Die Regierungsvereinbarung in Österreich zeigt, wie man mit den Grünen Abschottung machen kann, wenn man nur nicht so aggressive Begriffe wählt und das Klima stimmt - Ein Kommentar

Koalition des Heimat- und Umweltschutzes in Österreich

Es stellt sich die Frage, ob die kritischen Minderheiten, die eine solche Koalition aus Heimat- und Umweltschutz ablehnen, sich genau so deutlich artikulieren, wie sie es bei der Vorgängerregierung unter Einschluss der FPÖ getan hat. Wenn nicht, dann hat diese schwarz-grüne Koalition schon bewiesen, dass sie für das Kapital viel geräuscharmer durchregieren kann als die politische Konkurrenz. Das wäre dann auch ein Modell für Deutschland

Noch hält sich der Grünenvorsitzende Robert Habeck bedeckt. Die sich anbahnende Koalition zwischen ÖVP und österreichischen Grünen wollte er vorerst nicht als Modell für Deutschland verstanden wissen. Die Zurückhaltung hat mehrere Gründe. Am Samstag muss noch….

…. der Bundeskongress der Österreichischen Grünen dem Koalitionsvertrag zustimmen. Eine Ablehnung schließen Beobachter aus. Aber schon Zustimmungswerte unter 70 Prozent werden als Niederlage der gegenwärtigen Führungsleute gesehen. Denn die Koalitionsvereinbarung ist von einer klaren Arbeitsteilung geleitet.

Arbeitsteilung für den postfossilen Kapitalismus

Für das Klima sind die Grünen verantwortlich, auch eine Transparenzoffensive können sie mitanschieben. Beide Themen sind allerdings kompatibel mit den aktuell dominierenden neuen kapitalistischen Akkumulationsregime, das unter dem Schlagwort postfossiler Kapitalismus reüssiert.

Für die Abschottung der Grenzen und die sogenannte innere Sicherheit ist die ÖVP verantwortlich. Die aber will auf diesem Gebiet die Politik fortsetzen, die sie gemeinsam mit der FPÖ auf den Weg gebracht hat. Das ist auch nicht überraschend. Schließlich hat sich die ÖVP unter Sebastian Kurz zu einer rechtskonservativen Partei gewandelt, die gute Kontakte zur CSU und zur ungarischen Regierung hat. Es brauchte gar nicht die FPÖ, um diese rechte Politik durchzusetzen. Die Freiheitlichen waren manchmal für die reibungslose Durchsetzung eher ein Problem, weil bei ihnen doch immer noch die nationalsozialistische Geschichte und die Nazikarriere mancher ihrer aktiven Politiker hervorlugten. Mit grüner Begleitmusik könnten die entsprechenden Abschottungsgesetze viel reibungs- und geräuschloser umgesetzt werden. Zumal die Grünen auch darauf geachtet haben, dass die Abschottung sprachsensibler vermittelt wird:

Voraussetzung für eine gelingende Integration ist das Erlernen der deutschen Sprache, das rasche Erlangen der Selbsterhaltungsfähigkeit sowie die Akzeptanz der europäischen und unserer österreichischen Rechts- und Werteordnung: die Trennung von Religion und Staat, die Gleichstellung der Geschlechter und die Ablehnung jeder Form von Gewalt. Demzufolge hat mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen, wer sich nicht an unsere Rechtsordnung hält.

Koalitionsprogramm

Mit solchen Begriffen kann man von „Ausreisezentren“ für abgelehnte Asylwerber oder von „Sicherungsverwahrung“ für potenzielle Gefährder, und eine Ausweitung des Kopftuchverbots an Schulen lässt sich so besser verkaufen als in der aggressiven, rechtspopulistischen Rhetorik eines FPÖ-Innenministers Kickl. Die Grünen zahlen für den Klimaschutz damit einen hohen Preis, indem sie die Fortschreibung des ÖVP-FPÖ-Programms nicht nur in der Innen- und Ausländerpolitik akzeptieren.

Was in der Berichterstattung bisher wenig berücksichtigt wird, ist die Fortsetzung der kapitalfreundlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Mit weiteren Steuersenkungen werden die Wünsche führender Kapitalvertreter umgesetzt. Da ist es nur folgerichtig, dass kein Geld für soziale Reformen vorhanden ist. Schließlich hat sich die neue Regierung auch auf den Verzicht von Neuverschuldungen geeinigt. So können die Kapitalverbände konstatieren, was für sie längst keine Überraschung mehr ist. Die neue Regierung mit grünen Koalitionspartnern setzt genauso zuverlässig um, was der Staat des Kapitals braucht, wie die Regierungskombinationen der letzten Jahre. Die FPÖ hat nie verheimlicht, dass sie Kapitalinteressen vertritt. Bei der SPÖ gab es manchmal Irritationen mit dem Gewerkschaftsflügel, aber auch bei den Sozialdemokraten hat am Ende immer das Kapital gewonnen.

Exkurs: Austrofaschismus und Austromarxismus

Das war in den 1920er Jahren noch anders, als die SPÖ unter dem Label Austromarxismus einen dritten Weg zwischen deutscher Sozialdemokratie und der Sowjetunion zu gehen beanspruchte. Tatsächlich hatte sie deutlichere soziale Akzente als die SPD beispielsweise in der Wohnungspolitik gesetzt. Die ist mittlerweile unter dem auch etwas mythenbeladenen Begriff vom Roten Wien zum Vorbild für manche Linke geworden.

Auch wenn der Begriff dritter Weg falsch war, Austromarxismus blieb eine Variante der Sozialdemokratie und die Umsetzung einer ähnlichen Wohnungspolitik auf europäischer Ebene wäre heute ein Fortschritt. Doch heute fehlt mit der Sowjetunion ein Gegenentwurf zum Kapitalismus, der der Grund war, warum sich das Kapital zeitweise auf solche Experimente eingelassen hat. Allerdings nur wenige Jahre, wie in Deutschland setzte auch in Österreich das Kapital auf unterschiedliche rechte autoritäre Staatsmodelle. Da waren der Austrofaschismus und die Nazibewegung im Angebot. Die ÖVP kommt aus der austrofaschistischen Tradition, die FPÖ wurde von ehemaligen Nazifunktionären gegründet. Beide Varianten des Faschismus hatten das Ziel, die Macht und den Einfluss der Lohnabhängigen zu brechen und gaben dem Kapital wieder die alleinige Macht in der Fabrik.

Nun werden die Grünen mit ihrer Variante der kapitalgerechten Klimapolitik dazu beitragen, dass die Lasten noch mehr auf die Lohnabhängigen abgeladen werden. Da wird schon an der Legende gestrickt, dass die Grünen gar nicht anders konnten, als der Koalition des Klima- und Grenzschutzes zuzustimmen. Doch das sind die üblichen Herrschaftslegitimationen. Es war schon lange der Traum der Grünen, in Österreich mitregieren zu können. Als dann ein Parteimitglied von ihnen Präsident wurde, schien das Ziel näher zu kommen. Nur waren sie zwischenzeitlich aus dem Parlament geflogen und hatten sich schon damit abgefunden, für eine Legislaturperiode in der außerparlamentarischen Opposition zu sein, während die Koalition aus ÖVP und FPÖ den Staat umgestaltete.

Die Dummheit einiger Rechtspolitiker wie Strache bot schließlich die einmalige Chance, früher als erwartet wieder im Parlament zu sitzen. Die Gelegenheit ließ man sich nicht entgehen, jetzt gleich in die Regierung einzutreten, wenn sie nur für Klima und Umwelt verantwortlich sind. Allerdings sind auch auf diesem Gebiet in Österreich die Unterschiede zwischen den im Parlament vertretenen Parteien nie so groß wie in Deutschland gewesen. Von der AKW-Nutzung hatte sich Österreich schon bei der einer Volksbefragung 1978 verabschiedet. Seitdem haben ÖVP und mehr noch die FPÖ Umweltschutz als Heimatschutz vor allem dann in Anschlag gebracht, wenn es darum ging, AKWs in Tschechien zu verhindern. Aus einem historischen Blick ist die Einigung von ÖVP und Grünen nicht wirklich überraschend. Es wird hier nur deutlich, wie gut sie auch mit einer rechtskonservativen Partei regieren kann.

Auswirkungen über Österreich hinaus

Das hat durchaus Auswirkungen über Österreich hinaus, wenn auch Habeck sich betont zurückhaltend gibt. Da hat Ralf Leonhard recht, wenn er in der Taz schreibt: „Ganz Europa blickt auf Wien. Und anders als im letzten Jahr ist es kein besorgter, sondern ein hoffnungsvoller Blick. Eine Signalwirkung für Deutschland ist jetzt schon sicher.“

Allerdings wird hier mit der Formulierung „ganz Europa“ kräftig Ideologie betrieben. Es zeichnet sich schon ab, dass die Taz-Realos unter ihrem Vordenker Peter Unfried in Österreich ihr neues Vorbild finden werden, das sie jetzt neben Winfried Kretschmann anpreisen können. Dabei läuft auch ohne Anschub aus Österreich alles in ihrem Sinne, weil eben schwarz-grün die Wunschkandidatur der gegenwärtigen Kapitalakkumulation ist.

Dass trotzdem nicht immer alles glatt läuft und geschmäcklerische Erwägungen auch nicht ganz verzichtbar sind, zeigte sich in Sachsen, wo die frisch gekürte grüne Justizministerin Katja Meier mit den spätpubertären Texten ihrer Punkband vor mehr als 20 Jahren konfrontiert wurde. Eigentlich entstünde hier eher eher die Frage, wie eine ehemalige Punkmusikerin so tief sinken konnte, dass sie jetzt Ministerin ist und dass sie natürlich die Texte nicht mal gesungen haben will.

Fast völlig unter geht, dass in Hamburg unter der Ägide eines grünen Justizministers ein neuer Massenprozess gegen G20-Gegner beginnen soll, der Einschränkungen des Demonstrationsrechts zur Folge haben könnte, wenn sich die Version der Staatsanwaltschaft durchsetzt. Angeklagt sind Menschen, die nicht beschuldigt werden, Gewalt angewendet zu haben. Ihnen wird vorgeworfen, auf einer Demonstration gewesen zu sein, von der auch militante Aktionen ausgingen. Hier würden nach der Parole „mitgegangen, mitgefangen“ Menschen dafür bestraft, dass andere Gewalt angewendet haben.

Das ist eigentlich ein No-Go in einem Rechtsstaat, den die Grünen ja immer hochhalten. Doch vom Hamburger Justizsenator mit grünem Parteibuch sind keine Proteste gegen die Prozessstrategie der Staatsanwaltschaft bekannt. Eine solche Partei wird gebraucht für die Mitverwaltung des Staates. Und da ist es kein Wunder, dass Kapitalverbände, aber auch Konservative aller Couleur hoffnungsvoll auf Österreich schauen. Genau diese Gruppen hat Leonhard mal eben mit dem Begriff „ganz Europa“ bezeichnet.

Es stellt sich die Frage, ob die kritischen Minderheiten, die eine solche Koalition aus Heimat- und Umweltschutz ablehnen, sich genau so deutlich artikulieren, wie sie es bei der Vorgängerregierung unter Einschluss der FPÖ getan hat. Wenn nicht, dann hat diese schwarz-grüne Koalition schon bewiesen, dass sie für das Kapital viel geräuscharmer durchregieren kann als die politische Konkurrenz. Das wäre dann auch ein Modell für Deutschland.

Erst vor kurzen gab es in der Taz empörte Leserbriefe, weil es der Kommentator Klaus Hillenbrand wagte, die Flugscham-Ideologie der Jugendumweltbewegung infrage zu stellen. Hillenbrand erinnerte berechtigterweise daran, dass die Zunahme der Flugpassagiere auch mit den veränderten Arbeitsbedingungen im globalen Kapitalismus zu tun hat. Für Menschen aus Rumänien oder dem Baltikum, die in Deutschland in der Pflege arbeiten, ist ein Flug eine der wenigen Möglichkeiten, ihre Angehörigen zu sehen. Diese sachlich richtige Beobachtung führte bei manchen Leserbrief-Schreibern zu Wutausfällen. Wie könne Hillenbrand es nur wagen, an die Menschen zu erinnern, die in Deutschland arbeiten, wenn die Umwelt stirbt, hieß es da. Und einige der Briefeschreiber waren der Meinung, es wäre auch im Sinne der Umwelt, wenn die Menschen in ihren Ländern eine Arbeit finden würden. Bei einer solchen Mesalliance aus Heimat- und Umweltschutz hat auch in Deutschland schwarz-grün gute Ausgangsbedingungen. (Peter Nowak)