Ein Suizid in der JVA Bruchsal sorgt kaum für Diskussionen. Das Leben der Strafgefangenen ist derzeit schweren Einschränkungen unterworfen

Gefangene in Zeiten von Corona

"Ich habe meinen Mann das letzte Mal Ende Januar besuchen können. Seitdem hatten wir keinen Kontakt mehr", berichtet Manuela Schulze, deren Ehemann in der JVA Untermaßfeld in Thüringen inhaftiert ist. Sie hat sich mit weiteren Frauen zusammengeschlossen, die ihre inhaftierten Partner nicht besuchen dürfen. Sie haben an verschiedenen Behörden geschrieben und sie gefragt, wie das Abstandsgebot von mindestens eineinhalb Metern in einem Gefängnis eingehalten werden soll.

Die Ausgangsbeschränkungen im Zeichen der Corona-Krise werden halb ironisch auch schon mal Wohnhaft genannt. Die Menschen, die tatsächlich inhaftiert sind, sind in besonderer Weise von den Notmaßnahmen betroffen, auch wenn es in Baden-Württemberg noch keine Ansteckungen von Gefangenen gibt. Zu den einschneidenden Konsequenzen gehörten die …

….. Verbote von Besuchen. Sie sind für viele Gefängnisinsassen die einzige Gelegenheit, ihren Freunden, ihrem Partner und Kindern und Angehörigen nahe zu sein. Gefängnispsychologen haben schon in der Vergangenheit berichtet, dass Häftlinge wegen abgesagten oder ausgefallenen Besuchen in psychische Krisen geraten können. Daher stellte sich sofort die Frage, ob der 25 Jahre alte Häftling, der am 17. März in einer Einzelzelle der Justizvollzugsanstalt Bruchsal tot aufgefunden wurde, ein erstes Opfer der Corona-Einschränkungen ist.

In einer gemeinsamen Pressemitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizeipräsidium Karlsruhe wird von einem Suizid ausgegangen. Der Inhaftierte habe in der JVA Bruchsal unter anderem wegen versuchten Totschlags seit Juli 2018 eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt und wäre voraussichtlich im Frühjahr 2022 entlassen worden. Dem Mann sei am Montag mitgeteilt worden, dass wegen der Corona-Pandemie ein für Dienstag anstehender Besuch seiner Freundin nicht stattfinden kann. „Ob das Motiv für die mutmaßliche Selbsttötung hierin liegt, konnte jedoch nicht aufgeklärt werden“, heißt es in der Pressemitteilung.

Der Leiter der JVA Bruchsal Thomas Weber wollte gegenüber der Bruchsaler Rundschau allerdings keinen Zusammenhang zwischen dem Besuchsverbot und dem Suizid ziehen. Dort bestätigte er allerdings, dass der Gefangene wenige Stunden vor seinem Freitod vom Besuchsverbot erfahren hat. Der Häftling sei zwar über das Verbot verärgert gewesen, sagte Weber, doch er habe die Möglichkeit bekommen, mit seiner Lebenspartnerin zu sprechen. Zudem weist Weber darauf hin, dass das Paar vereinbart habe, bis auf weiteres telefonisch und per Brief in Verbindung zu bleiben und dass der Häftling bereits in der Vergangenheit Besuch von seiner Freundin bekommen habe. Das bestätigt auch Ralf Minet vom Präsidium der Karlsruher Kriminalpolizei gegenüber Kontext und korrigierte die eigene Pressemitteilung, in der von einem ausgefallenen Erstbesuch die Rede war.

Motiv von Suizid wird wohl offen bleiben

„Zum Motiv für den Suizid können wir auch nach den weiteren kriminalpolizeilichen Ermittlungen keine Aussage treffen, da sich ein solches nicht verifizieren ließ“, erklärt Minet gegenüber Telepolis. Auch der Bruchsaler JVA-Leiter Thomas Weber erklärt auf Nachfrage: „Neue Erkenntnisse zu den Motiven des Suizids, der sich am 17.03. 2020 in unserer Anstalt ereignete, gibt es nicht und solche werden vermutlich auch nicht mehr zu gewinnen sein.“ Der Gefangene habe bis zuletzt in engem Austausch mit verschiedenen Bediensteten seines Stockwerks und Mitarbeitern des Psychologischen und des Sozialdienstes gestanden und habe auch regelmäßig am schulischen Bildungsangebot der Anstalt teilgenommen. „Insofern deutete nichts darauf hin, dass er sich offensichtlich in einer solch existentiellen Krise befand“, betonte Weber.

Aus Sicht eines Gefängnisinsassen berichtet Thomas Mayer-Falk über den Knastalltag in Zeiten von Corona. Nach mehreren Gefängnisaufenthalten steht er in der JVA Freiburg unter Sicherheitsverwahrung. Regelmäßig veröffentlicht er Artikel über die Lage im Gefängnis, die von Unterstützer auf der Homepage Freedom for Thomas veröffentlicht werden.

Er betont, dass nicht die Gefängnisinsassen, sondern die Geflüchteten an der türkisch-griechischen Grenze am härtesten von den Auswirkungen der Corina-Krise betroffen seien. Allerdings benennt Mayer-Falk auch Einschnitte im Gefängnisalltag, wie die Besuchsverbote, die verringerten Zellenaufschlüsse und den zeitlich gekürzten Hofgang. Die Auswirkungen sind bei jeden Gefangenen unterschiedlich.

Finanzielle Erleichterung nicht für alle Gefangenen

Thomas Meyer-Falk spricht auch die finanziellen Belastungen an, mit der viele Gefangene durch die coronabedingte Aussetzung der Gefängnisarbeit zu kämpfen haben. Der Gefängnis-Chronist weist daraufhin, dass von einem Erlass des baden-württembergischen Justizministeriums, nach dem sich Straf – und Untersuchungsgefangene für den Einkauf monatlich zusätzlich 36 Euro, im Bereich Sicherungsverwahrung 48 Euro, zusätzlich überweisen lassen können, lediglich den Häftlingen zugutekommt, die auf eine entsprechende Unterstützung von Familie oder Freunde zurückgreifen können.

Gefangene, die diese Möglichkeiten nicht haben, können den Betrag von ihrem Überbrückungsgeld abbuchen lassen. Das ist die Summe, die Insassen durch Arbeit für die Zeit nach der Haftentlassung durch Lohnarbeit hinter Gittern ansparen müssen. Gefangene mit Schulden, gegen die es Pfändungsbeschlüsse gibt, wird die Nutzung des Übergangsgeldes als Notreserve verweigert. „So läuft am Ende die scheinbar so großzügige Geste für einen Großteil der gefangenen Menschen ins Leere“, resümiert Meyer-Falk.

Eine weitere Erleichterung für die Häftlinge in Baden-Württemberg besteht im Verzicht auf die Erhebung der Stromkosten für Elektrogeräte, was für die Betroffenen eine monatliche Entlastung von 10 Euro bedeuten kann. Auch die Kosten für den TV-Empfang, ca. 5 Euro im Monat, und für den Mietfernseher werden vorerst ausgesetzt.

Antritt von Kurz-Haftstrafen vorerst verschoben

Die Stellvertretende Pressesprecherin des Baden-Württembergischen Ministeriums für Justiz und Europa Anna Härle betonte auf Nachfrage von Telepolis, dass es bisher keinen Verdachtsfall auf Corvid-19 bei den Insassen der Justizvollzugsanstalten in dem Bundesland gibt. Allerdings seien bei den Bediensteten einige Infektionsfälle aufgetreten.

Härle verweist darauf, dass die Justizvollzugsanstalten von Baden-Württemberg sehr unterschiedlich von den Corona-Auswirkungen betroffen sind. Teilweise mussten Arbeitsbetriebe bereits geschlossen werden, teilweise wegen Personalausfällen, teilweise auch wegen zurückgehender Auftragslage. Beim Sportangebot versuchen Anstalten das Angebot von Kontaktsportarten wie Fußball auf Sportarten wie Tischtennis zu verlagern, bei denen Abstand gewahrt werden kann.

„Eine Reduktion des Freizeitangebots ergibt sich auch aus dem Zutrittsverbot für in diesem Bereich tätige ehrenamtlichen Mitarbeiter“, betont die Pressesprecherin. Sie dürfen ebenso wie anstaltsfremde Personen die Anstalten nur betreten, wenn es zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs, zur Versorgung der Anstalt und für eine sachgerechte Verteidigung der Gefangenen absolut notwendig ist. 

„Für zusätzliche psychologische Angebote bestehen in einer Zeit hoher Personalausfälle zusätzliche Kapazitäten leider nicht zur Verfügung“, betont Härle. Sie verwies auf Maßnahmen, mit denen die Zahl der Gefängnisinsassen in Baden-Württemberg verringert werden soll. So wurde die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen und Erzwingungshaft für drei Monate aufgeschoben. 

Zudem wird zum 15. Juni 2020 bei allen Gefangenen, die ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen, die weitere Vollstreckung auf Antrag der Justizvollzugsanstalten unterbrochen, wenn dem keine „Gründe der öffentlichen Sicherheit“ entgegenstehen. „Unterbrechungen von kurzen Freiheitsstrafen gibt es bislang nicht“, erklärt Härle. Sie betont, dass die Verschiebungen keine Amnestie bedeuten: „Die Vollstreckung ist lediglich aufgrund der durch die Verbreitung des Virus bislang in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Sondersituation für einige Zeit verschoben.“

Knast im Knast – am Beispiel Untermaßfeld

So wie in Baden-Württemberg sind jetzt in ganz Deutschland Insassen von Gefängnissen besonders harten Bedingungen ausgeliefert. Besonders dort, wo wie in Gefängnissen in Hamburg und Schleswig-Holstein oder aktuell in der JVA Untermaßfeld in Thüringen Coronaverdachtsfälle aufgetreten sind.

Die 2014 von Häftlingen gegründete Gefangengewerkschaft/bundesweite Organisation GGBO ist in diesen Tagen für viele Betroffene eine wichtige Brücke zwischen Drinnen und Draußen. So informiert die Jenaer Soligruppe der Gefangenengewerkschaft regelmäßig über die Situation in der JVA Untermaßfeld. Dort sind die Gefangenen total isoliert, nachdem ein Gefängnisarzt zum Coronaverdachtsfall wurde.

Laut Anrufen eines inhaftierten Gewerkschafters sei der Dauereinschluss seit gestern nicht aufgehoben worden. Es habe seitdem keine Freistunde, also Hofgang, stattgefunden; die Inhaftierten können nicht duschen gehen und auch kein heißes Wasser kochen. Sie können nur in ihren Zellen sitzen. Wie lange dieser Zustand anhalten soll und welche Maßnahmen die Anstalt umsetzen will, um den Infektionsschutz zu gewährleisten, aber auch die Gefangenenrechte zu respektieren, darüber wurden die Gefangenen nicht informiert.

GG/BO

Soligruppe der Gefangenengewerkschaft Jena

„Es werden die vom RKI empfohlenen und die vom Gesundheitsamt angeordneten Maßnahmen umgesetzt. Dies betrifft vor allem Abstands- und Hygieneregeln. Zwei Gefangene befinden sich in Quarantäne“, bestätigte der Pressesprecher der Pressesprecher des Justizministerium von Thüringen Oliver Will auf Nachfragen. Allerdings würden Tests nur bei den Verdachtspersonen gemacht.

Die Insassen der JVA Untermaßfeld fordern hingegen einen Test für alle Inhaftierten, weil natürlich die Verunsicherung wegen möglicher Ansteckungen groß ist. Zudem gibt es auch viele, die wegen Vorerkrankungen etc. zu den Risikopersonen gehören, die bei einer möglichen Erkrankung besonders gefährdet sind. Die Besuchsverbote sind dann noch eine weitere Verschärfung.

Frauen von Gefangenen organisieren sich gegen Besuchsverbote

„Diese Maßnahmen bieten keinen wirksamen Schutz vor Corona-Infektionen, sondern führen nur zu noch mehr Isolation und psychologischer Zerrüttung unter den ohnehin vom gesellschaftlichen Leben abgeschnittenen Gefangenen“, begründet Behrends von der Soligruppe Jena die Forderungen. Unter Verweis auf Berlin fordert er auch in Thüringen in der Corona-Krise die Entlassung von Häftlingen mit geringen Strafen.

Dafür kämpft auch Manuela Schulze. „Ich habe meinen Mann das letzte Mal Ende Januar besuchen können. Seitdem hatten wir keinen Kontakt mehr“, berichtet die Frau, deren Ehemann in der JVA Untermaßfeld in Thüringen inhaftiert ist. Sie hat sich mit weiteren Frauen zusammengeschlossen, die ihre inhaftierten Partner nicht besuchen dürfen. Sie haben an verschiedenen Behörden geschrieben und sie gefragt, wie das Abstandsgebot von mindestens eineinhalb Metern in einem Gefängnis eingehalten werden soll.

„Wir haben Angst um unsere Männer“, schrieben die Frauen. Antwort haben sie bislang nicht bekommen. Manuela Schulze wollte einen neuen Besuchstermin am 21. April beantragen, bevor die Isolation durch den Coronaverdachtsfall in der JVA noch ausgeweitet wurde. Gemeinsam mit der GG/BO-Soligruppe und Nichtregierungsorganisationen fordert Schulze die Freilassung der Gefangenen bis zum Ende der Corona-Krise.

„Ich kämpfe für die Rechte aller Gefangenen“, betont Manuela Schulze noch. Genau das ist in dieser Gesellschaft noch immer nicht bei allen angekommen, dass Menschen, die eine Freiheitsstrafe verbüßen, weiterhin im Besitz der Menschenrechte sind. Die werden für sie gerade unter den Einschränkungen des Corona-Notstands besonders beschnitten. Darauf hat die Soligruppe der Gefangenengewerkschaft in einem Brief an Thüringens Justizminister Adam noch einmal hingewiesen. (Peter Nowak)