Kämpfer für die Abgehängten

Der Sozialaktivist Harald Thomé will die Schwächsten nicht den Nazis überlassen

Die Wuppertaler AfD hat in der vergangenen Woche wieder einmal einen Skandal aufgedeckt:

»Verwaltung und Rat der Stadt Wuppertal lassen es zu, dass über interne Mailaccounts der Stadt die Agitation eines sich offen mit politischen Gewalttaten solidarisierenden Linksextremisten verbreitet und dazu aufgerufen wird, den rechtmäßigen Wahlkampf der AfD zu be beziehungsweise nach Möglichkeit zu verhindern,« schreibt die Rechtsaußenpartei auf ihrer Homepage. Dort fordert sie auch Verwaltung und Rat der Stadt auf, jegliche Zusammenarbeit mit dem »Linksextremisten und seinem Verein umgehend zu beenden und die weitere Verbreitung linksextremistischer Agitation in den städtischen Institutionen konsequent zu unterbinden«. Ein Skandal sei es, dass die beschuldigte Person und ihr Verein die städtische Infrastruktur für ihre Mitteilungen nutzen konnte.

Der wortreich verunglimpfte angebliche Linksextremist, der in Friedrich Engels’ Geburtsort die kommunalen Mailserver mit rotem Gedankengut infiltriert haben soll, heißt Harald Thomé und sieht die Aufregung der Rechtspopulisten auch als Indiz, dass seine Arbeit nicht wirkungslos war: »Wir haben in den letzten Wochen die AfD ganz schön genervt, wenn wir in der Nähe ihrer Infostände mit Mülltüten standen, in die Passanten die verteilten Materialen gleich entsorgen konnten«, erklärt er.

Gegen den bundesweit bekannten Referenten für Arbeitslosen- und Sozialrecht und dem von ihm mitgegründeten Verein Tacheles e.V. richtet sich die Kampagne der AfD. Seit mehr als zwei Jahrzehnten beraten Thomé und seine Mitstreiter schon Erwerbslose und Sozialhilfebezieher. Dabei setzt Tacheles auf zwei Säulen: die Selbstermächtigung der Betroffenen und den juristischen Weg. Damit hat der Verein in den vergangenen Jahren vielen Menschen zu ihrem Recht verholfen. Sogar manche Verwaltungsbeamte zollen Thomé deshalb Respekt: »Sie haben sich um diesen (sozialen) Rechtsstaat verdient gemacht. Ihr nimmermüder Einsatz hat maßgeblich dazu beigetragen, dass dem behördlich viel tausendfachen Rechtsbruch ein Medium entgegengestellt wird, das wirkungsvoll ist«, schrieb im vergangenen Jahr der pensionierte Verwaltungsbeamte Dietrich Schoch an den 1962 geborenen Vereinsgründer Thomé.

Dabei schont Tacheles die Behörden keineswegs, wenn es um das Recht und die Würde von Erwerbslosen und einkommensarmen Menschen geht. So hatte der Verein ab 2013 die Durchwahlnummern von Jobcentermitarbeitern auf seine Internetseite gestellt, musste sie nach Klagedrohungen der Agentur für Arbeit aber wieder löschen. Doch der Verein hatte mit der Aktion das Machtgefälle in den Jobcentern und Arbeitsagenturen deutlich gemacht. Während die Ämter über Menschen, die Leistungen beantragen, viele sehr private Daten sammeln, werden den »Kunden« selbst die Durchwahlnummern für die Büros »ihrer« Fallmanager vorenthalten. Wenn sie beim Amt anrufen, landen sie in einer Telefonzentrale und damit meistens in der Warteschleife. Das erfahren viele Betroffen als demütigend.

Doch die Arbeit von Tacheles hatte von Anfang an auch eine antirassistische Komponente. Der Verein hatte sich 1994 gegründet – Auslöser waren die Pogrome von Rostock im Jahr 1992, an denen sich viele Menschen beteiligten, die arm und sozial abgehängt waren oder sich zumindest so fühlten. Mit ihrem Ansatz schlugen die Tacheles-Gründer um Thomé absichtlich einen anderen Weg ein als viele andere in der antirassistischen Bewegung aktive Menschen. In vielen der bestehenden Initiativen wurden Menschen mit geringen Einkommen als für die linke Politik verloren abgeschrieben. Die Aufrufe richteten sich eher an einen akademischen Mittelstand als an die, die ganz unten stehen.

Genau die will Tacheles aber mit seiner Arbeit erreichen: »Wenn jemand mit rechten Symbolen in unsere Beratung kommt, reden wir mit ihm«, sagt Thomé, der sich in seinem Twitter-Profil selbst als »Individualist, Kämpfer für eine andere Welt und Träumer« bezeichnet. »So hatte ein Mann den bei Rechten beliebten Aufkleber 88 auf seinem Motorrad. Es stellte sich heraus, dass er in einem Verein aktiv war, in dem ein aktiver Neonazi mitmischt. Der Mann kannte den Hintergrund des Aufklebermotives nicht und entfernte ihn, nachdem wir ihn darüber informiert hatten.«

Dennoch hat der Verein ganz klare Grundsätze: »Gefestigte Rassisten werden von uns nicht beraten«, betont Thomé. Besorgt ist er, weil Menschen, die sich nie für Politik interessiert haben, jetzt vermehrt erklärten, dass sie dieses Mal die AfD wählen wollen, um »die da oben« zu ärgern. »Denen ist auch völlig egal, dass diese Partei gar nicht gegen Hartz IV ist. Linke Parteien hingegen werden von denen nicht als Option wahrgenommen, auch wenn die sich ganz klar gegen Hartz IV und für soziale Forderungen exponieren«, berichtet Thomé aus seiner täglichen Beratungspraxis.

Die Kampagne der AfD bestärkt ihn noch in seiner Arbeit. Die Partei stört besonders, dass er als erklärter Linker und Antirassist die Einkommensschwachen nicht einfach rechts liegen lässt, wo sie die AfD leicht aufsammeln könnte. Thomé arbeitet deshalb dort, wo viele Linke sich nicht hin trauen. Von den braunen Horden wird er sich auch in Zukunft nicht von dieser Arbeit abhalten lassen.

Peter Nowak