Die Frage, wie mit einer in Teilen irrationalen Bewegung umzugehen ist, sollte sich auch die Linke stellen. Diskussionsverweigerungen dürften die Verschiebung nach rechts fördern

Mit dem Verfassungsschutz gegen Querdenker?

Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, hatte sich in einer Pressemitteilung dagegen ausgesprochen, die Querdenker-Bewegung mit geheimdienstlichen Mitteln zu bekämpfen. Sie bezeichnet den Verfassungsschutz, der als Geheimdienst außerhalb der demokratischen Kontrolle steht, selber als Teil des Problems.

Die Querdenker-Bewegung besteht erst einige Wochen und kann wohl schon einen Rekord verbuchen. Die Führungsriege der Gruppierung Querdenken 711 in Baden-Württemberg wurde ….

…. vom dortigen Verfassungsschutz zum Verdachtsfall erklärt. Der CDU-Innenminister des Landes, Thomas Strobl, sieht Anhaltspunkte für „extremistische Bestrebungen“:

Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg hatte bereits zwei hellwache Augen auf die ‚Querdenken‘-Gruppierung, und er hat nun – sobald die Voraussetzungen für eine Beobachtung vorlagen _ schnell und entschlossen gehandelt.

Innenminister Baden-Württemberg, Thomas Strobl

Dabei wird ausdrücklich betont, dass nicht die Mitläufer bei Querdenker-Aktionen, sondern die Führungsriege beobachtet werden. Doch diese Unterscheidung lässt sich in der Praxis gar nicht durchhalten. Die Führung ist ja kein abgeschotteter Kreis, der sich nicht verändert. Wenn einzelne Personen davon beobachtet werden, wird auch registriert, wie diese mit anderen Personen aus der Bewegung interagieren oder wer neue Führungsaufgaben übernimmt.

Zudem hat allein die Beobachtung der führenden Akteure Auswirkungen auf Personen, die bei den Aktionen der Querdenker-Bewegung mitlaufen. In der Vergangenheit gab es Medienreaktionen, weil in Berlin eine Staatsanwältin, anderswo war es ein Polizist außerhalb seiner Dienstzeit, an den Protesten teilgenommen haben. Der Druck gerade auf Personen im Staatsdienst wird wachsen, wenn nun die Führungsriege unter Beobachtung des Inlandsgeheimdienstes steht.

Die hellwachen Augen des Verfassungsschutzes

Nun ist Strobl der konservative Hardliner im Kabinett des einzigen grünen Ministerpräsidenten. Die Aktion Bleiberecht wirft ihm, gestützt auf ein juristisches Gutachten, vor, die Menschenrechte von Geflüchteten in den dortigen Erstaufnahmelagern des Landes zu verletzen. Doch es gibt vonseiten der Grünen keinen Protest gegen die Beobachtung der Querdenker-Bewegung.

Anders ist es bei der Linkspartei. Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, hatte sich in einer Pressemitteilung dagegen ausgesprochen, die Querdenker-Bewegung mit geheimdienstlichen Mitteln zu bekämpfen. Sie bezeichnet den Verfassungsschutz, der als Geheimdienst außerhalb der demokratischen Kontrolle steht, selber als Teil des Problems.

Auch die hessische Politikerin der Linken, Janine Wissler, die in einer trotzkistischen Gruppe aktiv war, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, fand in der konservativen Tageszeitung Die Welt klare Worte zum Agieren der Geheimdienste. Auf die Frage, ob sie aus der Gruppierung Marx 21 vor ihrer Kandidatur zum Parteivorsitz ausgetreten sei, antwortet Wissler:

Nein, beim Bundesamt für Verfassungsschutz handelt es sich um eine Behörde, die über Jahre hinweg von Hans-Georg Maaßen geleitet wurde, der ein rechter Verschwörungstheoretiker ist. Ich habe fünf Jahre lang im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags in die Abgründe dieser Behörden schauen können. 

Der sogenannte Verfassungsschutz hat rechten Terror jahrelang verharmlost, entweder aus Unfähigkeit oder absichtlich. Seine Einschätzung ist für mich kein Maßstab.

Janine Wissler, Die Welt

Das muss dann natürlich auch gelten, wenn sich die Geheimdienste mal nicht um linke Gruppen kümmern.

Wer ist die Querdenken-Bewegung?

Dass die Querdenken-Bewegung dazu nicht gehört, ist unstrittig. Ebenso klar ist, dass dort esoterische und irrationale Einflüsse unverkennbar sind. Manche erinnern daran, dass Baden-Württemberg historisch eine Hochburg von solchen irrationalen Bewegungen gewesen ist und ziehen Verbindungen bis zur Romantik.

Auch wurde beobachtet, dass sich Teile der esoterischen Szene, die sich bisher noch im Umfeld der Grünen bewegten, mittlerweile neu orientieren. Das könnte sich sogar im Wählerverhalten ausdrücken. Nach einer Untersuchung des Baseler Soziologen Oliver Nachtwey und seiner Kollegen Nadine Frei sowie Robert Schäfer wollen 30 Prozent der Querdenken-Anhänger bei der kommenden Bundestagswahl ihre Stimme der AfD geben.

Noch bei der letzten Wahl vor drei Jahren hätten 21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt, die AfD habe nur 14 Prozent bekommen. Soziostrukturell handele es sich um eine eher ältere und gebildetere Bewegung. Das Durchschnittsalter betrage 47 Jahre, 31 Prozent haben Abitur, 34 Prozent einen Studienabschuss, der Anteil Selbstständiger sei höher als in der Gesamtbevölkerung.

Eine Bewegung, die von links kommt und nach rechts geht

Querdenken sei „eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich“, so Nachtwey. Dieser Befund deckt sich mit Beobachtungen von Aktionen aus dem Umfeld der Querdenken-Bewegung.

So gibt es ein Video über einen Stuttgarter Schweigemarsch am 22. November dieses Jahres von Gegnern der Coronamaßnahmen. Interessant ist, dass dort durchaus ein Querschnitt der Bevölkerung zu sehen ist, Menschen allen Alters, eher dem Mittelstand zugehörig.

Aufschlussreich sind auch die Kurzinterviews, die dort mit einzelnen Teilnehmern des Schweigemarsches geführt wurden. Die Frage nach den eigenen Wünschen gehört dazu. Wenn man die Antworten der Menschen hört, die sich interviewen ließen, könnte man kurz zusammengefasst sagen, es handele sich um einen grünenwählenden Mittelstand, der sehr individualistisch ist und für den „Klassenkampf“ eher ein Fremdwort ist.

Es ist nicht verwunderlich, dass ein solches eher mittelständisch geprägtes Klientel auch nach rechts offen ist. Eine solche Rechtsentwicklung wird oft durch besondere gesellschaftliche Einschnitte verstärkt.

In der Zeit der Weimarer Republik trug die hohe Inflation nach 1923 und die Angst vor einer Wiederholung zu einer Rechtsverschiebung von Teilen des Mittelstands bei. In dieser Zeit wuchsen auch die esoterischen Bewegungen nicht nur in Baden-Württemberg stark an. Einige von ihnen, nicht alle, wurden später Unterstützer des Nationalsozialismus.

Linke, die nur Rechte sehen?

Die Frage ist, wie eine Linke damit umgeht, wenn Teile der Bevölkerung, die zeitweise mehr oder weniger locker mit ihr verbunden waren, nun bei dieser Bewegung mitmachen?

Handelt es sich dabei hauptsächlich um eine faschistische Bewegung wie der langjährige Antifa-Aktivist Jan Schlemermeyer in einer Kolumne in der Tageszeitung Neues Deutschland meint?

Oder gehört Schlemermeyer zu den Linken, die nur Rechte sehen wollen, wie der Publizist Gerhard Hanloser kritisiert, der die Corona-Proteste in Berlin beobachtet hat?

Ulla Jelpke gehört zumindest zu denen, die klar konstatieren, dass viele, die an den Corona-Protesten teilnehmen, sich noch nicht zur Rechten zählen. Die Frage ist, wie verhindert werden kann, dass sie in diese Richtung gestoßen werden?

Eine linke Genugtuung, dass die Querdenken-Bewegung nun vom Verfassungsschutz beobachtet wird, wäre zumindest das falsche Mittel. Es würde eine Linke, die ja nicht ohne Grund die Abschaffung des Verfassungsschutzes fordert, und dieses nach der Aufdeckung des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds bekräftigte, auch völlig unglaubwürdig machen. Ein Mittel wäre, mit dem Teil der Protestierenden ins Gespräch zu kommen, die sich nicht als Rechte sehen.

Diskussionsabsagen oder wie man die Querdenker stark macht

Wenn dann kontroverse Diskussionen zu den Corona-Maßnahmen abgesagt werden wie in der letzten Woche an der Universität Witten/Herdecke, wo der vielkritisierte Mediziner Wolfgang Wodarg mit dem Virologen Ullrich Mansfeld auf Einladung einer studentischen Initiative diskutieren sollte und das Gespräch in letzter Minute auf Druck der Hochschulleitung gecancelt wurde, ist dies das beste Mittel, den Querdenkern Zulauf zu schaffen.

Wenn nach dem Motto „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ von Institutionen entschieden wird, mit wem überhaupt noch diskutiert werden kann und wer außerhalb der Diskussion steht, dann ist das die beste Werbung für Bewegungen wie die Querdenker.

Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn auf ihren Internetseiten der Fall der verhinderten Diskussion aufgegriffen wird. Dass auf linken Internetseiten davon wenig zu lesen war, muss wohl auch nicht mehr erstaunen. Peter Nowak