Über 2000 Menschen haben sich am Dienstagnachmittag im Berliner Regierungsviertel an einer Demonstration unter dem Motto »Luftbrücke nach Afghanistan jetzt« beteiligt. Die zentralen Parolen lauteten »Wir haben Platz« und »Nehmt die Flüchtlinge aus Afghanistan auf«. An der Demonstration beteiligten sich auch viele Geflüchtete aus Afghanistan, die mit Schildern wie »Down with the Taliban« ihren Widerstand gegen die Machtübernahme der radikalen Islamisten ausdrückten. Zahlreiche antirassistische Organisationen wie die Initiative Seebrücke und Pro Asyl hatten zu der Demonstration aufgerufen. Die Forderung nach …
„Profit schlagen aus der Krise in Afghanistan“ weiterlesenSchlagwort: Ulla Jelpke
Mit dem Verfassungsschutz gegen Querdenker?
Die Querdenker-Bewegung besteht erst einige Wochen und kann wohl schon einen Rekord verbuchen. Die Führungsriege der Gruppierung Querdenken 711 in Baden-Württemberg wurde ….
„Mit dem Verfassungsschutz gegen Querdenker?“ weiterlesenSchlimmer Fingerabdruck im Pass
Am vergangenen Donnerstag beriet der Bundestag über den »Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen«. In der Debatte warben vor allem Redner*innen der Großen Koalition, mit dem Gesetz wolle man den Pass fälschungssicherer machen. Die technischen Möglichkeiten ermöglichen heute bei der Bildbearbeitung das sogenannte Morphing, wie das Verschmelzen mehrerer Bilder genannt wird. Ziel des Gesetzes besteht darin, solche Manipulationen weitgehend auszuschließen. Doch nur wenige Abgeordnete beschäftigten sich mit Punkt 7 des Gesetzesentwurfs, der dazu geführt hat, dass …
„Schlimmer Fingerabdruck im Pass“ weiterlesenKafka in Leipzig
Medienverbote leichtgemacht“. So kommentierte der Jurist David Werdermann die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom 29. Januar. Danach hat das 2017 durch das Bundesinnenministerium erlassene Verbot der……
„Kafka in Leipzig“ weiterlesenTerrorabwehrzentrum im Einsatz gegen satirisch verfremdete Plakate
Was machen eigentlich die Sicherheitsorgane in Zeiten von rechter Gewalt? Sie widmen sich intensiv dem …..
„Terrorabwehrzentrum im Einsatz gegen satirisch verfremdete Plakate“ weiterlesenSturmabteilung 2.0
»Schafft Schutzzonen – Sicherheit durch Solidarität«, lautet das Motto einer Website, die bereits auf den ersten Blick der extremen Rechten zugeordnet werden kann. Die abgebildeten Männer und Frauen sind durch schwarz-rot-goldene Streifen überdeckt. Darunter heißt es unmissverständlich: »Eine Schutzzone ist ein Ort, an dem Deutsche Sicherheit finden können.« Dort sollten Recht und Gesetz durchgesetzt werden, »wenn eine akute Bedrohung durch Sicherheitsorgane nicht sofort beseitigt werden kann«. Schnell wird klar, dass es bei den beworbenen Schutzzonen um das geht, was in den neunziger Jahren »national befreite Zonen« hieß. Die auf der Website aufgelisteten zehn Schritte zur Schaffung einer Schutzzone lesen sich wie ….
„Sturmabteilung 2.0“ weiterlesenRechte Politik macht immer noch die Mitte
Schäuble als „Reserve-Kanzler“? Die Lobeshymen auf Schäuble bis ins linksliberale Milieu zeigen, dass erfolgreiche rechte Politik ohne die AfD gemacht wird
Die vergangene Woche gab es eine „Premiere“, zumindest wenn man den Medien Glauben schenkt. Der Bundestag hat sich konstituiert, in dem bekanntlich mit der AfD eine Fraktion rechts von der CDU/CSU eingezogen ist. Nun machten sich alle Gedanken darüber, wie man jetzt mit den rechten Neuzugängen im Parlament umgehen soll. Eigentlich eine absurde Frage.
Schließlich wurde rechte Politik seit Gründung der BRD im Bundestag immer gemacht und dazu brauchte man in der Tat in den seltensten Fällen eine Fraktion rechts von der Union. Denn in der Regel hatten das Monopol für rechte Politik die Unionsparteien, die FDP und auch der Mehrheitsflügel der SPD. Das hatte sich auch bei der Konstituierung des neuen Bundestages gezeigt.
Am gleichen Tag wurden 14 Afghanen mit einem Sonderflug nach Kabul geflogen. Es ist die siebte Sammelabschiebung nach Afghanistan seit Dezember 2016 und dass sich das Datum dieses Mal mit der Bundestagseröffnung kreuzt, war sicher keine Verbeugung vor der AfD, wie die Innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, polemisch schrieb[1].
Normalzustand rechter Politik
Es war vielmehr der Normalzustand rechter Politik, den der sächsische Innenminister und Vorsitzende der Bundesinnenministerkonferenz Markus Ulbig so auf den Punkt brachte[2]: „Wer nach einem abgeschlossenen Asylverfahren und Inanspruchnahme aller rechtsstaatlichen Mittel bei uns kein Bleiberecht hat, muss unser Land verlassen.“
Konsequente Rückführungen seien notwendig „für die Akzeptanz unserer Asylpolitik bei den Bürgern“. Damit unterschlägt der konservative Politiker, dass es eine ganze Reihe von Migranten gibt, die trotz eines abgelehnten Asylverfahrens nicht abgeschoben werden können, beispielsweise weil ihre Herkunft unklar ist oder das Herkunftsland die Rücknahme verweigert. Nur unter Außerachtlassung dieser Fakten kann sich Ulbig als Vollstrecker des „Volkswillens“ inszenieren, der hier mit „möglichst viele Ausländer raus“ interpretiert wird.
Wechselwirkung des AfD-Wahlerfolgs mit dem Rechtskurs der etablierten Parteien
Hier zeigt sich die Wechselwirkung des AfD-Wahlerfolgs mit dem Rechtskurs in den etablierten Parteien. Profitieren können davon beide Seiten. Der rechte Flügel der etablierten Parteien kann sich nun mehr in der Mitte präsentieren und immer davor warnen, dass die AfD profitiert, wenn nun nicht schneller abgeschoben wird.
Die AfD hingegen kann darauf verweisen, dass knapp 12% Wahlstimmen schon Wirkung zeigen und dass die etablierten Politiker jetzt von ihr abschreiben. Dabei muss sie keine Angst davor haben, dass ihr die Themen ausgehen. Sie wird immer noch mehr Einschnitte bei den Flüchtlingsrechten fordern und kann die Etablierten so vor sich hertreiben.
Abschiebung zur „Chefsache machen“
Auch die Bild-Zeitung beteiligt sich wie üblich an dem Spiel, wer der Populistischere im ganzen Land ist, und startet eine Unterschriftenaktion mit dem Motto Abschiebung zur Chefsache machen[3]. Deutlich wird, wie gering die Trennschärfe zwischen den Etablierten und der AfD inhaltlich ist. Dabei zielt die Bildkampagne schon auf die mögliche Koalition von Union, FDP und Grünen.
Auf letztere soll damit Druck ausgeübt werden, bloß nicht etwa auf einer humanen Flüchtlingspolitik zu beharren. „Tausende Leser unterstützen den Bild-Appell“, lobt sich das Boulevardblatt selber und zitiert Politiker von SPD und Union, die nun ebenfalls auf Bild-Linie sind. In den Leser-Statements ist es noch fast eine gemäßigte Position, dass alle vom Gastrecht ausgehen, das verwirkt, wer sich hier nicht anpasst.
Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht wurde heftig kritisiert, weil sie nach der Silvesternacht von 2015 ebenfalls vom verwirkten Gastrecht redete. Allerdings wurde wohl auch von ihren Kritikern davon ausgegangen, dass sich alle, die sich in Köln danebenbenommen haben, Flüchtlinge waren. Doch das ist ja schon mal eine Zuschreibung. Warum geht man nicht erst einmal davon aus, dass es sich um Besucher handelt, die auch Gäste genannt werde?
Dann kann man durchaus darüber diskutieren, ob bei erwiesenen sexistischen Handlungen ein temporäres Einreiseverbot eine Sanktionsmaßnahme sein kann. Menschen, die aus asylrechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, wären davon ausgenommen.
Bei der Diskussion um das Wagenknecht-Zitat ließen auch ihre Kritiker diese Differenzierung vermissen und setzten die Köln-Besucher der Silvesternacht mit Flüchtlingen gleich, was ja schon eine Projektion ist. In den Statements der Bild-Leser gibt es größtenteils diese Differenzierung ebenfalls nicht.
Da gibt es nur ein Gastrecht und das hat schon verwirkt, wer sich nicht benimmt, wie eine Leserin erklärte. Das heißt, es braucht nicht einmal mehr ein justitiables Delikt für eine Abschiebung. Und wenn von manchen argumentiert wird, durch die Abschiebungen bekomme man Platz für die, die wirklich Asyl brauchen, wird unterstellt, dass wer in Deutschland kriminell wird, nicht in einem anderen Land verfolgt wurde und wird.
Klassiker des Rechtspopulismus
Daneben finden sich in den Statements sämtliche Klassiker des Rechtspopulismus, von der elitären Politikerkaste, die nicht auf das „Volk“ hört bis zur Behauptung, dass sich in Deutschland die Menschen nachts nicht mehr auf die Straße trauen. Die Bild-Kampagne sorgt dafür, dass die Themen, die die AfD groß gemacht hat, auch nach der Wahl kampagnenfähig bleiben.
Schon im Wahlkampf hatte man bei manchen Talk-Shows den Eindruck, als gelte die Devise, die AfD fragt und die Politiker antworten. Aber die Bild-Kampagne zeigt auch, dass die AfD nicht der einzige und nicht mal der entscheidende Akteur für die rechte Politik in Deutschland ist. Bild hat da ja schon lange Erfahrung, Manche werden sich noch an die Kampagne gegen die „Pleitegriechen“ erinnern. Auch damals ließen sich Leser mit dem Statement fotografieren, wonach der deutsche Steuerzahler keinen Pfennig an Griechenland geben soll.
AfD und Schäuble – einig in harter Haltung gegenüber Griechenland
Damit bediente Bild ein Thema, das bei der Gründung der AfD eine zentrale Rolle spielte. Die wirtschaftsliberale Professorenriege, die die Wahlalternative initiierte, störte sich in erster Linie daran, dass deutsche Steuerzahler für griechische Schulden aufkommen könnten. Das war von Anfang an falsch, aber wirkungsmächtig.
Denn um der griechischen Bevölkerung klare Kante zu zeigen, brauchte es keine neue Rechtspartei. Wolfgang Schäuble hatte als Bundesfinanzminister die nötigen Instrumente, um in Griechenland eine wirtschaftliche Entwicklung, die den deutschen Eliten nicht passt, zu verhindern. Das zeigte sich nach dem Wahlsieg von Syriza und dem kurzen griechischen Frühling, wo scheinbar tatsächlich ein anderes Europa möglich schien.
Es war vor allem Schäuble, der durchsetzte, dass es nur das deutsche Modell geben könne. Ein Bündnis aus Mob und Elite bescherte Schäuble dafür kontinuierlich hohe Zustimmungswerte und das hat sich auch nach seinem Wechsel zum Am des Bundestagspräsidenten nicht geändert.
Der Reservekanzler
Was sich geändert hat, dass es scheinbar kaum noch linke Kritik an ihm gibt. Selbst Medien wie die Taz schweigen zu seiner zentralen Rolle bei dem Abwürgen des griechischen Frühlings. Von seiner politischen Geschichte als Mann der Schwarzen Kassen in der Kohl-Ära[4] will schon gar niemand mehr was wissen.
Als Mann der Schwarzen Null wurde er zum beliebtesten Politiker. Manche sehen ihn noch immer als „Reservekanzler“, wenn Merkel scheitert wie z.B. der Cicero-Gründer Weimer. Diese konservative Stimme beschreibt[5] sehr gut den Hype um Schäuble:
Als neuer Bundestagspräsident erfährt der ehemalige Finanzminister schon jetzt ungewöhnlich viel Zuspruch. Aus dem Bundestag erreichen „den großen Demokraten“ Huldigungen aus mehreren Fraktionen, im Ausland wird er als „Gigant“ (so die IWF-Chefin Christine Lagarde) gewürdigt, Leitartikel loben ihn als lebende Legende der deutschen Politik, als graue Eminenz, zu Fleisch gewordene Bundesrepublik und der ARD-Deutschlandtrend zeigt ihn als beliebtesten Politiker Deutschlands. Schäuble ist eine Art Jupp Heynckes der deutschen Politik. Je älter desto besser.
The European[6]
Doch eher in den Bereich der Schäuble-Astrologie gehören wohl diese Hoffnungen des konservativen Blattes:
Denn Schäuble verkörpert auch als Bundestagspräsident eine sichere Alternative in unruhigen Zeiten, ein immer denkbarer Ersatz für Merkel, darum wird er in der Unionsfraktion zuweilen „Vati“ gerufen, der „Mutti“ jederzeit ablösen könne – vor allem wenn die Jamaika-Regierung platzen würde. Schon jetzt raunen CDU-Abgeordnete: Sollte in dieser Legislatur ein Krisenkanzler gebraucht werden, sollte die politische Architektur der Republik auf dem Spiel stehen, dann wäre er der natürliche Achsen-Schmied der Stabilität. „Wenn Jamaika platzt, dann kann Schäuble mit der SPD eine neue Regierung formieren. Ihn würden sie als Übergangskanzler akzeptieren“, heißt es aus der Fraktion.
The European[7]
Doch einen wahren Kern könnten diese Spekulationen haben. Bei einem Abgang Merkels könnte Schäuble für den Übergang die Union wieder ohne Schnörkel nach rechts führen. Dass es dann nicht unbedingt um eine Koalition mit der SPD gehen muss, ist auch klar. Denn spätestens wenn die AfD auch im nächsten Bundestag wieder vertreten sein wird, beginnt in der Union die Debatte um ihre Einbindung.
Schon deshalb, weil es ja um Machtoptionen geht. Eine wie auch immer geartete Kooperation mit der Linken war bei der SPD nicht undenkbar, bei der Union schon. Bei der AfD ist es für die Union leichter, sie in irgendeiner Weise und sei es auch in einem Bundesland wie Sachsen mit einzubeziehen. Schäuble wäre ein Mann, der einen solchen Kurs durchsetzen könnte.
Schäuble eine Art „moderner Hindenburg“?
Dann würde auch ein etwas unvermittelter und historisch fragwürdiger Hindenburg-Vergleich in der Taz noch Sinn machen. Jenseits der historischen Realität schrieb Ambros Waibel[8]:
Wie eine Art wiederauferstandener Paul von Hindenburg, als Sieger in zahlreichen -Schlachten gegen die nach deutschen Steuergeldern gierenden Südeuropäer, würde Schäuble auch die Rüpel von der Alternative für Deutschland im Zaum halten.
Taz[9]
Nun hatte Hindenburg die Nazis nie im Zaum gehalten. Im Gegenteil stand er für eine Faschisierung der Weimarer Republik, schon bevor die Nazis zum Faktor wurden. Er wurde als Kandidat der republikfeindlichen Rechten 1925 gewählt. 1932 unterstützte ihn dann die SPD und wollte ihn als Bollwerk gegen die Nazis anpreisen. Die KPD plakatierte damals „Wer Hindenburg wählt Hitler – wer Hitler wählt, wählt den Krieg“.
Dass es dabei nicht um Prophetie, sondern um die exakte Analyse der Hindenburg-Politik handelt, zeigte sich auch daran, dass zahlreiche parteiunabhängige Linksintellektuelle wie Carl von Ossietzky zu einer ähnlichen Einschätzung kamen. Trotzdem hält sich bis in die Taz-Kommentarseite der Mythos vom Hindenburg, der die Nazis im Zaum halten wollte.
Was bei aller Vorsicht – wir leben nicht in einem 1933-Revival -, interessant an dem Vergleich Schäuble-Hindenburg sein könnte, erwähnt Ambos nicht.
Schäuble war in seiner langen politischen Karriere immer ein Mann der Rechten, aber im Rahmen der etablierten Parteien. Deshalb hat er auch seine Vorbehalte gegen die neuen rechten Emporkömmlinge von der AfD geäußert, denen er mangelnde Professionalität vorwirft.
Da trifft er sich durchaus mit Hindenburg und seiner Umgebung, denen an den Nazis vor allem störte, dass sie nicht die aristokratische Etikette hatten. Das hinderte Hindenburg nicht, Hitler zum Kanzler zu ernennen.
So könnte auch Schäuble der Mann sein, der die Brücken zwischen Union und AfD baut, wenn sich zeigt, dass die Partei keine politische Eintagsfliege im Parlament bleibt. Zurzeit wird rechte Politik aber noch ohne die AfD gemacht und die Lobeshymen auf Schäuble bis ins linksliberale Milieu zeigen, dass es die erfolgreichere Variante ist.
Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.ulla-jelpke.de/2017/10/flugshow-fuer-wutbuerger/
[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/proteste-in-leipzig-14-afghanische-fluechtlinge-abgeschoben/20499096.html
[3] http://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/bild-petition-merkel-sollabschiebung-zur-chefsache-machen-53581188.bild.html
[4] http://www.focus.de/politik/deutschland/finanzminister-spricht-in-ard-es-gibt-keine-spender-ein-satz-mit-dem-schaeubles-trauma-wieder-aufbricht_id_4898881.html
[5] http://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/13005-deutschlands-beliebtester-politiker
[6] http://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/13005-deutschlands-beliebtester-politiker
[7] http://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/13005-deutschlands-beliebtester-politiker
[8] http://www.taz.de/!5455962/
[9] http://www.taz.de/!5455962
Erdogan-Bashing als Teil des deutschen Wahlkampfs
Nach den Wahlen wird es wieder um die ökonomischen und geopolitischen Interessen zwischen den Eliten beider Länder gehen
„Wir sind sicher, dass wir sie nicht verlieren werden“, beteuerte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel[1] und meinte die in Deutschland lebenden Menschen mit biografischem Hintergrund in der Türkei. Ihnen hat er in einem Offenen Brief, in zweisprachiger Form von der Bild-Zeitung veröffentlicht, die neue harte Haltung der Bundesregierung zur Türkei zu erklären versucht. Die Angst, diese Menschen zu verlieren, ist durchaus mehrdeutig. Wie die Ergebnisse des Referendums zum autoritären Staatsumbau in der Türkei zeigen, findet der Erdogan-Kurs dort durchaus Zustimmung.
Das liegt auch daran, dass nicht zuletzt die NSU-Morde und die Reaktion von Justiz und Öffentlichkeit darauf zeigten, dass auch viele Menschen, die sich jetzt als in Deutschland angekommen wähnten, die Erfahrung machten, dass sie immer noch als Fremde behandelt wurden. Man braucht nur die beeindruckenden NSU-Monologe[2] anhören, in denen die Angehörigen von NSU-Opfern zu Wort kommen, um zu begreifen, dass für manche türkischen Migranten die Option für den aktuellen Kurs in ihrem Land auch etwas mit ihrer Behandlung in Deutschland zu tun hat.
So betonen die Angehörigen, dass sie froh waren, ihren vom NSU ermordeten Angehörigen in der Türkei beerdigen zu können, wo sie zumindest die Totenruhe gewahrt hoffen. Diese Menschen hat Deutschland schon längst verloren, denn sie haben eben festgestellt, dass die Deutschland-Marke „tolerantes, weltoffenes Land“ mit der Realität, die sie erlebten, wenig zu tun hatte. Sie werden auch nicht durch einen Brief vom Bundesaußenminister den Glauben an die Demokratie Marke Deutschland wieder gewinnen.
Die deutsche Selbstachtung und der Wahlkampf
Zudem ist den Empfängern des Briefes bewusst, dass der Bundestagswahlkampf in Deutschland begonnen hat und die harte Haltung gegen die Türkei ein Teil dieses Wahlkampfes ist. Der holländische Ministerpräsident Rutte hat es vor einigen Monaten vorgemacht. Mit Auftritten von türkischen Regierungsmitgliedern in der Endphase der holländischen Parlamentswahlen bekam er Zustimmung[3]. Wenn nun Gabriel die Menschen aus der Türkei nicht verlieren will, denkt er auch daran, dass genau unter ihnen viele die SPD gewählt haben.
Die Union war ihnen zu christlich, die Grünen zu westlich und modern und so blieb die SPD für sie als kleineres Übel. Nun versucht Gabriel zu verhindern, dass er auch diese Wähler noch verliert. Unterstützung bekommt er von seinen Vorgänger Steinmeier, der seine präsidiale Neutralität aufgab und Gabriels Kurs gegenüber der Türkei verteidigte[4]. Dabei ist Steinmeier sehr ehrlich, wenn er den harten Kurs gegen die Erdogan-Türkei als einen Akt „der deutschen Selbstachtung“ bezeichnet.
Damit bedient er ein nationalistisches Motiv und das dürfte sich in den nächsten Wochen bis zur Wahl fortsetzen. Denn jetzt wird es darum gehen, welche Partei von dem deutschen Erdogan-Bashing profitiert, an dem sich eine ganz große Koalition beteiligt. Die Linke moniert seit Monaten, Erdogan verletze die Souveränität Deutschlands. Nun erfüllt die Bundesregierung deren Forderungen und verschärft den Kurs gegen die Türkei und die Linke kann jetzt nur konstatieren, das käme zu spät und wäre nicht konsequent genug[5].
Verfolgung türkischer Oppositioneller in deutscher Souveränität
Immerhin erinnert die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, an die türkischen Oppositionellen, die die deutsche Justiz und Politik in eigener Souveränität verfolgen lässt. Dazu gehören die Auftrittsverbote und Schikanen[6] gegen die linke türkische Band Grup Yorum in Deutschland. Die Antwort[7] der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Jelpke zu diesen Auftrittsverboten und Schikanen gegen die Band[8] zeigt sehr deutlich, wie gut hier auch die deutsch-türkische Kooperation weiterhin funktioniert.
So heißt es in der Vorbemerkung der Bundesregierung: „Neben regelmäßigen Konzerten haben Mitglieder von Grup Yorum sich immer wieder auch an Massenaktionen, Demonstrationen, Streiks, Fabrik- und Universitätsbesetzungen in der Türkei beteiligt und wurden wiederholt festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt“ – so dient die Tatsache, dass sich die Band seit vielen Jahren auch als an Protesten in der Türkei beteiligt, nicht als Ausweis demokratischer Gesinnung gegen ein autoritäres System, sondern wird als Beleg für ihre Verfolgung auch in Deutschland herangezogen.
Akribisch werden Textstellen aus dem großen Repertoire politischer Lieder analysiert, um die behauptete Nähe zur verbotenen linken Gruppe zu belegen. So sei die Zeile „Unsere Herzen schlagen für den gelben Stern, die Fahne der Hoffnung“ eine indirekte Solidaritätserklärung mit der linken Organisation DHKP-C, deren Organisationsemblem einen gelben Stern zeigt. Dass die CDs der Band in der Türkei frei verkäuflich sind und ihre Konzerte ein Treffpunkt für gesamte Linke des Landes sind, wird in der Antwort auf die Kleine Anfrage als Beleg für die erfolgreichen „propagandistischen Maßnahmen der DHKP-C“ bewertet.
Über die Verfolgungen, Inhaftierungen und auch Folterungen von Grup-Yorum-Mitgliedern, über die es im Internet zahlreiche Beispiele gibt, liegen der Bundesregierung hingegen keine Informationen vor. Auf die Frage, ob deutsche und türkische Behörden Informationen über die Band ausgetauscht hatten, bestätigt die Bundesregierung „anlassbezogene bilaterale Gespräche“. Es spricht dafür, dass diese auch weiter geführt werden, wenn die offiziellen Beziehungen zwischen den Regierungen beider Länder eingefroren werden.
Schon wird gegen die Band ermittelt, weil sie in Fulda einen Song gespielt haben soll, der die die DHKP-C feiert. Das Konzert konnte in Fulda konnte nur mit zivilgesellschaftlicher Aktivität als Kundgebung[9] durchgesetzt werden. Eintritt durfte nicht erhoben werden, auch Spendensammlungen für die Band und der Verkauf ihrer CD waren verboten[10].
Nun sitzen die Organisatoren auf einer Schuldenlast. Die Organisatoren des Rechtsrockkonzert vor einer Woche im thüringischen Themar nicht vor einer Woche dagegen nicht[11]. Ihnen war gerichtlich ausdrücklich bescheinigt wurden, dass sie Eintritt verlangen können und weiterhin unter dem Schutz der Grundrechte stehen.
Auch die Verfolgung von angeblichen Funktionären der Kurdischen Arbeiter-Partei (PKK) gehen in Deutschland unabhängig von der deutsch-türkischen Eiszeit weiter[12]. Eben so der Münchener Prozess gegen 10 türkische Kommunisten, die schon viele Jahre in Deutschland lebten[13]. Ohne die deutsch-türkische Justizkooperation wäre er nicht möglich, worauf die Verteidigung wiederholt hingewiesen hat[14].
Nach der Wahl wird Erdogan wieder Partner
Bis zur Bundestagswahl dürfte sich die Polemik zwischen der deutschen und der türkischen Regierung verschärfen. Danach wird wieder Normalität zelebriert. Schon gibt es erste Stimmen, die warnen, man dürfe die Türkei nicht in Richtung Putin drängen. In der Nato wird der momentane Konfrontationskurs Deutschlands gegen die Türkei sehr kritisch gesehen und innerhalb der EU ist neben Deutschland vor allem Österreich ein Verfechter einer harten Haltung gegen die Türkei[15].
Auch Außenminister Kurz, der eine härtere Haltung propagiert[16], befindet sich im Wahlkampf und will vor allem der rechtspopulistischen FPÖ Stimmen abnehmen. Der Mythos von den Türken, die vor Wien stehen, kann dort noch einfacher als in Deutschland bedient werden.
Natürlich wird die Perspektive der deutsch-türkischen Beziehungen auch davon abhängen, ob noch mehr deutsche Staatsbürger als Erdogan-Gegner verhaftet werden. Aber auch da gab es Präzedenzfälle in anderen EU-Ländern, ohne dass sich die Bundesregierung besonders für die Opfer der Repression eingesetzt hat. So gab es nach den G8-Protesten von Genua eine massive Verhaftungswelle.
Betroffen waren Vertreter der Zivilgesellschaft auch aus Deutschland und Österreich. Darunter waren Journalisten, Künstler, Gewerkschafter, Jugendliche. Sie wurden teilweise über Wochen in Haft gehalten und auch gefoltert[17].
Zu Konsequenzen im deutsch-italienischen Verhältnis führte das nicht. Und selbst eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei muss nicht das Ende der deutsch-türkischen Beziehungen bedeuten. Das zeigt sich am Umgang mit dem autoritären Lukaschenko-Regime in Belorussland innerhalb der EU.
Zeitweise war Belorussland der Inbegriff der Diktatur in Europa, nach der Ukrainekrise könnte sich das Regime als Vermittler zwischen Russland und der EU anbieten. Sanktionen wurden gelockert[18] und mittlerweile ist es wieder ein geopolitischer Player.
Die Todesstrafe wurde bisher ebenso wenig abgeschafft wie die Repression gegen Oppositionelle. Das macht nur einmal mehr deutlich, bei den Beziehungen zwischen den Ländern geht es nicht um Moral und die vielstrapazierten Werte sondern um ökonomische und geopolitische Interessen. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland.
https://www.heise.de/tp/features/Erdogan-Bashing-als-Teil-des-deutschen-Wahlkampfs-3780850.html
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Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] https://sigmar-gabriel.de
[2] https://heimathafen-neukoelln.de/spielplan?url=DieNSUMonologe
[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-06/recep-tayyip-erdogan-auftrittsverbot-g20-gipfel-bundesregierung
[4] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/bundespraesident-frank-walter-steinmeier-kritik-tuerkei-recep-tayyip-erdogan
[5] https://www.sevimdagdelen.de/theaterdonner-wird-erdogan-nicht-stoppen/
[6] http://www.ulla-jelpke.de/2017/07/auftrittsverbote-fuer-grup-yorum-als-geschenk-an-erdogan/
[7] http://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2017/07/KA-18_12917_Grup_Yorum.pdf
[8] https://www.heise.de/tp/features/Grup-Yorum-Verbote-Schikanen-finanzielle-Verluste-3744759.html
[9] http://osthessen-news.de/n11562313/kundgebung-mit-grup-yorum-9-bands-und-kulturprogramm-keine-zwischenfalle.html
[10] https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA170604370&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
[11] http://www.mdr.de/thueringen/sued-thueringen/themar-rechtsrock-konzert-100.html
[12] http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.oberlandesgericht-stuttgart-urteil-in-pkk-prozess-pkk-funktionaer-als-terrorist-verurteilt.e78c646c-9275-4a62-9dd3-9b37548c02f3.html
[13] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/
[14] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/23-01-2017-beweise-aus-folter-und-spionage/
[15] http://www.deutschlandfunk.de/streit-mit-der-tuerkei-swoboda-spoe-warnt-vor-streichung.1939.de.html?drn:news_id=771161
[16] http://derstandard.at/2000061663851/Kurz-fordert-von-EU-mehr-Entschlossenheit-bei-Tuerkei
[17] https://www.azzellini.net/artikel/massive-repression-entsprach-geplanter-politischer-strategie
[18] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-02/sanktionen-gegen-alexander-lukaschenko-weissrussland-aufhebung-europaeische-union
Ein linkes »Sicherheitsrisiko« auf der Konzertbühne
Sicherheitsbehörden behindern Auftritte der türkischen Band Grup Yorum in Deutschland
»Neben regelmäßigen Konzerten haben Mitglieder von Grup Yorum sich immer wieder auch an Massenaktionen, Demonstrationen, Streiks, Fabrik- und Universitätsbesetzungen in der Türkei beteiligt und wurden wiederholt festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt.« So steht es in einer Vorbemerkung zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Ulla Jelpke. Sie wollte wissen, warum die Auftritte der Band auch in Deutschland massiv behindert werden. Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass die Band weiter auch in Deutschland mit Verfolgung rechnen muss, weil sie als Sicherheitsrisiko angesehn wird. So dient die Tatsache, dass sich Bandmitglieder seit vielen Jahren an Protesten in der Türkei beteiligen, nicht als Ausweis demokratischer Gesinnung gegen ein autoritäres System, sondern als Grund für ihre Verfolgung.
In der Erklärung wird auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart aus dem Jahr 2015 verwiesen, das von engen Verbindungen zwischen Musikern von Grup Yorum und der in Deutschland und der Türkei verbotenen marxistischen DHKP-C ausgeht. Diese Einschätzung hat es ermöglicht, türkische Linke, die sich in Deutschland an der Organisierung von Konzerten beteiligen, der Unterstützung einer terroristischen Organisierung anzuklagen und zu Haftstrafen zu verurteilen. Akribisch werden Textstellen aus dem großen Repertoire politischer Lieder analysiert, um die behauptete Nähe zur verbotenen linken Gruppe zu belegen.
Dass die CDs der Band in der Türkei frei verkäuflich sind und ihre Konzerte ein Treffpunkt für die gesamte Linke des Landes sind, wird in der Antwort auf die Kleine Anfrage als Beleg für die erfolgreichen »propagandistischen Maßnahmen der DHKP-C« bewertet. Über die belegten Inhaftierungen und Folterungen von Grup-Yorum-Mitgliedern liegen der Bundesregierung hingegen keine Informationen vor. Auf die Frage, ob deutsche und türkische Behörden Informationen über die Band ausgetauscht hatten, bestätigt sie »anlassbezogene bilaterale Gespräche«.
Grup-Yorum-Konzerte gegen Rassismus und Neofaschismus sind ein solcher Anlass. So wurde ein Rundschreiben des Bundesinnenministeriums bestätigt, wonach Auftritte der Band verhindert werden sollen. Am 17. Juni konnte Grup Yorum in Fulda nur unter der Auflage auftreten, dass weder Eintritt verlangt wird noch CDs oder T-Shirts der Band verkauft werden. Das Fuldaer Ordnungsamt lobte den störungsfreien Auftritt. Dennoch ermittelt die Justiz wegen Liedtexten und des Zeigens von verbotenen Organisationssymbolen. Beim Thüringer Rechtsrockkonzert am vorletzten Wochenende indes wurde den Organisatoren gerichtlich ausdrücklich erlaubt, Eintritt zu verlangen. »Offenbar wird hier mit zweierlei Maß gegenüber Neonazis und Linken gemessen«, kritisiert Ulla Jelpke.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1058447.ein-linkes-sicherheitsrisiko-auf-der-konzertbuehne.html
Peter Nowak