Es wäre wirklich langweilig, wenn man den Grünen zu ihrem 40ten Geburtstag noch einmal vorhalten wollte, wie staatstragend sie geworden sind. Denn dass die Grünen heute die entscheidenden Player in der aktuellen Phase des Kapitalismus sind, ist ja gerade die aktuelle Werbung für diese Partei. Es wäre nun wirklich mehr als redundant, das noch irgendwie als linken Vorwurf zu verkaufen. „Wir wollen die nächste Regierung definieren“, ist heute der Anspruch des aktuellen Duos der Ökopartei Habeck/Bärbock, den sie im dreiseitigen Taz-Interview anlässlich des 40. Geburtstag ganz selbstverständlich vortragen. Es geht in dem Interview sehr viel über die persönliche Chemie zwischen dem aktuellen Vorstand und natürlich auch um die Frage, wer von beiden vielleicht Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat wird. Das kann die Lieblingspartei des modernen Mittelstands in den nächsten Monaten unter sich ausdiskutieren. Doch viel interessanter sind die Geschichtsretuschen, die….
…. vorgenommen werden.
Jutta Ditfurth kommt in der heutigen Erzählung der Grünen nicht mehr vor
Die linke Geschichte der Grünen wird nicht mehr angegriffen und bekämpft, sondern sie wird einfach totgeschwiegen. Zur linken Geschichte der Grünen gehört die Radikalökologin Jutta Ditfurth, die in Frankfurt/Main die Grünen zu einer Zeit gegründet hat, als sich die Ex-Spontis um Fischer und Cohn-Bendit noch überlegten, ob sie in die neue Partei eintreten sollen oder nicht. Ditfurth war in den 1980er Jahren als Grüne wesentlich bekannter als Fischer und Co.
Von 1982 bis 1988 war sie Teil des Parteivorstands, wurde sogar oft als Generalsekretärin der Grünen bezeichnet. Ihr Wortgefecht mit dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß 1987 im Fernsehen kann man noch heute auf (in einem kurzen Ausschnitt) auf YouTube sehen. Ditfurth hat schon in den 1980er Jahren, als sich abzeichnete, dass Fischer und Co. mit Unterstützung der liberalen Medien mehr Einfluss in der Partei bekommen würden, vor einer grünen Öko-FDP gewarnt.
Das wurde von einem Teil der grünen Basis damals als Beleidigung und Diffamierung aufgefasst. Heute würde es bei fast allen Grünen als Kompliment durchgehen. Nur auffallend ist, dass heute der Name Jutta Ditfurth nicht mehr vorkommt, wenn über die Geschichte der Partei geredet wird. Ein Beispiel ist das schon erwähnte lange Interview mit dem aktuellen Führungsduo der Grünen in der Taz. Nun könnte man denken, es ist nicht verwunderlich, dass die heutigen Grünen nichts mehr mit einer linken Mitbegründerin zu tun haben wollen, die bereits vor 30 Jahren in kritischer Weise den Weg beschrieben hat, den die Grünen heute ganz selbstverständlich weitergehen.
Doch, wie hier die Geschichte der Partei retuschiert wird, kann an dieser Passage gut verdeutlich werden:
taz am wochenende: Frau Baerbock, die Grünen werden 40 Jahre alt. Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Winfried Kretschmann. So richtig mächtig waren in der Geschichte der Partei vor allem Männer. Werden Sie die erste Frau bei den Grünen mit wirklicher Macht?
Baerbock: Sie haben vergessen: Petra Kelly. Claudia Roth. Renate Künast. Katrin Göring-Eckardt. So einseitig war die Geschichte der Grünen nicht.
taz: Wir reden von Regierungsmacht. Die hatte Renate Künast, aber weder Petra Kelly noch Claudia Roth oder Katrin Göring-Eckardt.
Baerbock: Petra Kelly war die entscheidende Gründungsfigur unserer Partei. Und Katharina Fegebank in Hamburg könnte bald die zweite grüne Ministerpräsidentin werden.
Taz-Interview
Habeck: Die Gesellschaft schaut eher auf die Männer. Das zu brechen war immer der Anspruch der Grüne.
… auch dann nicht, wenn es um die Frauenquote geht
Hier gehen die Interviewpartner in der Geschichte der Grünen durchaus bis in die Anfänge zurück, erwähnen auch Petra Kelly; nur Jutta Ditfurth darf selbst dann nicht erwähnt werden, wenn es um Frauen in wichtigen Positionen der Partei geht. Man verschlechtert also lieber die Frauenquote der Grünen der Geschichte, als auch nur einmal die linke Ökologin zu erwähnen. Denn, dass Jutta Ditfurth in die Reihe der selbstbewussten Frauen bei den Grünen gehörte, mit denen nicht nur ein Josef Fischer seine Probleme hatte, würde wohl niemand bestreiten.
Auch Lukas Beckmann hatte schon in den 1980er Jahren seine Probleme mit Ditfurth, als er als Realovertreter mit ihr im Vorstand der Partei sitzen musste. Beckmann, der heute auch als Gründungsvater der Grünen bezeichnet wird, bekam in der konservativen FAZ eine Würdigung, in der ihm nachträglich bescheinigt wird, dass er schon in den 1980er Jahren die Grünen so staatsnah wünschte, wie sie es nun sind:
Zum Begriff der Anti-Parteien-Partei hatte er wohl ein instrumentelles Verhältnis. Einer der ersten Grünen war er, der vom Prinzip der „Rotation“, dem Auswechseln der Abgeordneten zur Hälfte einer Wahlperiode, Abstand nehmen wollte. Die Fundamentalisten und Ökosozialisten waren gegen ihn. Im Vorstand mit Jutta Ditfurth und Rainer Trampert war er isoliert. Am Ende setzte sich Beckmanns Linie durch.
FAZ
Beckmann war somit ein direkter politischer Kontrahent von Ditfurth. Kürzlich wurde er in der Taz mit seiner in der Jugendklimabewegung aktiven Tochter porträtiert, und auch dort kommt seine linke Kontrahentin der 1980er Jahre gar nicht mehr vor.
Wenn du über die Gründungszeiten der Grünen sprichst, kommen fast nur Männer vor – außer Petra Kelly. Woran liegt das?
Lukas Beckmann: Einzelne Frauen wie Petra Kelly, Helga Vohwinkel, Gerda Degen und Eva Quistorp haben in den Gründungsjahren eine sehr wichtige Rolle gespielt. Petra Kelly war eine Ausnahmepersönlichkeit, die zentrale grüne Symbolfigur der Gründerjahre. Aber strukturell waren die Grünen zunächst sehr männlich.
Die Frage der Gleichberechtigung war zwar auch am Anfang ein wichtiges Thema, aber die 50-Prozent-Mindestquote für Frauen kam erst ein paar Jahre später. Weil wir sie brauchten, nicht, weil alle sie damals wollten.
Aus einem Gespräch mit Lukas Beckmann und seiner Tochter Jolinde Hüchtker in der Taz
Nun muss man wissen, dass für Beckmann die Erinnerung an Petra Kelly ein besonderes Anliegen ist. Aber schon in der Frage ist die Geschichtsklitterung enthalten. Dass in den Gründungszeiten fast nur Männer außer Petra Kelly vorkommen, ist nur möglich, weil eben beispielsweise Jutta Ditfurth und auch noch andere Frauen, die sich nicht der Gang um Fischer und Cohn-Bendit unterordneten, einfach aus der Geschichte verschwunden sind.
Und auch ein Lukas Beckmann hat nicht die Größe, im Nachhinein der Wahrheit den Vorzug zu geben und die ehemaligen parteiinternen Kontrahentinnen auch nur zu erwähnen.
Mit Ditfurth können die Grünen heute keinen Staat machen
Für die Grünen von heute haben diese Geschichtsretuschen den Vorteil, dass eine jüngere Generation gar nicht mehr auf Anhieb mitbekommt, dass in der Ökopartei auch mal Personen in den Vorstand kommen konnten, die sich ganz klar gegen Staat, Nation und Kapital ausgesprochen hatten.
Nun sind solche Geschichtsretuschen wahrlich keine grüne Erfindung. Von der stalinisierten Kommunistischen Partei der Sowjetunion ist bekannt, dass aus den historischen Fotografien alle in Ungnade gefallenen Genossinnen und Genossen entfernt wurden, dazu gehörte fast das gesamte Zentralkomitee der Bolschewiki in den Zeiten der Oktoberrevolution. Besonders gründlich wurden alle Spuren des Stalinkontrahenten Trotzki aus allen historischen Dokumenten herausretuschiert.
Nur ist diese Begradigung der eigenen Geschichte bei den Grünen insofern besonders pikant, weil die Partei ja mit Transparenz und Offenheit wirbt. Aber so offen, sich auch zum linken Teil der eigenen Geschichte zu bekennen, ist dann die Mehrheit der Partei selbst dann nicht, wenn es die eigene Frauenquote verbessern würde. Eine Partei, die die nächste Regierung definieren will, kann mit einer Linken wie Jutta Ditfurth wohl schlicht keinen Staat machen. (Peter Nowak)
https://www.heise.de/tp/features/Gruene-Geschichtsretuschen-4640071.html