageergebnisse nicht bestärken lässt, ist seit dem Wochenende nun endgültig vom Tisch. Es geht nur noch darum, ob die Grüne oder die Unionsparteien die stärkste Kraft werden und damit Anspruch auf die Kanzlerschaft haben. Vor einigen Wochen schienen den Umfragen gemäß die Grünen stärker zu sein. Sofort setzte eine Kampagne gegen deren Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ein. Da werden fehlerhafte Details in ihren biografischen Angaben mächtig aufgebauscht.
Diese Kampagne eint Teile der Union sowie konservative bis offen extrem rechte Medien. Da werden die Grünen zur großen Gefahr stilisiert: Angeblich wollen sie durch die Hintertür eine sozialistische Ökodiktatur einführen. Dabei sind die schlaueren Teile des Kapitals mit den Parteistrategen der Grünen einig, dass es um den Übergang in eine neue kapitalistische Akkumulationsphase nach dem Ende des fossilen Zeitalters geht.
Kapitalismus in Grün – alles drin?
Letzteres haben sie in Hessen als Teil einer „schwarz-grünen“ Koalition auch schon getan, indem sie an der Seite der CDU die Offenlegung der Akten zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ verweigerten.
Um zu sehen, wie biegsam die Grünen an der Regierung sind, braucht man nicht nur nach Österreich zu schauen, wo die konservative ÖVP mit ihnen an der Seite in der Flüchtlingspolitik weiter so agiert, als sei die rechte FPÖ ihr Koalitionspartner. Die Grünen haben dafür Beinfreiheit in der Umweltpolitik bekommen. Man kann auch nach Hessen schauen, wo die Grünen die Koalitionsdisziplin wahren, wenn der Dannenröder Forst gerodet wird oder eben die Öffnung der NSU-Akten verweigert wird. Nun sehen grüne Parteistrategen durchaus das Problem, dass nach den Wahlen manche enttäuscht sein werden, wenn klar wird, dass es auch unter einer Kanzlerschaft von Baerbock nur Kapitalismus in Grün gibt.
Der Leiter des Parlamentsbüros der taz, Ulrich Schulte, ist einer der wenigen, die offen benennen, dass die Grünen an der Regierung nach der Wahl mit Politikern wie dem CSU-Landesgruppenchef und Autofan Alexander Dobrindt kooperieren werden. Schulte benennt auch sehr präzise, dass „Schwarz-Grün“ das Bündnis zwischen alten und neuen Bürgertum ist. Allerdings irrt Schulte, wenn er den Eindruck erweckt, dass es die Union ist, die angeblich emanzipatorische Potentiale der Grünen einhegt. Tatsächlich geht es beiden Parteien um einen Neustart des Kapitalismus auf ökologischer Grundlage.
Die Grünen sind davon überzeugt, die Union muss dazu eher gezwungen werden – und es gibt dort Fraktionen, die am liebsten so weitermachen würden, als gingen die fossilen Rohstoffe nicht zur Neige, ein Aspekt, der bei den Debatten um Klimawandel und Klimakrise immer etwas in den Hintergrund gerät.
Aggressive Außenpolitik in Grün
Zumindest in der Außenpolitik gehören die Grünen und das von ihnen vertretene neue Bürgertum aktuell zum aggressiven Teil des deutschen Imperialismus gegenüber Russland. Das wurde auf dem Parteitag durch die Einladung der belorussischen Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja noch mal bekräftigt. Die Frontstellung gegen Russland gehört zur DNA der Grünen seit ihrer Gründung. Dort sammelten sich Ex-Maoisten und auch manche Deutschnationale, die schon in den 1980-er Jahre propagierten, das System von Jalta zum Einsturz bringen zu wollen. Damit war das Nachkriegseuropa gemeint, wie es sich nach der Zerschlagung des Naziregimes und seiner Verbündeten herausgebildet hat.
Damals ging es gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten in Osteuropa. Dafür kooperierten die Grünen mit sehr heterogenen Dissidenten in den nominalsozialistischen Ländern. Darunter waren Libertäre, denen es berechtigterweise um den Kampf gegen die autoritären Herrschaftsstrukturen in diesen Staaten ging. Doch darunter waren auch Rechte, die der Roten Armee übel nahmen, dass sie das Naziregime und dessen Verbündete besiegt hatte. Diese Rechten aller Couleur trommelten besonders laut gegen das System von Jalta und beklagten, das „Eindringen einer Supermacht nach dem Zweiten Weltkrieg“. Genau das beklagt auch der ungarische Kunsthistoriker Dániel Kovács, der auf der aktuellen Architektur-Biennale in Venedig den ungarischen Pavillon kuratiert, im taz-Interview.
Wie die Rechten meint auch er mit der eingedrungenen Supermacht die Sowjetunion und deren Rote Armee. Wie alle Rechten verschweigt auch Kovács, dass die Rote Armee nach Ungarn eingedrungen ist, nachdem sie den Angriff der Nazi-Wehrmacht und ihrer Mordmaschinerie, an der sich auch ungarische Faschisten beteiligt hatten, zurückgeschlagen hatte. Wie alle Rechten verschweigt auch Kovács, dass die eindringende Rote Armee das faschistische Regime der Pfeilkreuzler in Ungarn entmachtet und die wenigen ungarischen Juden, die sich bis dahin dort verstecken konnten, gerettet hat.
Wäre es der Roten Armee möglich gewesen, ein Jahr früher in Ungarn einzudringen, wären noch Hunderttausende Juden vor der Ermordung in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern bewahrt geblieben. Die taz-Interviewerin hat Kovács wenige Wochen vor dem 80. Jahrestag des Angriffs der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion mit diesen Fakten gar nicht erst konfrontiert. Das wird auch keinen Proteststurm der Leserinnen und Leser auslösen. Den findet man auf der Leserbriefseite eher, wenn es um Fragen der grünen Moral wie Mülltrennung oder Stress für Tiere geht.
Das macht auch deutlich, dass eine Regierung mit Beteiligung der Grünen wenig Probleme mit ihrer Basis bekommt, wenn sie den Kurs gegen Russland verschärft und damit nur ihren jahrzehntelangen Kampf gegen das System von Jalta fortsetzt.
Das Dilemma der Linken
Daher ist es besonders absurd, wenn Mitglieder der Partei Die Linke noch immer für ein „sozial-ökologisches“ Bündnis mit SPD und Grünen werben. Das Szenario ist heute sehr unwahrscheinlich, weil es keine Umfragen gibt, die eine Mehrheit für diese drei Parteien sehen.
Doch die Befürworter eines solchen Bündnisses sagen nicht, wie sie der teilweise noch russlandfreundlichen Basis der Linkspartei ein Bündnis mit einer Partei schmackhaft machen wollen, die dazu einen diametral entgegengesetzten Kurs einschlägt. Die schlechten Umfragewerte der Partei Die Linke, die sich teilweise gefährlich nahe an die Fünf-Prozent-Hürde bewegen, sind auch ein Ergebnis dieser unklaren Positionen. Die Linke will in vielen Punkten mit den Grünen um das junge, akademisch sozialisierte Milieu in den Städten konkurrieren.
Dabei gibt es partiell in einigen Universitätsstädten durchaus Erfolge. Doch die wiegen bisher die Verluste bei ihren langjährigen Stammwählern vor allem in Ostdeutschland, die wenig mit Gender-Debatten zu tun haben wollen, aber den Begriff „Putin-Versteher“ als Schimpfwort ablehnen, weil sie darin lupenreine Kriegsrhetorik sehen, nicht auf. Die Tageszeitung junge Welt, die in Teilen dieses Milieu gerne gelesen wird, lag nicht falsch, als sie nach den Verlusten der Linkspartei bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt titelte: „Linke verjubelt SED-Erbe“. Dabei stellt sie erst einmal nicht die Frage, ob das nicht ein vergiftetes Erbe ist. Die Wähler waren diffus für soziale Gerechtigkeit, aber haben Staat und Nation kaum in Frage gestellt.
In dem Augenblick, in dem sich Linke auch feministischer und ökologischer Fragen annimmt, wechseln dann manche dieser Wähler zur AfD, obwohl diese ganz eindeutig zum Eigentümerblock gehört und besonders lautstark für einen möglichst von sozialen Rechten unbehelligten Kapitalismus eintritt. Hier liegt auch der größte Schwachpunkt in Sahra Wagenknechts Befunden in ihrem vieldiskutierten Buch „Die Selbstgerechten“. Sie erkennt, dass ein Teil der ehemaligen Linke-Wähler zur AfD wechselte, fragt sich aber nicht, ob der Grund nicht vielleicht darin liegt, dass die gar keine linke Politik wollen und sich daher in den Positionen der AfD durchaus wiederfinden.
Wagenknecht gibt vor, ein Konzept zu haben, die verlorenen Wähler zurückzugewinnen, hat aber in der Praxis nicht bewiesen, dass es gelingt. Die von ihr wesentlich bestimmte Bewegung „Aufstehen“ scheiterte schließlich in erster Linie daran, dass die so umworbenen Massen gerade nicht aufgestanden sind. Auch mit ihren Buch hat Wagenknecht eher Menschen wie die Schriftstellerin Monika Maron positiv angesprochen, die die Linke nicht wählen würden.
Verprellt aber wird das von Wagenknecht als „Lifestyle-Linke“ gescholtene akademische Milieu. Dabei geht beispielsweise die Gewerkschaft ver.di längst einen anderen Weg, in dem sie sich sowohl in der Berliner Krankenhausbewegung mit Beschäftigten aus Klinken und Pflege für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt als auch mit der Klimabewegung kooperiert.
Eine solche Kooperation könnte es auch geben, wenn die Linke ihr ambitioniertes ökologisches Programm zur Bundestagswahl ernst nimmt. Gerade in einer Zeit, wo die Grünen deutlich machen, dass ihr Ziel eine Kooperation mit der Union ist, wäre auf der linken Seite viel Raum dafür. Doch wer redet schon über das ökologische Programm der Linken, ja wer kennt es überhaupt?
Provozieren Wagenknecht und Lafontaine ihren Parteiausschluss?
Stattdessen scheint Oskar Lafontaine, selbst Fraktionschef der Linken im Landtag des Saarlands, seinen möglichen Parteiausschluss geradezu zu wünschen, wenn er wenige Monate vor der Bundestagswahl in einem undurchsichtigen Intrigenspiel zwischen seiner Fraktion und dem Landesverband dazu aufruft, im Saarland nicht Die Linke zu wählen. Dabei handelt es zwar um ein kleines Bundesland. Doch das hatte auch wegen Lafontaine durchaus Wahlergebnisse im zweistelligen Bereich. Da könnten also entscheidende Stimmen fehlen.
Vor den Wahlen wird es jedoch keine Ausschlüsse geben – auch Kritiker von Sahra Wagenknecht stellten sich unlängst gegen einen Ausschlussantrag, den einzelne Mitglieder gegen sie eingereicht hatten, weil sie ihr Buch als Abrechnung mit der eigenen Partei verstanden. So müssen die verfeindeten Fraktionen vorerst unter einem Dach weiter existieren. Doch verliert die Linke stark oder bliebe sie gar unter der Fünf-Prozent-Hürde wäre es das Ende der Partei.
Anders als 1994, als die PDS schon mal an dieser Hürde scheiterte, könnte sie dieses Mal auch nicht mehr auf Direktmandate im Osten setzen, die ihr damals zumindest eine symbolische Präsenz im Bundestag ermöglichte. Angesichts der Grünen auf Regierungskurs und einer Linkspartei, die sich selbst vor den Wahlen eher über Intrigen als über ihr eigenes Programm streitet, bleibt dem staatskritischen Teil der Umweltbewegung gar nichts anderes übrig, als auf die außerparlamentarische Arbeit und Bündnisse der unterschiedlichen Art zu setzen. Einen Vorteil hat es, sie bekommen gar nicht erst die Illusion, mit parlamentarischer Arbeit viel bewegen zu können. Peter Nowak