Nach der „Schicksalswahl“: Phrasendrescherei geht weiter

Kommentar: Nun ist sogar Strache schneller in der Politik zurück, als selbst seine Freunde hofften

Nun ist die zur Schicksalswahl hochgejazzte EU-Wahl zu Ende und die Phrasendrescherei geht weiter. Da wird in liberalen Medien nun der Eindruck erweckt, der Anstieg der Wahlbeteiligung bei den EU-Wahlen wäre eine Niederlage für die Rechten, die konsequent und falsch als EU-Gegner tituliert werden. Dabei wird großzügig darüber hinweggesehen, dass…

… die Rechten ein eigenes autoritäres EU-Modell favorisieren und dabei auch nicht immer einig sind. Statt sich aber eben mit diesen rechten EU-Modellen kritisch auseinanderzusetzen, wird mit dem Begriff EU-Gegner suggeriert, die Rechten gehen gar nicht zu Europa. Vielleicht würde man, setzte man sich mit den rechten EU-Vorstellungen auseinander, feststellen, dass sie gar nicht so weit von Konzepten der politischen Kräfte entfernt sind, die sich selbst das Ticket „proeuropäisch“ ausstellen.

Jedenfalls ist die gestiegene Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl schon deshalb keine Niederlage der Rechten, weil die gar nicht zum Wahlboykott aufgerufen haben. Vielmehr haben sie schon längst die Strategie ausgegeben, sich in das EU-Parlament wählen zu lassen. Und damit haben sie in entscheidenden EU-Ländern Erfolge zu verzeichnen. Dass die rassistische Lega Nord in Italien stärkste Partei werden würde, stand schon lange fest.

Schlappe für Macron und Brexitgegner

Dass auch in Frankreich die Rechten stärker als die Präsidentenpartei wurden, ist eine Schlappe für Macron, der schließlich die EU-Wahlen als Richtungswahl zwischen sich und Le Pen bezeichnete. Damit wollte er seine Basis mobilisieren, wie es noch bei den Präsidentenwahlen gelungen ist.

Als seine Partei nun zweite Wahl wurde, wollte Macron natürlich nichts mehr von einer Richtungswahl wissen. Es war eben dann doch nur eine EU-Wahl ohne Auswirkungen auf die französische Innenpolitik. Gibt es denn keine Berater, die dem Präsidenten mitteilen, dass genau dieser Umgang mit den Wählern die Rechten noch stärker macht?

Einen Sonderfall stellte natürlich das Wahlergebnis in Großbritannien dar. Und doch war es eine Schlappe all der Brexitgegner, die doch die ganze Zeit immer behaupten, wenn die Menschen in Großbritannien noch einmal abstimmen könnten, würden sie nach dem Gewürge um den EU-Austritt zur EU-genormten Vernunft zurückkehren und den Brexit verabschieden. Nun hatten die Wähler die Möglichkeit abzustimmen und scheinen sich mehr an den Verzögerungen bei der Brexitumsetzung als am Brexit zu stören.

Sofort wurde in verschiedenen Kommentaren, die noch vor Wochen einen Wahlerfolg der Brexitgegner bei den EU-Wahlen herbeiredeten, erklärt, die EU-Wahl wäre nun eine solche Abstimmung nicht. Sicher gibt es da Besonderheiten, aber wenn die Wut über die Brexitentscheidung in Großbritannien so stark wäre, wie es manche deutsche Brexitgegner suggerieren, warum legten dann nicht die Brexit-Befürworter einen Überraschungserfolg hin?

Schließlich gab es mit den Liberaldemokraten eine Partei mit Erfahrung und Tradition. Stattdessen wurde nun die Brexitpartei aus dem Stand raus zum Shootingstar. Jetzt scheinen sich auch manche Kommentatoren von ihrer Hoffnung zu verabschieden, den Brexit noch rückgängig machen zu können.

Mit der starken Brexitpartei im Rücken, dürften erklärte Brexit-Befürworter die May-Nachfolge bei den Torys unter sich ausmachen und dann auch einen Rückzug aus der EU ohne Brexit einleiten. Hätten die Brexitgegner die EU-Wahlen gewonnen, hätte wohl ein neues Referendum auf der Tagesordnung gestanden.

Auch in Brüssel konnten gleich zwei rechte Gruppierungen Erfolge verbuchen. Die flämische Nationalistenpartei N-VA konnte davon profitieren, dass sie im Streit um den von ihr abgelehnten Migrationspakt die Regierung verließ. Rechts von ihr konnte auch der ultrarechte Vlaams Belang Stimmen gewinnen.

Trotzdem verbreiten die selbsternannten „Proeuropäischen“ in Deutschland Zuversicht, dass die Rechten doch nicht so stark wurden, wie sie es selbst immer an die Wand gemalt haben. Dabei hatte doch jeder Analytiker schon Monate vor der EU-Wahl erkannt, dass die Erzählung vom Durchmarsch der Rechten vor allem dazu dient, das Lager der selbsternannten Proeuropäer zur Wahl zu mobilisieren.

Nach der Wahl kann man dann auch Entwarnung geben, dass der Durchmarsch, den es nur in ihren Erzählungen gab, ausblieb. Der reale Rechtsruck wird damit auch bagatellisiert. Denn den gab es auf jeden Fall. Dazu zählen auch die Wahlerfolge der ungarischen und polnischen Regierungsparteien.

Der deutsche Blick auf die EU-Wahlen

Es gab rechte Wahlverluste in einigen Staaten. In Finnland verloren die Wahren Finnen. Vor wenigen Wochen wurde die gleiche Partei zweitstärkste Partei im Land bei den Parlamentswahlen. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre zur stärksten Partei geworden. Dass macht deutlich, dass eine rechte Niederlage bei einer EU-Wahl nur einen begrenzten Aussagewert über die Partei hat.

In Dänemark verlor die Fortschrittspartei Stimmen vor allem deshalb, weil es ihr in den letzten Jahren gelungen ist, fast allen anderen Parteien ihre Programmatik aufzudrücken Der konservative Regierungschef von Dänemark hat sich erst kürzlich für ständige Kontrollen an der Grenze nach Deutschland ausgesprochen und selbst die dänischen Sozialdemokraten sprechen sich für eine strikte Migrationsbegrenzung aus.

Auch die AfD ist bei der Europawahl an ihre Grenzen gestoßen, gleichzeitig wurde sie in Sachsen und Brandenburg stärkste Partei. In Görlitz steht ihr Kandidat in der Stichwahl gegen einen rechten CDUler. Ein buntes Bürgerbündnis hingegen scheidet aus, so dass dann nur zwei Rechte zur Wahl stehen.

Dass die AfD nun nicht bei 14 % landete, wie es die Partei selbst ausgab, prägt die Debatte in Deutschland. Das ist auch der Grund, warum hierzulande nun Entwarnung gegeben wird. Was ist schon ein rechter Sieg in Frankreich und Italien, wenn der AfD in Deutschland im EU-Wahlkampf ihre Grenzen gezeigt wurden? Das demonstriert einmal mehr, wie national doch noch immer die EU-Debatte geführt wird. Auch die „Proeuropäer“ haben vor allem eine Stärkung des Standorts Deutschland im Sinn.

Strache im EU-Parlament

Noch vor einer Woche, nachdem das geleakte Ibizia-Video bekannt wurde, sahen manche schon ein Ende der FPÖ. Erst wenige Tage vor der Wahl schwante einigen, dass es sich dabei eher um Wunschträume handelt. Die FPÖ verlor einige Prozent, ist aber bei weiten nicht am Ende. Nun stellt sich noch heraus, dass der ehemalige FPÖ-Vorsitzende Hans-Christian Strache mit Vorzugsstimmen ins EU-Parlament gewählt wurde.

Eigentlich stand er ganz hinten auf der Liste, weil er als Viziekanzler andere Pläne hatte. Erst nach seinem durch das Video erzwungenen Rücktritt startete die Kampagne, ihm mit Vorzugsstimmen doch noch einen Platz im EU-Parlament zu besorgen. So machte Strache seine Drohung in seiner Rücktrittserklärung wahr, dass er wiederkommen würde. Dass es so schnell gehen würde, war selbst manchen im eigenen Milieu etwas zu schnell.

Es zeigte sich hier auch der Schulterschluss zwischen der FPÖ und den Identitären, die die Idee von den Vorzugsstimmen als erstes lanciert haben. Franz Josef Strauß, der als Stehaufmännchen nach seinen vielen Affären galt, hätte wohl eine so schnelle Rückkehr nach Straches Blamage nicht auf den Weg gebracht.

Doch die FPÖ-Gegner haben es den Straches und Co. auch leichtgemacht. Sie feierten das Platzen der rechten Regierung und vergaßen ein nicht unwesentliches Detail. Das Video war eben eine Inszenierung, eigentlich eine Fake-News. Nur wollte darüber im Rausch über den scheinbar punktgenauen Sieg gegen die Schwarzblauen niemand reden.

So konnten sich die Rechten und Ultrarechten als die wahren Opfer sehen und Verschwörungstheorien mit teilweise antisemitischen Untertönen verbreiten. Es war auch eine Schwäche der FPÖ-Gegner, dass sie oft so taten, als hätten investigative Journalisten den Versuch einer Korruption aufgedeckt und vergessen, dass es eine Inszenierung war.

Auch alle, die die FPÖ überall hin, nur nicht an die Regierung wünschen, müssten ein Interesse an der Aufklärung haben, wer hinter der Inszenierung stand, schon um den Rechten den Opferstatus zu nehmen und Verschwörungstheorien die Grundlage zu entziehen.